Fahrrad­straße darf Parkplätze kosten

In Berlin treiben – trotz des Gegen­winds der aktuellen großen Koalition auf Landes­ebene – viele Bezirke weiter den Bau von Fahrrad­wegen und ‑straßen voran. Dass das auch an Gerichts­ver­fahren nicht scheitern muss, zeigt aktuell ein Fall aus dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg.

Fahrradstraße in Berlin -Mitte

Fahrrad­straße in Berlin-Mitte (Fridolin freudenfett, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons)

In Friedenau, parallel zur Bundes­allee verläuft dort 1,5 km in Nord-Süd-Richtung die Handjery-Straße. Diese wird aufgrund eines Beschlusses der Bezirks­ver­ord­ne­ten­ver­sammlung aus 2016 zur Fahrrad­straße umgewandelt, was den Wegfall von über 100 Parkplätzen zur Folge hat. Das wollten Anwohner nicht dulden und gingen im Rahmen des Eilrechts­schutzes gegen die Fahrrad­straße vor, die eigentlich kurz vor der Fertig­stellung steht.

Wie die Berliner Zeitung nun über das Verfahren (Akten­zeichen VG 11 L 338/23, VG 11 L 342/23) berichtet, gibt es ein inzwi­schen einen Beschluss des Verwal­tungs­ge­richts Berlin. Demnach wurden die Anträge auf vorläu­figen Rechts­schutz abgelehnt. Denn die Anordnung der Fahrrad­straße sei ausrei­chend auf einer Gefahrlage begründet worden. Diese ergäbe sich schon aus der hohen Zahl der Radfahrer, die bereits 2020, also vor Einrichtung der Fahrrad­straße den Straßenzug nutzen würden. Dagegen wird die Straße von Kfz weniger frequentiert. 

Aktuell ist der Straßen­quer­schnitt stark durch parkende Kfz einge­schränkt, so dass wenig mehr als die Mindest­breite für die Fahrbahn übrig bleibt und Sicher­heits­ab­stände nicht einge­halten werden können. Dementspre­chend gab es in der Straße auch relativ viele Unfälle, in die zum Teil auch Radfahrer verwi­ckelt waren. Daher ist das Gericht in seinem Beschluss davon ausge­gangen, dass die Ausweisung als Fahrrad­straße zwingend erfor­derlich sei. Die Anwohner hätten dagegen keinen Rechts­an­spruch darauf, in unmit­tel­barer Nähe  ihrer Wohnung zu parken. Dies stimmt mit der Recht­spre­chung zum Parken im öffent­lichen Raum überein. (Olaf Dilling)

2023-11-22T16:31:31+01:0022. November 2023|Rechtsprechung, Verkehr, Verwaltungsrecht|

Baupla­nungs­recht und Schutz urbaner Grünflächen

Es ist ein schwie­riges Dilemma: Großstadt­be­wohner brauchen wohnortnahe Grünflächen. Selten wurde das so deutlich wie während der Pandemie. Aber auch der Klima­wandel fordert sein Tribut, wenn Hitze­sommer mit monsun­ar­tigen Stark­regen vor allem in Beton­wüsten zu Problemen führen. Zugleich explo­dieren die Miet- und Immobi­li­en­preise und es herrscht Wohnungsnot. 

Innen­raum­ver­dichtung heißt praktisch oft, dass urbane Grünflächen zu Gewerbe- oder Wohnge­bieten umgewandelt werden oder zumindest provi­so­risch für Wohnheime genutzt werden. Dagegen regt sich in deutschen Großstädten immer öfter Wider­stand in  Form von Initia­tiven, die das Stadtgrün schützen wollen, seien es einzelne Bäume oder große Freiflächen wie das Tempel­hofer Feld in Berlin oder die Galopp­rennbahn in Bremen.

In Hamburg kommt es nun zum Schwur vor dem Landes­ver­fas­sungs­ge­richt. Eine dortige Initiative hatte ein Bürger­be­gehren „Rettet Hamburgs Grün – Klima­schutz jetzt“ gestartet, nach der alle zusam­men­hän­genden Grün- und Landwirt­schafts­flächen von einer Größe über einem Hektar davor geschützt werden, dass in ihnen Bauland durch neue Bebau­ungs­pläne ausge­wiesen wird.

Der Senat der Freien und Hanse­stadt Hamburg hat vor dem Verfas­sungs­ge­richt letztes Jahr zu feststellen beantragt, dass dieses Begehren rechts­widrig ist. Denn durch ein entspre­chendes Gesetz werde die Regierung zu sehr in ihrem Gestal­tungs­spiel­räumen einge­schränkt. Die Möglichkeit der gericht­lichen Prüfung sieht in Hamburg § 5 Absatz 4 Volks­ab­stim­mungs­gesetz (VAbstG) bei erheb­lichen Zweifeln an der Recht­mä­ßigkeit vor. Die Zweifel ergeben sich, weil ein Gesetz, was die Beplanung der bisher unbebauten größeren Flächen der Stadt verbietet, laut Senat gegen das Berück­sich­ti­gungs­gebot des § 1 Abs. 6 BauGB verstoßen könnte. Demnach sind verschiedene städte­bau­liche Belange zu berück­sich­tigen, unter anderem die „Wohnbe­dürf­nisse der Bevöl­kerung“. Zwar sind auch „Belange des Umwelt­schutzes, einschließlich des Natur­schutzes und der Landschafts­pflege“ zu berück­sich­tigen. Durch das Volks­be­gehren würde jedoch ein Belang unzuläs­si­ger­weise über andere priorisiert.

