Fahrradstadt Berlin: Zerplatzter Pop-up-Traum?
Für alle, die in Berlin viel Fahrrad fahren, war es fast zu schön, um wahr zu sein: Die geschützten Pop-up-Fahrradstreifen, die sich von Kreuzberg ausgehend, überall in der Stadt auf mehrspurigen Straßen breit machen. Angesichts der Einschränkungen des öffentlichen Verkehrs und der Sorgen wegen Ansteckung schien die Initiative wie ein Lichtblick zu Zeiten der Pandemie. Als Gegenpol zu Quarantäne und Lock-Down eröffnete sie nun zumindest neue Möglichkeiten, sich draußen an der frischen Luft zu bewegen und dabei oftmals sogar schneller durch die Stadt zu kommen als mit dem Pkw.
Aber zugleich schien es zumindest verwunderlich, dass die Ausweisung von Fahrradstreifen nun plötzlich quasi über Nacht möglich war. Schließlich war der Bau einer angemessenen Fahrradinfrastruktur bisher entweder gänzlich verweigert worden oder setzte zumindest einen sehr langen Atem angesichts bürokratischer Planungsprozesse voraus. Immerhin gab es Ende Juni diesen Jahres ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das bestätigte, dass eine Ausweisung temporärer Fahrradwege auch ohne straßenrechtliche Teilentwidmung u.a. zum Teil recht umständlicher Verfahrensschritte rechtens sei. Die Bezirksbürgermeisterin von Kreuzberg-Friedrichshain Monika Herrmann und der Amtsleiter Felix Weisbrich ließen sich schon dafür feiern, dass nun endlich deutliche Schritte in Richtung Verkehrswende initiiert wurden, die in weiten Teilen der Republik Nachahmer fanden.
So einfach scheint die Sache dann doch nicht zu sein. Denn das Verwaltungsgericht (VG) Berlin hat nun einem Eilantrag gegen die Ausweisung von acht der temporären Radfahrstreifen stattgegeben. Heißt das nun tatsächlich, so wie die Antragssteller von der AfD behaupten, dass auf Radwege innerhalb geschlossener Ortschaften nur außerhalb von Fahrbahnen errichtet werden dürfen? Hier hat das Gericht den Antragsstellern klar widersprochen: Dass die Radfahrstreifen auf der zuvor durch den Autoverkehr genutzten Fahrbahn liegen, sei rechtlich unbedenklich. Ebenso, dass temporäre Radwege ohne straßenrechtliche Teileinziehung eingerichtet würden.
Allerdings habe die Senatsverwaltung laut dem VG einen kleinen, aber folgenschweren Fehler begangen: Sie hätte die Einrichtung der Radfahrstreifen auf konkreten Gefahrenlagen in den betroffenen Straßenabschnitten begründen müssen.Dies hatte die Senatsverwaltung nicht für nötig gehalten. Stattdessen hat sie allgemein mit dem erhöhten Bedarf wegen Corona argumentiert.
Hierzu ist zweierlei zu sagen:
*Zum Teil kann dieses Erfordernis der Begründung als ein formeller Mangel abgetan werden. Mit anderen Worten die meisten der Radfahrstreifen dürften materiell rechtmäßig sein. Lediglich die Begründung wäre anzupassen.
*Zum Teil könnte es jedoch auch Straßenabschnitte geben, in denen die Einrichtung der Radfahrstreifen materiellrechtlich nicht aufgrund konkreter Gefahrenlagen gerechtfertig ist. Hier besteht dringend Reformbedarf auf Bundesebene.
Denn es ist nicht einzusehen, dass Verkehrsregelungen einer besonderen Gefahrenlage bedürfen, wenn es bereits gefährlich genug ist, sich auf Straßen mit allgemeinem Risiko durch den Verkehr zu bewegen. Diese Regelung ist nicht zeitgemäß, da es darum gehen sollte, Risiken im Verkehr für Leib und Leben allgemein und nicht nur an exponierten Gefahrenstellen zu bekämpfen (Olaf Dilling).