Konkurrierende Standards im Verkehrsrecht
Seit einiger Zeit stellt ein entfernter Bekannter, der für eine verkehrspolitische NGO arbeitet, unsere Geduld mit einem Gesetzesentwurf nach dem Muster des Berliner Mobilitätsgesetzes auf die Probe: Er hat ihn mit ein paar Mitstreitern für ein kleines Bundesland auf eigene Faust erstellt. Und erwartet nun von uns, sich die Sache doch mal „pro bono“ anzusehen. Irgendwann am Wochenende oder spät abends ist vielleicht Zeit, kurz einen Blick drauf zu werfen, denn tatsächlich ist es ja ganz interessant. Und dass der Entwurf aufgegriffen wird, ist zumindest nicht ausgeschlossen. Aber richtig glücklich sind wir nicht, wenn es Schule machen sollte, dass Gesetze inzwischen nicht nur außerhalb der Ministerien, sondern auch ohne staatliches Budget vorbereitet werden.
Außerdem wurden wir in Berlin-Mitte von Changing Cities zur Vorstellung einer neuen verkehrsplanerischen Richtlinie eingeladen. Am Ende kam uns ein Mandat dazwischen, das dringend bearbeitet werden musste. Aber auch diese Sache ist spannend und hier stellt sich zumindest nicht so sehr die Konkurrenz zu der hoheitlichen Tätigkeit der Ministerialverwaltung: Denn Richtlinien und Hinweise zur Verkehrsplanung sind in Deutschland ohnehin zumeist Privatvergnügen. Bisher gibt es hier quasi ein Monopol eines Vereins, der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV). Deren Standards, etwa die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen – RASt 06, sind in der Praxis z.B. ausschlaggebend dafür, wie breit Gehwege oder Fahrbahnen geplant und gebaut werden sollen oder dass bei Parkständen für Rollstuhlbenutzer auf einer Fahrzeugseite ein lichter Abstand von 1,75 m einzuhalten ist.
Nicht ganz ohne Grund wird die Tatsache immer wieder kritisiert, dass auf diese Weise viele entscheidende Details der Gestaltung des öffentlichen Verkehrsraums von Experten und ohne umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung entschieden werden. Schließlich geht es auch um Umwelt- und Verteilungsfragen, die durchaus politischer Natur sind. Und auch inhaltlich wurde der FGSV lange Zeit vorgeworfen, weiterhin an der autogerechten Stadt als Leitbild festzuhalten. Andererseits zeigt sich, dass zumindest manche Gerichte bei der Auslegung der Straßenverkehrsordnung und ihrer Verwaltungsvorschriften dem Fahrrad- und Fußverkehr noch weniger Platz einräumen, so unlängst das OVG Bremen.
Jedenfalls ging es bei der Vorstellung der Richtlinie um die Gestaltung von Kiezblocks, einem verkehrsplanerischen Thema, dem sich die FGSV noch nicht angenommen hat. Daher konnte die NGO „Changing Cities“ mit ihrer spontan einberufenen Fachgruppe Standards für die Mobilitätswende (FGSM) tätig werden: Unter Kiezblocks versteht sie Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung mit der in urbanen Wohnvierteln – als Mindeststandard – etwa durch gezielt aufgestellte Poller (sog. Modalfilter) der Durchgangsverkehr verhindert wird. Weitere Maßnahmen beinhalten als Regelstandard ein Parkraummanagement, das auf eine Umverteilung des öffentlichen Raums im Viertel abzielt, und als Goldstandard weitere Maßnahmen zur Verkehrswende auf den Hauptstraßen. In der Detailgetreue reicht der Standard noch nicht ganz an diejenigen des Konkurrenten heran, aber trotzdem ist es eine sinnvolle Handreichung für Planungen mit vielen guten Ideen. Außerdem belebt Konkurrenz auf jeden Fall das Geschäft, in den neuen urbanen Fußgängerzonen entgegen häufigen Unkenrufen sogar buchstäblich. (Olaf Dilling)
Rückwirkende Energiepreisbremse für Jan/Feb 23 benachteiligt preisbewusste Kunden
Der Gesetzgeber entlastet derzeit Letztverbraucher durch die geltende Strompreisbremse nach dem StromPBG und der Gas- und Wärmepreisbremse nach dem EWPBG. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind vom Gesetzgeber vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges sehr kurzfristig geschaffen worden und enthalten daher einige Unklarheiten und Lücken.
