Letzt­ver­braucher vs. Haushalts­kunde – Das OLG Düsseldorf zur Auslegung des § 41 Abs. 3 EnWG (alte Fassung)

Es gibt einen Rechts­streit um die Auslegung des § 41 Abs. 3 EnWG in der bis zum 27. Juli 2023 geltenden Fassung. Dort heißt es nämlich:

Liefe­ranten haben Letzt­ver­braucher recht­zeitig, in jedem Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrech­nungs­pe­riode und auf trans­pa­rente und verständ­liche Weise über eine beabsich­tigte Änderung der Vertrags­be­din­gungen und über ihre Rücktritts­rechte zu unter­richten.

Der Wortlaut der Norm ist auf den ersten Blick eigentlich recht eindeutig. Insbe­sondere weil der Gesetz­geber in § 3 Nr. 25 EnWG auch definiert hat, wer „Letzt­ver­braucher“ im Sinne des EnWG ist. Aller­dings hat der Gesetz­geber gleich­zeitig dem gesamten § 41 EnWG seinerzeit die Überschrift „Energie­lie­fer­ver­träge mit Haushalts­kunden“ gegeben. Und Haushalts­kunden sind nach der gesetz­lichen Definition in § 3 Nr. 22 EnWG eine wesentlich kleinere Gruppe als Letztverbraucher.

Aus diesem Grund gibt es unter Juristen einen Streit, ob die Anfor­de­rungen des § 41 Abs. 3 EnWG a.F. jetzt wirklich für alle Letzt­ver­braucher gilt – wie es der Wortlaut nahelegt – oder ob der Gesetz­geber hier einen redak­tio­nellen Fehler begangen hat und eigentlich „Haushalts­kunden“ meint, wenn er von „Letzt­ver­brau­chern“ spricht, mit der folge dass der gesetz­liche Anwen­dungs­be­reich auf Haushalts­kunden zu beschränken ist.

Diese Auffassung vertritt derzeit zumindest das OLG Düsseldorf in einem uns vorlie­genden Hinweis­be­schluss vom 03. Juli 2024. Das OLG führt dort aus:

§ 41 Abs. 3 EnWG findet indessen auf Letzt­ver­braucher außerhalb der Grund­ver­sorgung, die keine Haushalts­kunden sind, keine Anwendung. Zwar spricht die Norm – anders als die übrigen Absätze des § 41 EnWG aF – von Letzt­ver­brau­chern anstatt von Haushalts­kunden. Dennoch ist ihr Anwen­dungs­be­reich auf Haushalts­kunden beschränkt. Hierfür sprechen Syste­matik sowie Sinn und Zweck der Norm. Bereits die amtliche Überschrift beschränkt den Anwen­dungs­be­reich von § 41 EnWG aF ausdrücklich auf Haushalts­kunden. Die Zusam­men­schau aller anderen Regelungen des § 41 EnWG aF, in denen ebenfalls nur von Haushalts­kunden die Rede ist, zeigt, dass der Gesetz­geber (nur) Haushalts­kunden im libera­li­sierten Markt­umfeld einen beson­deren Schutz zukommen lassen wollte. Eine Adres­sierung von größeren Gewer­be­kunden und Indus­trie­kunden war nicht inten­diert. Auch die Geset­zes­be­gründung enthält weder eine Begründung für eine Diffe­ren­zierung im Rahmen der Norm zwischen Haushalts­kunden und Letzt­ver­brau­chern, noch sonst irgend­einen Hinweis auf eine solche Diffe­ren­zierung. Für dieses Normver­ständnis spricht schließlich auch die grund­le­gende Neufassung des § 41 EnWG durch das Gesetz vom 16.07.2021, der nun die Diffe­ren­zierung zwischen Grund­ver­sor­gungs- und sonstigen Liefer­ver­hält­nissen sowie diejenige zwischen Haushalts­kunden und Letzt­ver­brau­chern aufgibt und sowohl in der amtlichen Überschrift als auch in allen übrigen Regelungen ausdrücklich nur noch die Letzt­ver­braucher adres­siert. Die Verwendung des Letzt­ver­brau­cher­be­griffs in § 41 Abs. 3 EnWG aF wird dementspre­chend nach herrschender Auffassung zu Recht als Redak­ti­ons­ver­sehen bewertet.“

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

(Christian Dümke)

2024-07-05T16:43:15+02:005. Juli 2024|Grundkurs Energie, Rechtsprechung|

Was ist eigentlich „Energy Sharing“?

