Zum Dritt­wir­kungs­urteil des BVerfG vom 11.4.2018

Man kennt das im Internet: Irgendeine Seite, nehmen wir einfach Spiegel Online (SpOn), löscht einen Kommentar, und der Verfasser und seine Online­en­tourage wüten in den Folge­kom­men­taren herum. Das sei Zensur und ein Verstoß gegen die Meinungs­freiheit, und überhaupt: Danke Merkel!!!1!

Inzwi­schen hat sich herum­ge­sprochen, dass es so einfach nicht ist. Denn SpOn ist nicht der Staat. Die Grund­rechte, die haupt­sächlich in den ersten 19 Artikel des Grund­ge­setzes zu finden sind, richten sich deswegen nicht an SpOn, sondern an die Bundes­re­publik Deutschland und jeden, der sonst noch so in diesem Lande öffent­liche Gewalt ausübt.

Das hat in der Praxis ganz erheb­liche Bedeutung. Ich beispiels­weise darf einfach so unliebsame Meinungen unter­drücken, indem ich unpas­sende Kommentare hier einfach nicht freischalte. Damit verstoße ich nicht gegen die Meinungs­freiheit des Art. 5 Abs. 1 GG der Kommen­taren, und auch nicht gegen den Gleich­be­hand­lungs­grundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil ich von zwei gleich unpas­senden Kommen­taren nur einen lösche und einen nicht.

Diese unter­schied­liche Verpflich­tungslage ist nicht nur gerecht­fertigt, weil der Staat sich mit dem GG selbst gebunden hat, wohin­gegen ich jeden­falls nicht mit am Tisch saß, als das GG verab­schiedet wurde. Vielmehr steht hinter den Grund­rechten – ich simpli­fi­ziere – auch die Vorstellung, dass der Staat mächtiger ist als der Bürger und deswegen beson­derer Bindungen bedarf. Wer bei mir ständig grundlos gelöscht wird, kann woanders das Beste über’s Energie­recht lesen. Während er, behandelt der Staat ihn grundlos schlechter als andere Leute, er sich schlecht einen neuen Staat suchen kann, zumindest, solange er nicht den Wohnort wechseln will.

Doch ganz so einfach ist die Sache natur­gemäß nicht. Der Staat steht schließlich nicht vollkommen unver­bunden neben der Gesell­schaft. Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) hat deswegen schon in den Fünfziger Jahren in der Entscheidung Lüth die sog. mittelbare Dritt­wirkung entwi­ckelt, nach der über die General­klauseln des Bürger­lichen Rechts die Grund­rechte auch auf die Auslegung zivil­recht­licher Normen ausstrahlen. Damit besteht eine oft komplexe Wechsel­wirkung zwischen Grund­rechten und einfachen Gesetzen. Im Wesent­lichen blieb es aber immer dabei: Der Staat ist unmit­telbar an Grund­rechte gebunden. Private dagegen nur mittelbar, was oft eben auch bedeutet: Im konkreten Fall nicht.

Doch wird diese Unter­scheidung der Wirklichkeit auch immer gerecht? Das Bundes­ar­beits­ge­richt (BAG) etwa hatte schon früh Zweifel. Schließlich ist Vater Staat nicht der einzige, der dem Bürger als überge­ordnete Macht gegen­über­tritt. Der Chef ist in vielen Fällen mindestens genauso mächtig wie das Bezirksamt. Oder nehmen wir Facebook: Wenn der kalifor­nische Riese jemanden sperrt, dessen Meinung ihm nicht passt, dann schränkt das die Äußerungs­freiheit als Teil der Meinungs­freiheit faktisch durchaus empfindlich ein.

Vor diesem Hinter­grund ist die Diskussion um Dritt­wirkung keineswegs ein toter Hund des Verfas­sungs­rechts. Vor einigen Jahren stellte das BVerfG in einer viel beach­teten Entscheidung (Fraport) klar, dass der Staat auch dann mittelbar (und damit voll und ganz) an die Grund­rechte gebunden ist, wenn er private Unter­nehmen gesell­schafts­rechtlich beherrscht. Aber gut, es ist eigentlich logisch, dass man seine Verpflich­tungen nicht los wird, nur weil man sich als Privat­person „verkleidet“.

Die Entscheidung des BVerfG vom 11.04.2018 bedeutet dem gegenüber aber noch einmal einen Quanten­sprung. In dieser Entscheidung ging es nämlich nicht um den Staat als Verpflich­teten. Sondern um einen höchst privaten Fußball­verein, den MSV Duisburg. In deren Stadion hatte sich der Beschwer­de­führer als Fan des FC Bayern München wohl ausge­macht schlecht benommen und dafür ein bundes­weites Stadi­on­verbot kassiert. Das geht, weil die Vereine der Bundesliga sich gegen­seitig zu solchen Verboten bevoll­mächtigt haben.