Um den mit der Abwicklung der Preisbremse und der Verbraucherentlastung betrauten Energieversorger zumindest ein Minimum an Zeit zur Vorbereitung auf den dahinterstehenden Bürokratischen Aufwand zu geben, kommen die Preisbremsen ab dem 01. März 2023 zum Tragen. Um gleichzeitig aber auch die betroffenen Verbraucher frühzeitig zu entlasten, enthält das Gesetz eine Regelung zur rückwirkenden Anwendung der Preisbremse auch für die Monate Januar und Februar 2023 – die im Rahmen der Abrechnung des Monats März 23 mit berücksichtigt werden muss.
Eigentlich ein guter Kompromiss könnte man meinen, allerdings enthält der gesetzlichvorgesehene Mechanismus eine (gewollte oder ungewollte) Schutzlücke.
Die rückwirkende Berechnung der Entlastung für die Monate Januar und Februar 2023 erfolgt nicht auf Basis der tatsächlichen Lieferpreise des Kunden in diesen Monaten sondern vielmehr auf Basis des am 01. März 2023 geltenden Lieferpreises. Das hat allerdings zur Folge, dass Kunden die in den Monaten Januar und Februar einen hohen Energiepreis hatten und dann zum 01. März 2023 in einen günstigeren Tarif gewechselt sind eine geringere Entlastung erhalten als vergleichbare Kunden die auch im März 2023 weiterhin einen hohen Verbrauchspreis schuldeten – eben weil für die Berechnung der Erstattung für Januar und Februar der im März geltende Preis maßgeblich ist. Das kann im Einzelfall zur Folge haben, dass ein Wechselkunde der auf einen günstigen Preis geachtet hat am Ende mehr zahlt als ein Vergleichskunde der im fortlaufend hohen Tarif verblieben ist. Das erscheint im Ergebnis ungerecht.
(Christian Dümke)
Stromentnahme durch Batteriespeicher
Batteriespeicher sind ein wichtiges Element für die Nutzung erneuerbarer Energien. Vor allem können sie dazu dienen, den Eigenverbrauch von selbst erzeugtem Strom zu optimieren. Dadurch kann die Differenz zwischen dem Preis für aus dem Versorgungsnetz entnommenen Strom und dem Preis für selbst eingespeisten Strom überbrückt werden, was sich auch wegen der unter Umständen gesparten Steuern, Entgelte und Umlagen lohnen kann. Gerade nach Wegfall der EEG-Umlage lohnt sich die Erzeugung von erneuerbaren Energien primär für den Eigenverbrauch, der mit einem entsprechenden Speicher erhöht werden kann.
Batteriespeicher können auch auf der Netzebene eine sinnvolle Funktion erfüllen. Denn sie können helfen, durch Entnahme Kapazitätsengpässe auszugleichen und zu Spitzenlastzeiten den entnommenen Strom wieder einzuspeisen. Rein quantitativ wird dieser Effekt des Ausgleichs durch Batteriespeicher zwar manchmal überschätzt, da die aktuelle Kapazität noch sehr gering ist. Dennoch ist es sinnvoll, dass der Gesetzgeber hier Anreize setzt, um den Bau weiterer Batteriespeicher zu fördern.
Daher gibt es Vergünstigungen für Batteriespeicher, die nicht – oder nicht ausschließlich – der Maximierung des Eigenverbrauchs dienen, sondern netzdienlich betrieben werden. So entfällt gemäß § 5 Abs. 4 Stromsteuergesetz (StromStG) die Stromsteuer unter bestimmten Voraussetzungen. Denn in dieser Vorschrift ist seit dem 01.07.2019 die gesetzliche Fiktion enthalten, dass stationäre Batteriespeicher Teil des Versorgungsnetzes seien. Der in ihnen gespeicherte Strom wird zwar von elektrischer Energie in der Regel vorübergehend in chemische Energie umgewandelt. Er wird dem Versorgungsnetz dadurch jedoch nicht entnommen. Darüber hinaus gibt es auch in der Rechtsprechung es eine Tendenz, die „Entnahme“ im Sinne des Energiesteuerrechts nur dann anzunehmen, wenn zugleich eine „eliminierende Nutzung“ des Stroms erfolgt (VII R 7/15, vom 24.02.2016 – BFHE 252, 568).