Nach Mieter­strom und Gebäu­de­ver­sorgung ist „Energy Sharing“ ein neues Schlagwort im Rahmen dezen­traler Energie­ver­sor­gungs­kon­zepte. Aber was versteht man eigentlich genau darunter?

Nach EU-Recht bezeichnet der Begriff „Energy Sharing“ (Energie teilen) eine Praxis, bei der mehrere Akteure gemeinsam Energie erzeugen, verbrauchen, speichern oder verkaufen, um die Energie­ef­fi­zienz zu steigern, die Kosten zu senken und die Nutzung erneu­er­barer Energien zu fördern. Diese Praxis kann verschiedene Formen annehmen und wird durch verschiedene EU-Richt­linien und Verord­nungen unter­stützt, insbe­sondere durch die Richt­linie (EU) 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneu­er­baren Quellen (Erneu­erbare-Energien-Richt­linie II) und die Richt­linie (EU) 2019/944 über gemeinsame Regeln für den Elektri­zi­täts­bin­nen­markt (Strom­markt­richt­linie).

Hier sind einige wesent­liche Aspekte des „Energy Sharing“ nach EU-Recht:

  1. Erneu­erbare-Energien-Gemein­schaften (Renewable Energy Commu­nities, REC): Diese Gemein­schaften bestehen aus einer Gruppe von Akteuren (z. B. Bürger, lokale Behörden, kleine und mittlere Unter­nehmen), die gemeinsam Projekte zur Erzeugung erneu­er­barer Energie entwi­ckeln und betreiben. Ziel ist es, die lokale Erzeugung und Nutzung erneu­er­barer Energie zu fördern und den Energie­ver­brauch nachhal­tiger zu gestalten.
  2. Bürger­en­er­gie­ge­mein­schaften (Citizen Energy Commu­nities, CEC): Diese Gemein­schaften können neben der Erzeugung erneu­er­barer Energien auch andere Energie­formen und ‑dienste umfassen. Sie können Energie erzeugen, verteilen, speichern, liefern oder Energie­dienst­leis­tungen anbieten. Sie haben das Ziel, Bürgern mehr Einfluss auf die Energie­ver­sorgung zu geben und lokale Gemein­schaften zu stärken.
  3. Gemeinsame Nutzung von Energie­infra­struk­turen: Dies beinhaltet die gemeinsame Nutzung von Infra­struktur zur Energie­er­zeugung, ‑speicherung und ‑verteilung, um Kosten zu senken und die Effizienz zu erhöhen. Beispiele sind gemeinsame Photo­vol­ta­ik­an­lagen, Batte­rie­speicher oder Wärmenetze.
  4. Recht­licher Rahmen und Anreize: Die EU hat einen recht­lichen Rahmen geschaffen, der solche Gemein­schaften unter­stützt und fördert. Dazu gehören Regelungen, die den Zugang zum Netz, die Abrechnung und die Einspei­se­tarife für gemein­schaftlich erzeugte Energie erleichtern.
  5. Finan­zielle Unter­stützung und Förder­pro­gramme: Es gibt verschiedene EU-Förder­pro­gramme und finan­zielle Unter­stüt­zungen, die darauf abzielen, Energie-Sharing-Initia­tiven zu fördern. Diese Programme bieten finan­zielle Anreize und technische Unter­stützung für die Gründung und den Betrieb von Energie-Gemeinschaften.

Der Ansatz des „Energy Sharing“ zielt darauf ab, die Energie­ver­sorgung dezen­traler und parti­zi­pa­tiver zu gestalten, die Integration erneu­er­barer Energien zu fördern und den Bürgern mehr Kontrolle über ihre Energie­quellen und ‑kosten zu geben.

