Wenn Sie in der Energiewirtschaft arbeiten, können Sie für heute die Seite wieder schließen: Unter “Grundkurs Energie” werde ich in lockerer Reihe auf Fragen eingehen, die zum größten Teil von meinen Studenten an der Uni Bielefeld stammen, wo ich als Lehrbeauftragte Jurastudenten im Wahlschwerpunkt Umweltrecht eine “Einführung in das Energierecht” vermittele. Es geht also um Basics.
Bei fast allen Gütern und Dienstleistungen herrscht in Deutschland Vertragsfreiheit. Frau Müller kann sich aussuchen, wo sie ihr Brot kauft. Und auch der Bäcker kann sich aussuchen, ob er Frau Müller etwas verkauft oder nicht. Bei einem so wichtigen Gut wie Energie gilt diese Vertragsfreiheit aber nicht uneingeschränkt. Frau Müller kann sich zwar seit 1998 aussuchen, ob sie ihren Strom und ihr Gas z. B. bei einem großen, überregionalen Stromversorger, einem Discounter oder dem lokalen Stadtwerk bezieht. Doch für die Unternehmensseite gilt dies nicht uneingeschränkt: Der örtliche Grundversorger muss Frau Müller beliefern, solange dies wirtschaftlich zumutbar ist Er springt auch ein, wenn sie keinen anderen Vertrag hat, etwa wenn der Lieferant ihrer Wahl ausfällt, beispielsweise wegen Insolvenz. Der Grundversorger ist damit als Ersatzversorger Frau Müllers Garant, nicht auf einmal im Dunkeln zu sitzen.
Die meisten Verbraucher, die noch nie seit 1998 ihren Stromversorger gewechselt haben, sind bis heute grundversorgt. Und natürlich diejenigen Kunden, die wegen ihrer schlechten Solvenz kein anderer Versorger (mehr) will.
In den meisten Fällen ist schlicht das örtliche Stadtwerk Grundversorger. Das ist aber kein Stadtwerksprivileg oder gar gesetzlich so angeordnet. Vielmehr ist derjenige Grundversorger, der gem. § 36 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) in einem Netzgebiet die meisten Haushaltskunden (also Verbraucher und kleine gewerbliche Verbraucher mit weniger als 10.000 kWh Verbrauch im Jahr) versorgt. Wer das ist, wird alle drei Jahre festgestellt und im Internet publiziert. Wer am eigenen Wohnort Grundversorger ist, ist also ganz einfach festzustellen. Wechselt der Grundversorger, wechseln die bisher grundversorgten Kunden übrigens nicht einfach mit. Sie bleiben beim bisherigen Versorger, § 36 Abs. 3 EnWG.
Für das Grundversorgungsverhältnis gelten besondere Regeln, die sich vor allem in der StromGVV und der GasGVV befinden. Es kann nicht nur durch ausdrücklichen Vertragsschluss begründet werden. Sondern auch konkludent durch Bezug. Wer also irgendwo einzieht und das Licht anschaltet, wird Kunde des Grundversorgers, wenn er mit keinem anderen Stromversorger einen Vertrag geschlossen hat. Man kann also Kunde eines Unternehmens werden, von dem man noch im Leben gehört hat und ohne, dass einem bewusst wäre, dass und zu welchen Konditionen man gerade einen Vertrag abgeschlossen hat.
Apropos Konditionen: Die nicht in den GVV geregelten Konditionen, vor allem die Preise, legt der Grundversorger einseitig fest. Allerdings gilt stets eine nur zweiwöchige Kündigungsfrist. Der Grundversorger publiziert die Preise und Ergänzende Versorgungsbedingungen und schickt sie seinen neuen Kunden zu. Er darf sie regelmäßig anpassen, in der Vergangenheit bis 2014 nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) gestützt auf eine ergänzende Vertragsauslegung, nach der in einem Dauerschuldverhältnis allen Beteiligten klar gewesen sei, dass Preise nicht ewig gelten und der Kostenentwicklung angepasst werden müssen (Az. VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12). Für den Zeitraum seit 2014 unterliegen die Preise in der Grundversorgung der Kontrolle nach § 315 BGB. Der Versorger kann sich also nicht einfach bedienen.
Diese weitgehenden Gestaltungsrechte des Versorgers fallen auch deswegen nicht so schwer ins Gewicht, weil der Verbraucher die Wahl hat. Hunderte von Versorgern konkurrieren um seine Versorgung. Regelmäßig hat auch der Grundversorger noch weitere, oft deutlich günstigere Tarife im Angebot, für die im Gegenzug dann meist keine zweiwöchige, sondern eine längere Kündigungsfrist oder eine Mindestvertragslaufzeit gilt. Dass trotzdem so viele Kunden bis heute grundversorgt sind, dürfte angesichts der Werbeintensität in diesem umkämpften Markt nicht auf mangelnde Information zurückzuführen sein, sondern darauf, dass viele Kunden schlicht zufrieden sind oder sich bewusst und trotz höherer Preise für den Verbleib beim örtlichen Versorger entschieden haben.
Sie haben auch eine Frage nach Grundlagen des Energierechts, auf die ich in dieser Reihe eingehen könnte? Dann schreiben Sie mir.
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