Verkehrs­recht: Viel Lärm um nichts

In letzter Zeit ist wieder verstärkt von der Lärmbe­lastung durch Verkehr zu hören: Zum Beispiel im Zusam­menhang mit der Debatte über Motor­radlärm, die diesen Sommer von einer Bürger­meis­terin aus dem Schwarzwald angestoßen worden war. Grund­sätzlich gibt es in der Europäi­schen Union eine Richt­linie gegen Umgebungslärm. Die steckt ähnlich wie die Luftqua­li­täts­richt­linie hohe Ziele zur Vermeidung von Umweltbelastungen.

Insofern liegt es nahe, dass bei Überschreiten der Grenz­werte Anwohner – so wie bei den Stickoxid-Überschrei­tungen – klagen können. Ihr Anspruch könnte sich dann auf geeignete Maßnahmen richten, den Lärm zu mindern und damit unter den Grenzwert zu bringen. Welche Maßnahmen aber sind geeignet – und angesichts der Einschrän­kungen des Verkehrs zu rechtfertigen?

Darüber hatte das Verwal­tungs­ge­richt Koblenz im Juli in einem Urteil zu befinden. Ein Anwohner einer lauten, vielbe­fah­renen Straße hatte wiederholt geklagt, weil die Stadt trotz Grenz­wert­über­schrei­tungen untätig geblieben war.

Zunächst hatte ihm das VG Koblenz in einer Entscheidung vom Dezember 2015 recht gegeben. Da die Lärmbe­lastung die Grenze der Zumut­barkeit überschreite, sei die Stadt als Beklagte verpflichtet, die Anträge des Klägers zur Verbes­serung unter pflicht­ge­mäßer Ausübung des Ermessens zu bescheiden.

Die Stadt müsse zunächst prüfen, welche Lärmre­duktion – unter Umständen durch eine Kombi­nation von Maßnahmen – erreicht werden könne. Sie müsse weiterhin prüfen, ob die Maßnahmen zu einer spürbaren Entlastung führen können. Mit Blick auf die Verkehrs­in­ter­essen und ihre Kosten müssten sie auch angemessen sein.

In dem aktuellen Urteil hat das VG nun die Klage abgewiesen. Diesmal hatte der Kläger ganz konkrete Maßnahmen einge­fordert, beispiels­weise eine weitere Geschwin­dig­keits­be­schränkung. Das Gericht war der Auffassung, dass die Maßnahmen nur wenig bewirken würden, und insbe­sondere nicht ausreichen würden, den Grenzwert einzu­halten. Vor diesem Hinter­grund seien die Einschrän­kungen des Verkehrs nicht zu rechtfertigen.

Für den Kläger mag die Entscheidung enttäu­schend sein. Aller­dings war sie aufgrund des Prüfpro­gramms der ersten Entscheidung darin schon angelegt, auch wenn letztlich viele offene Wertungen mit der Frage verbunden sind, ob eine Maßnahme geeignet und angemessen ist (Olaf Dilling).

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2020-09-23T11:35:28+02:0022. September 2020|Umwelt, Verkehr|

Grund­ver­sor­gungs­aus­schrei­bungen – ein Vorschlag der FES

Das Energie­recht ist schon seit vielen Jahren von einer geradezu furcht­erre­genden Dynamik. Alles ändert sich ständig. Eine Konstante inmitten des Sturms stellt bislang aber die Grund­ver­sorgung dar: Umstritten war zwar viele Jahre, wie man in der Grund­ver­sorgung die Preise der Kosten­ent­wicklung wirksam anpasst, aber nicht umstritten war die grund­sätz­liche Konstruktion: Wer in einem Netzgebiet die meisten Haushalts­kunden versorgt, ist der Grund­ver­sorger und jeder, der keinen Sonder­kun­den­vertrag hat, wird von ihm beliefert. Dies ergibt sich aus § 36 EnWG. Die Details dieses ganz beson­deren Liefer­ver­hält­nisses stehen in der StromGVV und der GasGVV.

Zwar fordern Behörden regel­mäßig Verbraucher auf, doch nun endlich die Grund­ver­sorgung zu verlassen. Indes werden auch heute, mehr als 20 Jahre nach der Libera­li­sierung der Strom- und Gasmärkte, immer noch viele Verbraucher grund­ver­sorgt. Ob es sich durchweg um Kunden handelt, die nicht wissen, dass man auch günstiger Strom oder Gas beziehen kann? Dies mag es geben, aber angesichts der schieren Präsenz der Werbung von Energie­ver­sorgern ist es nahelie­gender, dass es sich vielfach schlicht um Kunden handelt, in deren Augen die Vorzüge der Grund­ver­sorgung den oft höheren Preis rechtfertigen.

Die höheren Preise und die damit verbundene Debatte um „Energie­armut“ hat die Frierich-Ebert-Stiftung (FES) aber bereits 2019 zum Anlass genommen, eine Studie heraus­zu­geben, ob die Grund­ver­sorgung nicht anders organi­siert werden könnte. Dabei wollen die Autoren Jahn/Ecke die Grund­ver­sorgung nicht grund­sätzlich abschaffen. Es soll auch weiter ein Versor­gungs­ver­hältnis geben, wenn ein Verbraucher keinen Vertrag abschließt oder sein Versorger ausfällt, etwa durch Insolvenz.