Nach klassi­scher Grund­rechts­lehre wäre das unpro­ble­ma­tisch. Der MSV kann sich – darauf hat er sich vor Gericht auch berufen – an sich ebenso aussuchen, wem er Zutritt gewährt wie ich. An das Gleich­be­hand­lungs­gebot des Art. 3 Abs. 1 GG sah der Verein sich deswegen nicht gebunden. Doch das BVerfG beurteilte die Lage anders.

Der MSV Duisburg, so das BVerfG, habe seine Veran­stal­tungen aus eigenem Entschluss für jedermann ohne Ansehen der Person geöffnet. Für Fußballfans entscheidet er bei Ausübung seines Hausrechts in erheb­lichem Umfang über die Teilnahme am gesell­schaft­lichen Leben. Sprich: Wenn der MSV beschließt, jemanden auszu­sperren, ist dessen Dasein als Fußballfan erst einmal vorbei. Schließlich gibt es ebenso wenig eine Alter­native zur Bundesliga wie zum Bezirksamt.

Aus einer solchen Situation, so das Gericht, resul­tiert eine besondere Verant­wortung. Die mittelbare Dritt­wirkung trifft den MSV deswegen viel, viel stärker als etwa mich. Ich kann  Menschen völlig grundlos nicht zu meinem Geburtstag einladen. Der MSV darf das bundes­weite Stadi­on­verbot nur mit einem sachlichen Grund aussprechen, also unter denselben Bedin­gungen wie der Staat. Aus der Notwen­digkeit eines solchen sachlichen Grundes leitet das BVerfG auch her, dass der MSV den Beschwer­de­führer hätte anhören müssen.

Im Ergebnis bekam der Beschwer­de­führer trotzdem nicht recht. Denn ein sachlicher Grund für das Stadi­on­verbot lag vor.

Die Auswir­kungen der Entscheidung gehen aber über Stadi­on­verbote oder ähnliche Großver­an­stal­tungen weit hinaus. Situa­tionen, in denen ein privates Unter­nehmen erst einmal beschließt, seine Dienste jedermann anzubieten, gibt es viele. Und es ist nicht ganz selten, dass diese dann in irgend­einem Lebens­be­reich für die Teilnahme am öffent­lichen Leben entscheidend sind. Nehmen wir eine abgelegene Klein­stadt, in der es nur noch einen einzigen ohne Kraft­fahrzeug erreich­baren Super­markt gibt. Oder WhatsApp, auf dessen Dienste zB viele Kollegien, Eltern oder Schüler­gruppen faktisch angewiesen sind, um noch an Nachrichten der Kitagruppe zu kommen. Von Facebook ganz zu schweigen.

Ob das BVerfG in solchen Konstel­la­tionen künftig eine Gleich­be­handlung anmahnt, solange kein sachlicher Grund eine Schlech­ter­stellung recht­fertigt, wird die Juristen sicherlich noch lange beschäftigen.

2018-04-29T17:36:21+02:0029. April 2018|Allgemein|

Preis­kon­trolle in der Fernwärme

Herrn Abusch ist die Fernwärme in Oberal­theim zu teuer. Er schreibt seit Jahren an die Stadt­werke Oberal­theim, die SWO, eigentlich immer, wenn er eine Rechnung bekommt. Steigen die Preise, wird auch seine Tonlage schriller. Bisher hat er zwar immer gezahlt. Aber als eines Tages eine Klage auf dem Tisch der Justi­tiarin Birte Berlach liegt, ist auch niemand erstaunt.

Herr Abusch klagt zum einen* auf die Herab­setzung der Preise. Er weist darauf hin, dass die Fernwär­me­preise in Unter­al­theim deutlich unter denen in seiner Heimat­stadt liegen. Das trifft sogar zu. Aber ist das auch wirklich ein Argument?

Fakt ist jeden­falls: Für Fernwär­me­preise gibt es keine Preis­kon­trolle wie für die Gas- und Strom­preise in der Grund­ver­sorgung. Für diese hat der Gesetz­geber eine Preis­kon­trolle vorge­sehen, aber für die Fernwärme gilt das nicht. Warum das so ist, hat der Bundes­ge­richtshof (BGH) mit einem Urteil vom 17.12.2012 einmal recht grund­legend auseinandergenommen.

