VG Berlin zur Tucholskystraße: Der Wink mit dem Verkehrspoller
Gerichte sind sich manchmal durchaus bewusst, dass ihre Entscheidungen in einer bestimmten Zeit getroffen werden – und dass diese Zeiten sich auch ändern. So meinte Anfang dieser Woche ein Hamburger Verwaltungsrichter, dass die Zeit für eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers und der Schulwegsicherheit seiner Kinder noch nicht reif sei, „in 10 Jahren vielleicht“. Schwacher Trost für unseren Mandanten, dessen Kinder jetzt klein sind und jetzt auf dem aktuell zum Teil komplett zugeparkten Gehweg auf dem Weg zu Kita und Schule Fahrradfahren lernen wollen.
Noch klarer ist das Problem bei einer aktuellen Entscheidung des VG Berlin. Es ging um eine Eilentscheidung. Anwohner der Tucholskystraße hatten vorläufigen Rechtsschutz gegen Poller in der Tucholskystraße beantragt, mit denen der motorisierte Durchgangsverkehr an der Nutzung der dortigen Fahrradstraße gehindert werden soll. Nun ist die Straßenverkehrsordnung bisher bei der Bereitstellung von Raum für Fußgänger und Fahrradfahrer sehr knausrig: Jede Beschränkung des Verkehrs – und das ist bislang vor allem der Kfz-Verkehr – muss mit einer qualifizierten Gefahr begründet werden, z.B. eine Häufung schwerer Verkehrsunfälle.
Das soll und muss sich ändern, jedenfalls nach dem Willen des Verordnungsgebers: Der hat letzten Monat beschlossen, dass die „Bereitstellung angemessener Flächen für den fließenden und ruhenden Fahrradverkehr sowie für den Fußverkehr“ ermöglicht werden soll. Begründet werden kann dies mit dem Schutz der Umwelt, auch Klimaschutz, dem Gesundheitsschutz oder der Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung. Berücksichtigt werden muss die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt und die Sicherheit des Verkehrs darf nicht beeinträchtigt werden.
Das Gericht traf deshalb die Entscheidung, dass das Aufstellen der Poller voraussichtlich nicht rechtmäßig sei. Denn „nach derzeitiger Rechtslage“ seien Verkehrseinschränkungen und ‑verboten mit der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs, nicht aber wegen außerhalb des Straßenverkehrs zu verortender Gefahren oder aus stadtplanerischen Erwägungen zu begründen. Für das Bezirksamt, das die Poller aufgestellt hat, muss das wie ein Wink mit dem Poller wirken, auf Zeit zu spielen und Berufung einzulegen. Denn dann wird irgendwann in der Hauptsache nach neuer Rechtslage entschieden und die Poller können voraussichtlich bleiben.
Auch bei Planungen mit Verkehrswendebezug sollten Kommunen jetzt schon daran denken, wie sie die Umsetzung von Maßnahmen so „timen“, dass sie von den Möglichkeiten der neuen StVO profitieren können. (Olaf Dilling)