Nach § 118 (Energiewirtschaftsgesetz) EnWG gibt es bis 2025 auch für die Entgelte zur Netznutzung eine Ausnahme für neue Batteriespeicher. Die Speicher sind für 20 Jahre von Netznutzungsentgelten befreit. Auch hier wird allerdings vorausgesetzt, dass die elektrische Energie zur Speicherung aus einem Transport- oder Verteilernetz entnommen und die zur Ausspeisung zurückgewonnene elektrische Energie zeitlich verzögert wieder in dasselbe Netz eingespeist wird. (Olaf Dilling)
Die WEG und die Balkon-PV: Anmerkung zu AG Konstanz, Urteil vom 09.02.2023 – 4 C 425/22
Die Entscheidung selbst ist schnell erzählt: Wir haben eine Wohnung, zwei Wohnungseigentümerinnen und einen Balkon. Der Mieter der Wohnungseigentümerinnen bringt an diesem Balkoneine PV-Anlage, ein „Balkonkraftwerk“ an. Die anderen Wohnungseigentümer sind aber dagegen. Auf der Eigentümerversammlung wird deswegen beschlossen, dass der Verwalter gegen die PV-Anlage vorgehen soll. Die Wohnungseigentümerinnen klagen gegen diesen Beschluss und verlieren.
Was sagt das AG Konstanz?
Das AG Konstanz lehnt einen Anspruch auf Genehmigung der Solaranlage ab. Für bauliche Veränderungen brauchen Wohnungseigentümer nach § 20 Abs. 1 WEG einen Beschluss. Und einen Anspruch auf einen solchen Beschluss nach § 20 Abs. 2 WEG gibt es zwar für Walllboxen oder Glasfaser, aber nicht für Balkonkraftwerke, die auch qua Größe nicht als bloßer Wurmfortsatz zur Wallbox anzusehen sind. Es sei auch nicht so, dass das Balkonkraftwerk kein Nachteil für die anderen Eigentümer darstellen würde, weil der optische Eindruck durch das schwarze Paneel eine Beeinträchtigung darstellen könne.
Was halten wir von der Entscheidung?
Juristisch wirkt die Entscheidung durchaus überzeugend. Aber kann das so ein sinnvolles Egebnis sein? Schließlich soll der Anteil Erneuerbarer Energien steigen und Strom, der im Haus bleibt,entlastet die Netze. Damit ist also der Gesetzgeber gefragt: § 20 Abs. 1 WEG sollte um Balkonkraftwerke oder generell um Anlagen, die der Nutzung Erneuerbarer Energien dienen, zumindest bis zu einer gewissen Größe erweitert werden (Miriam Vollmer).
Das Ende der (fossilen) Tankstelle?
In der Politik wird noch über ein Verbrennerverbot 2025 gestritten, in der Tankstellenbranche ist man dagegen teilweise schon weiter. Der französische Tankstellenbetreiber Total Energies hat diese Woche bekannt gegeben seine 1.200 Tankstellen in Deutschland zu verkaufen und sich künftig auf das Geschäft mit Ladesäulen zu fokussieren. Der Konzern hat damit bisher ca. 1/3 des deutschen Tankstellennetzes abgedeckt.
Als Grund für den Rückzug aus dem Geschäft mit den fossilen Brennstoffen hat Total die von der EU angestrebte Klimaneutralität sowie das geplante ende des Verbrennungsmotors angegeben. Total Energies hat sich seit 2015 bereits von Tankstellen in Italien, in der Schweiz und in Großbritannien getrennt.
In seiner Pressemitteilung verkündet das Unternehmen sich im Bereich der neuen Mobilitätsformen offensiv entwickeln zu wollen. Im Strombereich beschleunige das Unternehmen den Ausbau der Ladestationen an den Hauptverkehrsadern und in den Großstädten Europas. Im Wasserstoffsektor baue das Unternehmen zusammen mit Air Liquide ein europäisches Wasserstoffnetz für Lkw auf.
Werden bald andere Tankstellenbetreiber folgen? Auch der Kraftstoffanbieter Shell setzt auf erneuerbare Energien.
So will Shell im Werk Wesseling ab 2025 kein Rohöl mehr verarbeiten, sondern Wasserstoff und Biokraftstoffe produzieren. 2021 nahm Shell die Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff auf dem Gelände der Rheinland Raffinerie in Wesseling in Betrieb. Das Ziel von Shell ist es, laut Eigendarstellung auf der Website bis 2050 ein Energieunternehmen mit Netto Null Emissionen zu werden.
(Christian Dümke)
Was will denn nun die FDP?