Die Autoren disku­tieren, ob dem Problem der erhöhten Preise in der Grund­ver­sorgung mögli­cher­weise durch eine Preis­kon­trolle beizu­kommen wäre, verwerfen dies aber. Statt dessen schlagen sie – wie wissen­schaftlich bereits vor gut zehn Jahren einmal ohne Widerhall in der Praxis disku­tiert – Ausschrei­bungen vor, die als markt­nä­heres Instrument den Vorteil des Wettbe­werbs mit den Vorteilen einer erhöhten System­ef­fi­zienz vereinen sollen. Kriterien sollten die günstigsten Verbrau­cher­preise sein, die Autoren schlagen aber auch vor, weitere, energie­wen­de­be­zogene Ziele einzu­be­ziehen. Ob das Instrument geeignet sei, sollen Tests in Muster­re­gionen erweisen.

Was ist von dem Vorschlag zu halten? Bisher hat die Politik das Gutachten nicht aufge­griffen. Doch bedeutet das wirklich, dass die Politik den Vorschlag aus inhalt­lichen Gründen nicht gutheißt? Mögli­cher­weise sind die Minis­terien aktuell nur zu beschäftigt, neben den Heraus­for­de­rungen der Pandemie auch für Energie­wirt­schaft und energie­in­tensive Industrie den Kohle­aus­stieg, das neue EEG und die letzten Ausläufer des Atomaus­stiegs zu regeln. Es bleibt damit abzuwarten, wie eine nächste Bundes­re­gierung die Sache sieht. Zu hoffen ist dabei, dass die durchaus gemischten Erfah­rungen mit wettbe­werb­lichen Instru­menten bei einer Neure­gelung auch der Grund­ver­sorgung nicht vergessen würden. Denn Ausschrei­bungen mögen – wenn es gut läuft – zu markt­nahen Ergeb­nissen führen, der oft steinige Weg bis zum Zuschlag ist oft alles andere als „marktnah“, oft bürokra­tisch und fast nie ohne umfang­reiche Hilfe­stel­lungen möglich, wenn man etwa an Netzkon­zes­si­ons­vergabe denkt. Und ob die Grund­ver­sor­gungs­tarife wirklich niedriger wären, würde ausge­schrieben, steht in den Sternen, denn so attraktiv ist ein Produkt, bei dem man sich den Kunden und die Vertrags­be­din­gungen nicht aussuchen kann, dann am Ende oft auch nicht (Miriam Vollmer).

2020-09-22T09:45:09+02:0021. September 2020|Energiepolitik, Gas, Strom, Vertrieb|

Zwei halbe Hähnchen-Mastanlagen

Ja, der Titel täuscht: Die Agrar­in­dustrie hat es bisher noch nicht geschafft, Hähnchen zu produ­zieren, die von Anfang an halbiert sind. Was aber im Bereich des Agrar­rechts durchaus oft möglich ist: Anlagen so aufzu­teilen, dass Schwel­len­werte formal unter­schritten werden. Dies ist insofern eine nahelie­gende Umgehungs­stra­tegie, weil umwelt‑, bau- und planungs­recht­liche Regelungen an die Größe der Anlage anknüpfen.

Ist eine Mastanlage beispiels­weise so groß, dass das Futter nicht mehr auf eigenen Flächen eines Betriebs angebaut werden könnte, gilt die Anlage nach § 201 Bauge­setzbuch (BauGB) nicht mehr als landwirt­schaftlich. Daher entfällt die Privi­le­gierung für das Bauen im Außen­be­reich, also außerhalb geschlos­sener Ortschaften, nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB.

Auch die Feststellung der Pflicht zur Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung (UVP) hängt von Schwel­len­werten ab. Nach § 7 UVP-Gesetz, gibt es in Verbindung mit Anlage 1 des Gesetzes unter­schied­liche Anfor­de­rungen, je nachdem ob eine Anlage über 30.000, über 40.000 oder über 85.000 Mastplätze hat.

Vor diesem Hinter­grund ist auch zu verstehen, dass in Wardow bei Rostock nach einer Zeitungs­meldung 2016 zwei halbe Hähnchenmast-Anlagen genehmigt wurden: Eine mit 39.900 Mastplätzen und eine fast identisch gebaute in 16 m Abstand mit ebenfalls 39.900 Mastplätzen. Die Anlagen wurden von zwei Gesell­schaften betrieben, die aller­dings von den selben Inves­toren gegründet worden waren.

Inzwi­schen hat das Verwal­tungs­ge­richt (VG) Greifswald (Az. 7 A 1608/17 SN) die Geneh­mi­gungen als rechts­widrig aufge­hoben. Die Anlage sei als einheitlich anzusehen. Daher seien die erfor­der­lichen Verfahren nicht einge­halten worden. Da die Schwel­len­werte an die von der Größe der Anlage abhän­gigen Umwelt­aus­wir­kungen anknüpfen, ist die Entscheidung zu begrüßen. Sie ist aller­dings noch nicht rechts­kräftig (Olaf Dilling).

2020-09-18T09:45:20+02:0018. September 2020|Immissionsschutzrecht, Umwelt, Verwaltungsrecht|