Dennoch ist es nicht klar, wie das Gericht Ende diesen Jahres entscheiden wird. Denn das Berück­sich­ti­gungs­gebot gilt innerhalb laufender Planungs­ver­fahren. Ob es auch eine Art „Vorwirkung“ hat, bevor überhaupt ein Verfahren der Bauleit­planung einge­leitet wurde, ist bisher nicht entschieden. Nicht nur für Hamburg, sondern auch für andere Städte ist die Entscheidung dieses Rechts­streits von Interesse. Denn die Frage, wieweit der Schutz von Freiflächen gehen darf, betrifft viele deutsche Großstädte. (Olaf Dilling)

2023-11-16T17:14:32+01:0016. November 2023|Verwaltungsrecht|

Herstel­ler­ver­ant­wortung im Wasserrecht

Stoffe der Pharma- und Kosme­tik­in­dustrie sind für die Wasser­ent­sorgung und ‑versorgung ein Problem. Denn Haushalts­ab­wässer sind häufig mit Spuren von Arznei­mitteln oder Kosmetika belastet. Das betrifft nicht nur das inzwi­schen bekannte Problem der Mikro­plas­tik­par­tikel, die zum Beispiel in Peelings enthalten sind und sich leicht durch organische Stoffe ersetzen ließen. Es betrifft auch Wirkstoffe aus Arznei­mitteln. Da sie im Körper nicht sofort abgebaut werden dürfen, sind sie oft sehr stabil und bleiben auch in der Umwelt erhalten. Da sie oft nicht nur für Menschen, sondern auch für andere Organismen wirksam sind, führt dies zu starken ökolo­gi­schen Beein­träch­ti­gungen. Für die Wasser­ver­sorgung werden sie dann zum Problem, wenn sie oft mit jahrzehn­te­langer Verzö­gerung irgendwann im Grund­wasser landen.

Umgekippte Tablettenflasche mit verschiedenen Pillen.

Demnach soll für Kläran­lagen in der Europäi­schen Union nun eine weitere, vierte Klärstufe einge­richtet werden: Neben der mecha­ni­schen Säuberung, der biolo­gi­schen „Fermen­tierung“, der chemi­schen Ausfällung von Nährstoffen soll nun noch eine Reinigung durch Aktiv­kohle oder Ozon treten, durch die Mikro­schad­stoffe effektiv heraus­ge­filtert oder oxidiert werden können. Im Gespräch ist dies für Kläran­lagen ab Größen­klasse 3 (mehr als 5.000 Einwohner). Der Kosten­auswand für diesen Umbau ist immens: Insgesamt müssten in der EU jährlich über 6 Milli­arden Euro bereit­ge­stellt werden.

Da die pharma­zeu­tische Industrie und Kosme­tik­in­dustrie als Hersteller der Schad­stoffe in der Verant­wortung sind, soll nach Artikel 9 des Kommis­si­ons­ent­wurfs zur Änderung der Kommu­nal­ab­was­ser­richt­linie 91/271/EEG eine erwei­terte Herstel­ler­ver­ant­wortung einge­führt werden. Diese bezieht sich auf die Hersteller von Arznei­mittel und Kosmetika, die nun für Kosten der vierten Klärstufe aufkommen sollen. Die Hersteller haben jedoch die Möglichkeit nachzu­weisen, dass die Menge der von ihnen betrie­benen Produkte unter zwei Tonnen beträgt oder dass die Produkte keine Quelle von Mikro­schad­stoffen im Abwasser sind. Diese Regelung wurde Mitte Oktober zwischen den Umwelt­mi­nistern der Mitglieds­staaten als Basis für Verhand­lungen mit dem EU-Parlament abgestimmt. Für die kommunale Wasser­wirt­schaft ist diese Regelung aus drei Gründen sinnvoll:

  1. Die Beweis­last­umkehr, nach der Hersteller die Ungefähr­lichkeit ihrer Produkte nachweisen müssen, sorgt dafür, Daten über die Schäd­lichkeit von Arznei­mitteln und Kosmetika zu generieren.
  2. Die Kosten­tragung durch die Hersteller entlastet die Kommunen auch wirtschaftlich bei ihrer Aufgabe der Daseinsvorsorge.
  3. Die Herstel­ler­ver­ant­wortung setzt zugleich Anreize, Mikro­schad­stoffe in Arznei­mitteln und Kosmetika zu vermeiden.

(Olaf Dilling)

2023-11-08T14:53:29+01:008. November 2023|Industrie, Verwaltungsrecht, Wasser|