Natürlich bedeutet das nicht, dass die SWO bei ihrer Preis­ge­staltung nun völlig frei ist.  Es gilt das Kartell­recht. Dieses ist in Deutschland im GWB geregelt. Es gilt für markt­be­herr­schende Unter­nehmen. Ein markt­be­herr­schendes Unter­nehmen ist die SWO auf jeden Fall, denn schließlich bietet in Oberal­theim sonst niemand Fernwärme an. Wegen der bestehenden Fernwär­me­satzung, die einen Anschluss- und Benut­zungs­zwang enthält, gibt es – mit engen Einschrän­kungen – auch keine anderen Möglich­keiten, seine Wohnung zu heizen.

Herr Abusch fühlt sich von der SWO ausge­beutet. In der Tat verbietet das GWB den sogenannten „Ausbeu­tungs­miss­brauch“, also einen spezi­ellen Missbrauch einer markt­be­herr­schenden Stellung. Als Indiz für einen solchen Missbrauch führt Herr Abusch die Preise in Unter­al­theim an.

Frau Berlach und die Rechts­an­wältin der SWO seufzen. Sie haben Herrn Abusch im Laufe der Jahre schon mehrfach geschrieben, dass die Verhält­nisse in Unter­al­theim ganz andere sind. Schließlich gibt es dort eine große Raffi­nerie, die indus­trielle Abwärme sehr günstig an die Stadt­werke Unter­al­theim abgibt. Hätte auch die SWO eine so günstige Wärme­quelle, die Preise wären auch in Oberal­theim ganz andere.

Herr Abusch aber bleibt bei seiner Meinung. Wenn die SWO keine günstige Wärme­quelle hat, dann sei das eben deren Problem, meint er. Doch zum Glück sieht das Landge­richt Oberal­theim das anders: Bei einer Vergleichs­markt­be­trachtung sticht die SWO nicht negativ heraus. Schon ein Blick auf die Ergeb­nisse der letzten Sektor­un­ter­su­chung durch die Landes­kar­tell­be­hörde zeigt vielmehr, dass die SWO voll im Schnitt liegt. Auch der Blick auf die Preis­bil­dungs­fak­toren zeigt schon auf den ersten Blick, dass die SWO ihre markt­be­herr­schende Position nicht ausge­nutzt hat. Im Ergebnis – dies stellt die Anwältin der Stadt­werke in der mündlichen Verhandlung klar – ist ihre Marge sogar geringer als die der Stadt­werke Unter­al­theim. Herr Abusch hat also Pech: Er verliert den Prozess und muss auch noch die Kosten tragen.

*zum anderen verlangt Herr Abusch Geld zurück, weil er die Preis­an­pas­sungs­klausel für unwirksam hält. Zu diesem Antrag aber nächste Woche mehr.

 

2018-04-27T12:20:29+02:0027. April 2018|Wärme|

Block­chain III: Was wird dann aus der E‑Wirtschaft?

Er brauche die Block­chain nicht, sagte mir vor wenigen Wochen ein Stadt­werks­mit­ar­beiter beim Bier. Alles, was die Block­chain könne, könne jedes deutsche Stadtwerk auch. Eine Ladeinfra­struktur für E‑Autos sei schließlich völlig unpro­ble­ma­tisch. Auch für die Idee einer „Sharing Economy“, in der der „Prosumer“ gleich­zeitig Strom­erzeuger als auch Strom­ver­braucher sei, hatte er wenig über. Sei Haus stehe zu 100% in kommu­nalem Eigentum, wenn ein Bürger wert darauf lege, maximal an Entschei­dungen über seine Strom­ver­sorgung beteiligt zu sein,  stehe ihm der Weg in die Kommu­nal­po­litik und damit in den Aufsichtsrat offen, und wenn jemand zuhause Solar­strom erzeugt, müsste der Netzbe­trieb den ja ohnehin nehmen, ob er ihn nun haben will oder nicht.

Was soll ich sagen? Ich kann den Mann verstehen. Tatsächlich sehe auch ich die Vorzüge einer Block­chain im Energie­be­reich bisher nicht. Ich teile zwar nicht die Ansicht, dass ein kommu­nales Stadtwerk die Bedürf­nislage in jedem Fall voll und ganz abdecke, die hinter der Idee einer „Sharing Economy“ steht. Aber was spricht eigentlich gegen eine Energie­ge­nos­sen­schaft, die eine Peer-to-Peer-Struktur doch unpro­ble­ma­tisch abbilden könnte? Und kann eine Block­chain in der deutschen Strom­ver­sorgung wirklich die Vorteile ausspielen, die sie zum Beispiel bei der Organi­sation von Zahlungs­pro­zessen in Ländern ohne vernünf­tiges Bankwesen leisten kann? Der große Vorteil der Block­chain liegt doch in dem Umstand, dass sie einen Zentral­ver­walter überflüssig macht. Das ist schön, wenn es keinen vertrau­ens­wür­digen Zentral­ver­walter gibt. Aber seien Sie ehrlich: Misstrauen Sie ernsthaft Ihrem Energieversorger?

