Er brauche die Block­chain nicht, sagte mir vor wenigen Wochen ein Stadt­werks­mit­ar­beiter beim Bier. Alles, was die Block­chain könne, könne jedes deutsche Stadtwerk auch. Eine Ladeinfra­struktur für E‑Autos sei schließlich völlig unpro­ble­ma­tisch. Auch für die Idee einer „Sharing Economy“, in der der „Prosumer“ gleich­zeitig Strom­erzeuger als auch Strom­ver­braucher sei, hatte er wenig über. Sei Haus stehe zu 100% in kommu­nalem Eigentum, wenn ein Bürger wert darauf lege, maximal an Entschei­dungen über seine Strom­ver­sorgung beteiligt zu sein,  stehe ihm der Weg in die Kommu­nal­po­litik und damit in den Aufsichtsrat offen, und wenn jemand zuhause Solar­strom erzeugt, müsste der Netzbe­trieb den ja ohnehin nehmen, ob er ihn nun haben will oder nicht.

Was soll ich sagen? Ich kann den Mann verstehen. Tatsächlich sehe auch ich die Vorzüge einer Block­chain im Energie­be­reich bisher nicht. Ich teile zwar nicht die Ansicht, dass ein kommu­nales Stadtwerk die Bedürf­nislage in jedem Fall voll und ganz abdecke, die hinter der Idee einer „Sharing Economy“ steht. Aber was spricht eigentlich gegen eine Energie­ge­nos­sen­schaft, die eine Peer-to-Peer-Struktur doch unpro­ble­ma­tisch abbilden könnte? Und kann eine Block­chain in der deutschen Strom­ver­sorgung wirklich die Vorteile ausspielen, die sie zum Beispiel bei der Organi­sation von Zahlungs­pro­zessen in Ländern ohne vernünf­tiges Bankwesen leisten kann? Der große Vorteil der Block­chain liegt doch in dem Umstand, dass sie einen Zentral­ver­walter überflüssig macht. Das ist schön, wenn es keinen vertrau­ens­wür­digen Zentral­ver­walter gibt. Aber seien Sie ehrlich: Misstrauen Sie ernsthaft Ihrem Energieversorger?

Sind die Vorteile einer Block­chain für die Energie­wirt­schaft damit vielleicht durchaus überschaubar, fallen die Nachteile natur­gemäß um so stärker ins Gewicht. Da wären zunächst einmal die immensen Daten­mengen. Stellen wir uns eine Block­chain vor, die ein Netzwerk von 50.000 Abnah­me­stellen umfasst, von denen 20.000 auch zumindest kleine Mengen Strom liefern, und denen als gemein­schaft­liches Eigentum auch das Verteilnetz vor Ort gehört, das mit den vorge­la­gerten Netzen ebenfalls durch ein block­chain­ge­steu­ertes Netzwerk verbunden ist.

In diesem Netzwerk werden immense Mengen Strom einge­speist und wieder ausge­speist. Jede kWh, die jemals erzeugt und verteilt wird, erzeugt ein Daten­päckchen nicht nur auf den Servern einer Messein­richtung, eines Vertriebs und eines Netzbe­triebs, nein: Erzeugt werden 50.000 Daten­päckchen, die durch die Trans­ak­tionen Richtung Netz, die Beauf­schlagung von Steuern und Umlagen und die die Vertrags­ab­wicklung abbil­denden Zahlungs­in­for­ma­tionen jeweils länger und länger werden. Das frisst Strom. Die chine­si­schen Bitco­in­minen, die bevorzugt neben Wasser­kraft­werken errichtet werden, wären nichts dagegen. So eine Block­chain wäre also weder besonders umwelt­schonend, noch wäre sie wegen der strom­be­dingten Zusatz­kosten mögli­cher­weise wirtschaftlich so günstig, wie es sich Menschen, die ihren Energie­ver­sorger für einen Blutsauger halten, gern vorstellen.

Dass die Block­chain eine tiefgrei­fende Neure­gelung des Energie­rechts voraus­setzt, ist da noch das Mindeste. Wobei sich auch hier Fragen stellen, auf die die Politik Antworten finden müsste. Würde die Block­chain etwa zum Grund­ver­sorger, wenn in einem Netzgebiet die meisten Anschlüsse in ihr Netzwerk einge­bunden sind? Wie sollte das aussehen? Wie geht man damit um, dass Strom anders als Krypto­wäh­rungen eine physi­ka­lische Struktur für Trans­ak­tionen zum Verbraucher braucht, nämlich das Netz. Blättert man durch das Energie­wirt­schafts­gesetz (EnWG) und seine Verord­nungen, stellen sich solche Fragen zuhauf.

Aber anders als mein Bekannter aus dem Stadtwerk glaube ich nicht, dass alle diese Punkte den Vormarsch der Block­chain wirklich stoppen werden. Dass eine Techno­logie überflüssig und umwelt­schädlich ist, hat die Menschheit schließlich noch nie daran gehindert, sie schleu­nigst einzu­führen. Und noch etwas anderes spricht für die Verbreitung der Block­chain­tech­no­logie in der Energie­wirt­schaft: Bis heute ist ein ganz erheb­licher Teil der Energie­ver­sorgung in öffent­licher, nämlich kommu­naler Hand. Daran konnten auch 20 Jahre Libera­li­sierung trotz instän­digen Bettelns von Behör­den­chefs und Politikern nichts ändern. Die Block­chain könnte sich hier als Einfallstor erweisen: Ganz neue Player könnten Energie­ver­brau­chern und kleineren Erzeugern Netzwerk­lö­sungen anbieten. Sie könnten die Techno­logie stellen, die Teilnehmer schulen, als Service­dienst­leister die Pflichten erfüllen, die sich aus einem den neuen Anfor­de­rungen angepassten EnWG ergeben würden. Am Ende stünde im Keller des künftigen Prosumers vielleicht ein geleaster Server von Amazon oder Google, oder wie auch immer die Netzty­coons in 20 Jahren sich nennen, die solche Netzwerke betreiben.

Mein Bekannter, der Stadt­werks­mit­ar­beiter, hält das für Schwarz­se­herei. Ich sehe das anders. Ich würde, wäre ich eine Stadt­werks­ge­schäfts­füh­rerin, eine eigene Block­chain aufsetzen. Nicht, weil die Welt sie unbedingt braucht, aber weil ich als Stadtwerk sie unbedingt bräuchte. Damit es meinen Laden auch in 30 Jahren noch gibt.