Zwischen­händler hat Erstat­tungs­an­spruch nach StromPBG: Zu LG Stuttgart v. 27.06.2024, 30 O 19/24

Ein Konzern betreibt Alten- und Pflege­heime und hat für die Energie­ver­sorgung eine Service­tochter gegründet. Diese schließt Vorlie­fe­ran­ten­ver­träge mit Dritten ab und Strom­lie­fer­ver­träge mit den verbun­denen Einrich­tungen. Die Liefe­ran­ten­rah­men­ver­träge mit dem jeweils örtlichen Netzbe­treiber hält jeweils der Vorversorger.

Nun kommt die Gaspreis­krise. Der Gesetz­geber erlässt das Strom­preis­brem­se­gesetz (StromPBG) und gewährt darin den Letzt­ver­brau­chern eine Entlastung, die deren Elektri­zi­täts­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen gewähren sollen. Diese wiederum erhalten eine Erstattung vom Übertra­gungs­netz­be­treiber. Doch statt auf den etablierten Begriff des Energie­ver­sorgers abzustellen, der Strom an Dritte liefert, verlangt der Gesetz­geber eine Lieferung „über ein Netz“, § 2 Nr. 6 StromPBG.

Nun liegen einige der Einrich­tungen in Baden-Württemberg. Übertra­gungs­netz­be­treiber ist die TransNet BW. Diese prüft und kommt zum Ergebnis, hier liege keine Lieferung über ein Netz vor. Die Service­tochter sei deswegen Letzt­ver­brau­cherin, ihre Marge nicht ersatz­fähig. Se verweigert die Erstattung. Die Service­tochter klagt.

Das Landge­richt (LG) Stuttgart hat mit Urteil vom 27.06.2024 – 30 O 19/24 – nunmehr – wie in ähnlicher Sache bereits das LG Bayreuth, Urt. v. 30.11.2023 – 1 HK O 30/23 – der von uns vertre­tenen Service­tochter recht gegeben. Während der ÜNB meint, hier würden die Pflege­heime nicht über, sondern hinter dem Netz versorgt, bestätigt das LG Stuttgart, dass auch Zwischen­händler über ein Netz versorgen. Die Fiktion einer Art virtu­eller Kunden­anlage, die die TransNet BW konstru­ieren wollte, führt nach Ansicht des Gerichts zu einer Benach­tei­ligung der Endkunden. Das habe auch der Gesetz­geber nicht gewollt. Wenn dies mehrfache Entlas­tungen ermög­liche, die keiner bemerkt, wie die Übertra­gungs­netz­be­trei­berin vorge­tragen hat, so sei dies ein Problem der Regelungs­me­chanik, das der Service­tochter und ihren Kunden nicht zur Last fallen könnte.

Die Entscheidung ist noch nicht rechts­kräftig, Berufung ist angekündigt (Miriam Vollmer).

2024-07-05T19:43:21+02:005. Juli 2024|Allgemein|

Letzt­ver­braucher vs. Haushalts­kunde – Das OLG Düsseldorf zur Auslegung des § 41 Abs. 3 EnWG (alte Fassung)

Es gibt einen Rechts­streit um die Auslegung des § 41 Abs. 3 EnWG in der bis zum 27. Juli 2023 geltenden Fassung. Dort heißt es nämlich:

Liefe­ranten haben Letzt­ver­braucher recht­zeitig, in jedem Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrech­nungs­pe­riode und auf trans­pa­rente und verständ­liche Weise über eine beabsich­tigte Änderung der Vertrags­be­din­gungen und über ihre Rücktritts­rechte zu unter­richten.

Der Wortlaut der Norm ist auf den ersten Blick eigentlich recht eindeutig. Insbe­sondere weil der Gesetz­geber in § 3 Nr. 25 EnWG auch definiert hat, wer „Letzt­ver­braucher“ im Sinne des EnWG ist. Aller­dings hat der Gesetz­geber gleich­zeitig dem gesamten § 41 EnWG seinerzeit die Überschrift „Energie­lie­fer­ver­träge mit Haushalts­kunden“ gegeben. Und Haushalts­kunden sind nach der gesetz­lichen Definition in § 3 Nr. 22 EnWG eine wesentlich kleinere Gruppe als Letztverbraucher.

Aus diesem Grund gibt es unter Juristen einen Streit, ob die Anfor­de­rungen des § 41 Abs. 3 EnWG a.F. jetzt wirklich für alle Letzt­ver­braucher gilt – wie es der Wortlaut nahelegt – oder ob der Gesetz­geber hier einen redak­tio­nellen Fehler begangen hat und eigentlich „Haushalts­kunden“ meint, wenn er von „Letzt­ver­brau­chern“ spricht, mit der folge dass der gesetz­liche Anwen­dungs­be­reich auf Haushalts­kunden zu beschränken ist.

