Kammerversammlung Berlin 2018
Beim Blick auf die Uhr bekomme ich einen Schreck. Auweia. Es ist halb acht und es stehen noch eine ganze Reihe von Tagesordnungspunkten an. In der Urania ist es saukalt und zumindest einige der Anträge in der Antragsbroschüre scheinen mir keine für die Breite der Berliner Anwaltschaft wirklich wichtige Punkte zu berühren.
Wichtig ist aber das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA). Frau Kollegin Dr. Auer-Reinsdorff gibt einen Abriss über die Abläufe, die dazu geführt haben, dass das beA immer noch offline ist. Der Ärger ist groß. Am Ende bekommen zwei Anträge überwältigende Mehrheiten, die dem Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) Herrn Ekkehard Schäfer und dem verantwortlichen Vizepräsidenten Dr. Martin Abend das Misstrauen aussprechen und sie zum Rücktritt auffordern. Der Applaus ist groß, auch als Kammerpräsident Dr. Markus Mollnau erklärt, den Äußerungen der BRAK nicht mehr zu vertrauen. In diesem Punkt ist der Saal sich einig. Offenbar sehen die Präsidenten der anderen Kammern in der Hauptversammlung der BRAK das anders. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass die Mitglieder der anderen Kammern das Debakel mit dem beA anders beurteilen als wir.
Neben denen, die sich – wie ich – über das technische Versagen der BRAK und die schlechte Kommunikation nach dem 22.12.2017 ärgern, gibt es aber nach wie vor eine gar nicht so kleine Minderheit, die elektronische Kommunikation in Bausch und Bogen ablehnt. Ein weißhaariger Herr scheint in seiner Wortmeldung schon den Computer als solchen für Teufelszeug zu halten. Gar nicht so wenige wenden sich gegen die Nutzungspflicht und wollen offenbar weiterhin der Post und Fax operieren. Mir will das nicht in den Kopf. Ich habe dermaßen viel Lebenszeit damit verbracht, vorm Faxgerät zu beten, dass meine Schriftsätze samt Anlagen durchgehen, aufwändig über Gerichtsvollzieher an Gegenseiten zuzustellen und nachts vorm Verwaltungsgericht Berlin Briefumschläge in den Nachtbriefkasten zu stopfen: Ich bin für alles, was elektronisch funktioniert. Immerhin bekommt der Vorstand nicht den Auftrag, sich gegen die Nutzungspflicht einzusetzen, aber die Abstimmung verläuft knapper, als ich dachte.
Vor allem bin ich aber für ein halbwegs pünktliches Ende dieser Veranstaltung. Wir haben noch zwei wichtige Punkte. Den Haushaltsplan, den Schatzmeister Kollege Plassmann vorstellt, und in dessen Rahmen die Berliner Kollegen aus Rücklagen zumindest einen Teil des Sonderbeitrags fürs beA zugeschossen bekommen. Und die Änderung der Wahlordnung, weil der Gesetzgeber künftig per Brief- und elektronischer Wahl die Vorstände wählen lassen will. Ich finde das gut: Im Raum sind etwas über 400 Personen, bei Wahlversammlungen auch mal 700, aber bei 14.000 Mitgliedern würde eine elektronische Wahl vermutlich zu einer breiteren Repräsentation aller Anwälte im Vorstand führen. Abweichend vom ursprünglichen Antrag entscheidet sich die Versammlung für eine Wahl bis zum Tag nach der Kammerversammlung, damit zumindest diejenigen, die das wollen, sich die Kandidaten noch einmal ansehen können.
Der letzte Teil allerdings schleppt sich. Ein Kollege stellt über zehn einzelne Anträge, teilweise zu ausgesprochen kleinteiligen Fragestellungen und ich muss mich sehr zusammennehmen, um nicht die ganze Zeit laut zu gähnen. Langsam leert sich der Saal. Bei den letzten Abstimmungen sind nur mehr etwas über 130 Kollegen im Saal. Ein weiterer Kollege hatte eine ausgesprochen kontroversen Antrag angekündigt, war dann aber zum Zeitpunkt der Antragsbefassung selbst nicht mehr da. Normalerweise hätte ich mich geärgert, aber gerade ist mir das alles recht.
Das Kammerfest hat man sich nicht allzu bacchantisch vorzustellen. Es gibt Suppe, Currywurst und vegetarische Maultaschen. ich trinke zwei Weißwein, treffe frühere Kollegen, Kollegen aus anderen Häusern und plaudere so ein bisschen hin und her. Ich bin wegen meiner Spezialisierung bundesweit aktiv. Deswegen kenne ich weniger Berliner Kollegen als andere Anwälte, die mehr vor Ort aktiv sind. Trotzdem, als ich auf die Uhr schaue ist es kurz vor zwölf. Ich bin todmüde, total verfroren, und als ich mit Kollegen im Taxi Richtung Prenzlberg sitze, fallen mir fast die Augen zu. Mindestens zwei Stunden gehen auf die Kappe von nur drei Kollegen, schießt es mir durch den Kopf. Und dass es vielleicht eine gute Idee wäre, Anträge müssten von einer gewissen Zahl von Kollegen unterstützt werden, was möglicherweise eine Filterfunktion haben könnte und die Kammerversammlungen inhaltlich vielleicht aufwerten könnte. Wenn ab 2019 schon nicht mehr gewählt wird.