Fußverkehr in Berlin: Immer am Geländer lang
Während jeder Poller in Berlin große Diskussionen und Konflikte auslöst, gibt es kaum beachtet im Herzen Berlins ein über 150 m langes Geländer, das am südlichen Ende der Ebertbrücke in Steinwurfweite der Museumsinsel Fußgänger am Queren der Kreuzung hindert. Ich wette, dass unter Hundert zufälligen befragten Passanten niemand errät, warum sich das Geländer dort befindet.
Nicht, dass sie das Geländer nicht kümmern würde. Denn es zwingt sie dazu, einen absurd langen Umweg zu gehen: Wer vom Bodemuseum am südlichen Spreeufer knapp 500 Meter zur Weidendammer Brücke an der Friedrichstraße laufen will, muss einen über hundert Meter langen Umweg über die Ostseite der Ebertbrücke ans nördliche Spreeufer und auf der Westseite der Brücke wieder zurück laufen.
Natürlich gibt es für Menschen, die in der Verkehrserziehung geschlafen haben und bei der theoretischen Führerscheinprüfung mit Glück die richtigen Fragen bekommen haben: Sie steigen einfach über das Geländer und hoffen, sich dabei nicht zu verletzen. Alle anderen wissen, dass § 25 Abs. 4 StVO ihnen verbietet, als Fußgänger Stangen- und Kettengeländer zu überschreiten und dass § 25 Abs. 1 StVO verbietet, neben ihnen auf der Fahrbahn zu laufen. Angesichts dieses doppelten Verbots müssen also den doppelten Weg über die Spree in Kauf nehmen.
Wenn sie keine Lust zum Laufen haben, könnten sie natürlich auch den Rechtsweg beschreiten. Voraussetzung ist, dass sie neu in Berlin sind, weil sie beispielsweise aus einem kleinen Ort in der Nähe von Stuttgart hergezogen sind, wo es solche Geländer gar nicht braucht. Denn für alle, die schon länger in der Hauptstadt wohnen und den Ort kennen, ist die Widerspruchsfrist von einem Jahr abgelaufen.
Damit das Geländer erfolgreich angefochten werden kann, müsste es im Übrigen eine Verkehrseinrichtung iSd § 43 Abs. 1 StVO sein. Denn so eine Einrichtung setzt dem Verkehrsteilnehmern nicht nur physisch eine Barriere, sie zwingt auch mit der Kraft des Rechts. Mit ihr ist ein Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung verbunden.
Da durch die Einrichtung der Fußverkehr buchstäblich beschränkt wird, müsste es eigentlich eine Rechtfertigung dafür geben. Typischerweise in Form einer qualifizierten Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 9 Satz 3 StVO. Meistens findet man solche Stangengeländer daher an viel befahrenen mehrspurigen Straßen. Wo liegt hier an diesen relativ beschaulichen Kopfsteinpflasterstraßen an der Spree mit Höchstgeschwindigkeit Tempo 30 die qualifizierte Gefahr?
Ein findiger Journalist der Berliner Zeitung hat sich mal auf eine Odyssee durch die Berliner Verwaltung gemacht und Stellen angeschrieben, die aus seiner Sicht zuständig sein könnten. Schließlich wurde er beim Bezirksamt Mitte von Berlin fündig. Dort hieß es, dass das Geländer nötig sei, weil die Bordsteine an dieser Stelle konstruktionsbedingt wegen der Brücke zu hoch seien. Es sei auch nicht möglich, diese abzusenken. Das Bezirksamt wollte sich um das Thema kümmern. Es kümmert sich drei Jahre später immer noch.
Ob diese Stolper-Bordsteine als qualifizierte Gefahr ausreichen, um zu Umwegen von mehr als hundert Metern zu zwingen, ist sehr fraglich. Schließlich gibt es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und es wären auch durchaus mildere Mittel denkbar, wie etwa Warnhinweise, rot-weiße Markierungen oder tatsächlich die bauliche Absenkung des Bordsteins.
Vermutlich würde das Stangengeländer, das übrigens nach den Recherchen der Berliner Zeitung aus fünf Tonnen Edelstahl geschmiedet sein soll, einer gerichtliche Überprüfung nicht standhalten. Aber wenn man öfter dort entlang geht und sieht, wie blank poliert die Geländer an der Kreuzung sind, dann wird deutlich, dass den meisten Berlinern das Thema buchstäblich am Allerwertesten vorbei geht: Sie bequemen sich einfach dazu, über das Geländer zu steigen. Das ist zwar vielleicht illegal, aber es hält fit. (Olaf Dilling)