Diese Auffassung vertritt derzeit zumindest das OLG Düsseldorf in einem uns vorlie­genden Hinweis­be­schluss vom 03. Juli 2024. Das OLG führt dort aus:

§ 41 Abs. 3 EnWG findet indessen auf Letzt­ver­braucher außerhalb der Grund­ver­sorgung, die keine Haushalts­kunden sind, keine Anwendung. Zwar spricht die Norm – anders als die übrigen Absätze des § 41 EnWG aF – von Letzt­ver­brau­chern anstatt von Haushalts­kunden. Dennoch ist ihr Anwen­dungs­be­reich auf Haushalts­kunden beschränkt. Hierfür sprechen Syste­matik sowie Sinn und Zweck der Norm. Bereits die amtliche Überschrift beschränkt den Anwen­dungs­be­reich von § 41 EnWG aF ausdrücklich auf Haushalts­kunden. Die Zusam­men­schau aller anderen Regelungen des § 41 EnWG aF, in denen ebenfalls nur von Haushalts­kunden die Rede ist, zeigt, dass der Gesetz­geber (nur) Haushalts­kunden im libera­li­sierten Markt­umfeld einen beson­deren Schutz zukommen lassen wollte. Eine Adres­sierung von größeren Gewer­be­kunden und Indus­trie­kunden war nicht inten­diert. Auch die Geset­zes­be­gründung enthält weder eine Begründung für eine Diffe­ren­zierung im Rahmen der Norm zwischen Haushalts­kunden und Letzt­ver­brau­chern, noch sonst irgend­einen Hinweis auf eine solche Diffe­ren­zierung. Für dieses Normver­ständnis spricht schließlich auch die grund­le­gende Neufassung des § 41 EnWG durch das Gesetz vom 16.07.2021, der nun die Diffe­ren­zierung zwischen Grund­ver­sor­gungs- und sonstigen Liefer­ver­hält­nissen sowie diejenige zwischen Haushalts­kunden und Letzt­ver­brau­chern aufgibt und sowohl in der amtlichen Überschrift als auch in allen übrigen Regelungen ausdrücklich nur noch die Letzt­ver­braucher adres­siert. Die Verwendung des Letzt­ver­brau­cher­be­griffs in § 41 Abs. 3 EnWG aF wird dementspre­chend nach herrschender Auffassung zu Recht als Redak­ti­ons­ver­sehen bewertet.“

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

(Christian Dümke)

2024-07-05T16:43:15+02:005. Juli 2024|Grundkurs Energie, Rechtsprechung|

VG Gelsen­kirchen: Radent­scheide fragen zu viel!

Wir hatten an dieser Stelle vor einem Jahr schon einmal anlässlich der Entscheidung des Bayri­schen Verfas­sungs­ge­richtshofs über die Frage der recht­lichen Zuläs­sigkeit von sogenannten Radent­scheiden berichtet. Damals war es vor allem und die Frage der Kompe­tenz­auf­teilung zwischen Bund und Ländern bzw. Gemeinden gegangen. Im März hat es zu Radent­scheiden eine weitere Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts (VG) Gelsen­kirchen gegeben. Diese Entscheidung verdeut­licht, welche kommu­nal­po­li­ti­schen Voraus­set­zungen Bürger­ent­scheide haben, die bei Radent­scheiden mitunter nicht gegeben sind.

Typischer­weise handelt es sich bei Radent­scheide um Bürger­ent­scheide, die eine program­ma­tische Förderung des Radver­kehrs mit einem mehr oder weniger konkret ausfor­mu­lierten Maßnah­men­paket kombi­nieren. Das sah das VG Gelsen­kirchen im Fall des Radent­scheids Bochum als ein recht­liches Problem an. Denn Bürger­be­gehren mit einem Programm unter­schied­licher Maßnahmen würden gegen das Kopplungs­verbot und den Bestimmt­heit­grundsatz verstoßen.

In Nordrhein-Westfalen ergäbe sich dies aus den Vorgaben des § 26 der Gemein­de­ordnung (GO) NRW. Denn in dieser Vorschrift sind in Nordrhein-Westfalen die Möglich­keiten geregelt, über Bürger­be­gehren und Bürger­ent­scheid als Elementen direkter Demokratie Einfluss auf die Kommu­nal­po­litik zu nehmen. Und in ihr ist davon die Rede, dass die Bürger in Form eines Bürger­be­gehrens beantragen können, dass sie an Stelle des Rates über eine Angele­genheit der Gemeinde selbst entscheiden (sogenannter Bürgerentscheid). 

Wohlge­merkt wird im Singular von der Möglichkeit gesprochen „eine Angele­genheit“ zu entscheiden. Im zweiten Absatz ist von der zur Entscheidung zu bringenden Frage die Rede. Beides versteht das Gericht in dem Sinne, dass es sich nicht um mehrere unter­schied­liche Fragen handeln darf, die zu einem komplexen Paket geschnürt werden (Kopplungs­verbot). Wenn der Bürger­ent­scheid doch mehrere Fragen enthält, so müssen jeden­falls in einem engem Sachzu­sam­menhang stehen. Schließlich können die Bürger die Fragen bei der Entscheidung auch nur gemeinsam mit einer „Ja“-/„Nein“-Entscheidung beant­worten. Diesen Zusam­menhang hat das Gericht beim Radent­scheid Bochum verneint, da sieben unter­schied­liche Maßnahmen zur Abstimmung stehen sollten, darunter der Ausbau der Radin­fra­struktur, Freigabe von Einbahn­straßen in die Gegen­richtung oder sicherer Umbau von Kreuzungsbereichen.

Für die Initia­tiven zu Radent­scheiden ist die Entscheidung sicher enttäu­schend. Aller­dings ist sie auch vor dem Hinter­grund einer klaren demokra­ti­schen Verant­wortung der Kommunen zu sehen, die zwar einzelne, klar abgrenzbare Fragen den Bürgern zur Entscheidung überant­worten können. Die Entscheidung über komplexere Programme, die häufig auch noch weiterer Umset­zungs­ent­schei­dungen bedürfen, sollte aber dem Gemein­derat vorbe­halten sein, um die Verant­wortung der gewählten Reprä­sen­tanten klar zu halten. (Olaf Dilling)

 

 

2024-07-05T04:25:41+02:005. Juli 2024|Kommentar, Kommunalrecht, Rechtsprechung, Verkehr|