(Christian Dümke)

2024-06-14T14:17:51+02:0014. Juni 2024|Energiepolitik, Grundkurs Energie, Vertrieb|

Netzengpass in Orani­enburg: Der Anspruch auf Netzanschluss

Wir berich­teten hier neulich über die aktuelle besondere Netzsi­tuation in der Stadt Orani­enburg, bei der wegen einem Netzengpass derzeit keinen neuen Strom­netz­an­schlüsse mehr erstellt werden (können) bis ein benötigtes Umspannwer fertig ist. Aber wie sieht es rechtlich aus?

Hausbe­sitzer und sonstige Anschluss­nehmer haben grund­sätzlich einen Anspruch darauf, an das Stromnetz angeschlossen zu werden, sofern bestimmte Bedin­gungen erfüllt sind. Dieser Anspruch auf Netzan­schluss ist ein wichtiger Bestandteil der Energie­ver­sorgung und trägt dazu bei, sicher­zu­stellen, dass alle Bürger Zugang zu elektri­scher Energie haben, was heutzutage von entschei­dender Bedeutung ist.

Gemäß den geltenden Vorschriften und Gesetzen haben Hausbe­sitzer das Recht, eine Verbindung zum Stromnetz zu beantragen und von ihrem Strom­ver­teil­netz­be­treiber einen Anschluss zu erhalten. Diese Regelung gilt in den meisten Ländern und wird als Grund­prinzip des Energie­rechts betrachtet. Der Strom­ver­teil­netz­be­treiber ist verpflichtet, diesen Anschluss bereit­zu­stellen, sofern keine außer­ge­wöhn­lichen Umstände vorliegen.

Es gibt jedoch zwei wesent­liche Ausnahmen von diesem Grundsatz:

  1. Der Netzan­schluss ist dem Netzbe­treiber wirtschaftlich nicht zumutbar: In manchen Fällen kann es für den Netzbe­treiber finan­ziell unren­tabel sein, einen Anschluss bereit­zu­stellen, insbe­sondere wenn die Kosten für die Errichtung oder Erwei­terung des Strom­netzes unver­hält­nis­mäßig hoch sind im Vergleich zum erwar­teten Nutzen. In solchen Fällen kann der Netzbe­treiber den Antrag auf Netzan­schluss ablehnen.
  2. Der Netzan­schluss ist technisch unmöglich: Es gibt Situa­tionen, in denen es aus techni­schen Gründen nicht möglich ist, einen Anschluss zum Stromnetz herzu­stellen. Dies kann beispiels­weise der Fall sein, wenn das betref­fende Gebiet zu abgelegen ist oder wenn die Infra­struktur des Strom­netzes nicht ausreicht, um zusätz­liche Anschlüsse zu ermöglichen.

In beiden Fällen muss der Strom­ver­teil­netz­be­treiber jedoch nachweisen, dass die Ablehnung des Netzan­schlusses gerecht­fertigt ist und dass alle anderen möglichen Optionen geprüft wurden. Zudem haben Hausbe­sitzer in der Regel das Recht, gegen die Entscheidung des Netzbe­treibers Einspruch einzu­legen und gegebe­nen­falls recht­liche Schritte einzu­leiten, um ihren Anspruch auf Netzan­schluss durchzusetzen.

Im Fall Orani­enburg dürfte – zumindest auf Basis der bekannten Presse­be­richte – der Fall der Unmög­lichkeit vorliegen. Zwar kann weiterhin physisch ein Netzan­schluss herge­stellt werden, aber die Nutzung würde die netzsta­bi­lität und Versor­gungs­si­cherheit gefährden. Dies berechtigt aber selbst­ver­ständlich nicht zur dauer­haften Verwei­gerung des Netzan­schlusses, da gleich­zeitig eine Pflicht des Netzbe­treibers zum Netzausbau besteht um nach Fertig­stellung den Grund der Unmög­lichkeit zu beseitigen.

(Christian Dümke)

2024-05-16T23:22:57+02:0016. Mai 2024|Grundkurs Energie, Netzbetrieb, Strom|