Sind die Vorteile einer Block­chain für die Energie­wirt­schaft damit vielleicht durchaus überschaubar, fallen die Nachteile natur­gemäß um so stärker ins Gewicht. Da wären zunächst einmal die immensen Daten­mengen. Stellen wir uns eine Block­chain vor, die ein Netzwerk von 50.000 Abnah­me­stellen umfasst, von denen 20.000 auch zumindest kleine Mengen Strom liefern, und denen als gemein­schaft­liches Eigentum auch das Verteilnetz vor Ort gehört, das mit den vorge­la­gerten Netzen ebenfalls durch ein block­chain­ge­steu­ertes Netzwerk verbunden ist.

In diesem Netzwerk werden immense Mengen Strom einge­speist und wieder ausge­speist. Jede kWh, die jemals erzeugt und verteilt wird, erzeugt ein Daten­päckchen nicht nur auf den Servern einer Messein­richtung, eines Vertriebs und eines Netzbe­triebs, nein: Erzeugt werden 50.000 Daten­päckchen, die durch die Trans­ak­tionen Richtung Netz, die Beauf­schlagung von Steuern und Umlagen und die die Vertrags­ab­wicklung abbil­denden Zahlungs­in­for­ma­tionen jeweils länger und länger werden. Das frisst Strom. Die chine­si­schen Bitco­in­minen, die bevorzugt neben Wasser­kraft­werken errichtet werden, wären nichts dagegen. So eine Block­chain wäre also weder besonders umwelt­schonend, noch wäre sie wegen der strom­be­dingten Zusatz­kosten mögli­cher­weise wirtschaftlich so günstig, wie es sich Menschen, die ihren Energie­ver­sorger für einen Blutsauger halten, gern vorstellen.

Dass die Block­chain eine tiefgrei­fende Neure­gelung des Energie­rechts voraus­setzt, ist da noch das Mindeste. Wobei sich auch hier Fragen stellen, auf die die Politik Antworten finden müsste. Würde die Block­chain etwa zum Grund­ver­sorger, wenn in einem Netzgebiet die meisten Anschlüsse in ihr Netzwerk einge­bunden sind? Wie sollte das aussehen? Wie geht man damit um, dass Strom anders als Krypto­wäh­rungen eine physi­ka­lische Struktur für Trans­ak­tionen zum Verbraucher braucht, nämlich das Netz. Blättert man durch das Energie­wirt­schafts­gesetz (EnWG) und seine Verord­nungen, stellen sich solche Fragen zuhauf.

Aber anders als mein Bekannter aus dem Stadtwerk glaube ich nicht, dass alle diese Punkte den Vormarsch der Block­chain wirklich stoppen werden. Dass eine Techno­logie überflüssig und umwelt­schädlich ist, hat die Menschheit schließlich noch nie daran gehindert, sie schleu­nigst einzu­führen. Und noch etwas anderes spricht für die Verbreitung der Block­chain­tech­no­logie in der Energie­wirt­schaft: Bis heute ist ein ganz erheb­licher Teil der Energie­ver­sorgung in öffent­licher, nämlich kommu­naler Hand. Daran konnten auch 20 Jahre Libera­li­sierung trotz instän­digen Bettelns von Behör­den­chefs und Politikern nichts ändern. Die Block­chain könnte sich hier als Einfallstor erweisen: Ganz neue Player könnten Energie­ver­brau­chern und kleineren Erzeugern Netzwerk­lö­sungen anbieten. Sie könnten die Techno­logie stellen, die Teilnehmer schulen, als Service­dienst­leister die Pflichten erfüllen, die sich aus einem den neuen Anfor­de­rungen angepassten EnWG ergeben würden. Am Ende stünde im Keller des künftigen Prosumers vielleicht ein geleaster Server von Amazon oder Google, oder wie auch immer die Netzty­coons in 20 Jahren sich nennen, die solche Netzwerke betreiben.

Mein Bekannter, der Stadt­werks­mit­ar­beiter, hält das für Schwarz­se­herei. Ich sehe das anders. Ich würde, wäre ich eine Stadt­werks­ge­schäfts­füh­rerin, eine eigene Block­chain aufsetzen. Nicht, weil die Welt sie unbedingt braucht, aber weil ich als Stadtwerk sie unbedingt bräuchte. Damit es meinen Laden auch in 30 Jahren noch gibt.

2018-04-26T09:02:14+02:0026. April 2018|Digitales|