Die FDP ist zuletzt nicht mit klimaschutzpolitischem Elan aufgefallen. Dass nun ausgerechnet die FDP-Politiker Köhler und Vogel ein Papier zur Reform des BEHG vorgelegt haben, macht deswegen erst einmal viele misstrauisch. Könnte es sich möglicherweise um ein reines Ablenkungsmanöver oder den Versuch einer Verschleierung der wieder nicht gesunkenen Verkehrsemissionen handeln? Aber schauen wir uns die Sache einmal an:
In den ersten Zeilen vertieft das Diskussionspapier der beiden Liberalen den Argwohn, hier solle etwas versteckt werden. Statt jährlicher Sektorziele soll es nur noch eine „mehrjährige sektorübergreifende Gesamtrechnung“ geben. Das wäre natürlich schön für eine Partei, die das Verkehrsministerium besetzt und nicht plant, hier Emissionen abzuschmelzen. Doch der dann folgende praktische Vorschlag des Diskussionspapiers kann sich durchaus sehen lassen:
Aktuell – das ist vielfach nicht bekannt – gibt es für Brenn- und Treibstoffe, die außerhalb von großen Industrieanlagen und Kraftwerken verbrannt werden, so eine Art Emissionshandels-Attrappe. Wieso Attrappe? Weil der Co2-Preis nach dem BEHG nicht auf einer Begrenzung der Zertifikate beruht, sondern eher eine Art Steuer für eine letztlich unbegrenzte Emission darstellt, derzeit in Höhe von nur 30 EUR/t CO2. Emittieren die Deutschen zu viel, kommt der Bund für die damit verbundene Verletzung von europäischem Recht auf.
An diesem Design will die FDP nun etwas ändern. Es soll schon ab 2024 ein echtes Cap geben, und zwar abgeleitet von der EU-Lastenteilungsverordnung. Mit anderen Worten: Es soll nur noch so viele Zertifikate geben, wie Deutschland nach der Lastenteilungsverordnung zustehen. Diese sollen dann versteigert werden, so dass sich ein „echter Preis“ statt der staatlich fixierten 35 EUR bildet, der derzeit in § 10 Abs. 2 Nr. 3 BEHG für 2024 vorgesehen ist. Wie hoch dieser Preis ausfallen wird, ist naturgemäß offen, als sicher gilt aber: Er wird deutlich höher ausfallen, wahrscheinlich würde er dreistellig sein.
Ein solcher CO2-Preis würde vermutlich schnell für Emissionsminderungen sorgen. Gleichzeitig trifft eine solche Regelung Menschen hart, die sich darauf verlassen haben, dass die finanziellen Parameter von Heizen und Mobilität sich nicht grundlegend ändern. Denn ein Stromtarif ist schnell gewechselt, aber wer ein Haus gekauft hat und pendelt oder noch mit Öl heizt, kann das nicht über Nacht verändern. Die Liberalen schlagen deswegen vor, auf die Flexíbilitätsoptionen der Lastenteilungs-VO zurückzugreifen, die in deren Art. 5 geregelt sind. Hiernach können 10% (bis 2025) bzw. 5% (bis 2029) Emissionsrechte für das jeweilige Folgejahr vorweggenommen werden. Im selben Umfang kann man Emissionszuweisungen von anderen Mitgliedstaaten übertragen bekommen, also kaufen.
Macht das den Vorschlag der Liberalen zu einer Mogelpackung? Es ist sicherlich nicht der radikalste denkbare Vorschlag. Aber die Flexibilitätsmechanismen nutzt der Bund auch schon heute, denn Verkehr und Gebäude emittieren ja wegen des viel zu günstigen CO2-Preises zu viel. Der Vorschlag beinhaltet also weniger Klimaschutz in Deutschland, als eigentlich vorgesehen. Aber deutlich mehr, als es aktuell der Fall ist. Insofern: Daumen hoch für den Klimaschutzfaktor dieses Vorschlags. Dass das eingenommene Geld an alle Bürgerinnen und Bürger zurückgezahlt werden soll, ist im Koalitionsvertrag vereinbart, es ist aber auch wichtig, auf diesen Punkt immer wieder hinzuweisen.
Was indes leider offen bleibt, ist die Frage, wie sich dieser Emissionshandel 2 zum ETS II verhalten soll, der bis 2027 eingeführt weren soll. Hier sollen die Zertifikate zunächst auf niedrigem Niveau stabilisiert werden, indem zunächst schon bei 45 EUR zusätzliche Zertifikate versteigert werden und der Preis so gesenkt werden soll. Sinnvoll wäre es auch im Sinne langfristiger Planungssicherheit, einen deutschen Price Floor direkt fest zu regeln, um Investitionssicherheit zu schaffen. An diesem Punkt bedarf der Vorschlag also noch dringend der Konkretisierung (Miriam Vollmer).