Neues zum BEHG: Ausschuss­an­hörung im Bundestag

Das Brenn­stoff-Emissi­ons­handels-Gesetz (BEHG) wurde zwar bereits im Dezember verab­schiedet, aber weil es nach einer Einigung im Vermitt­lungs­aus­schuss umgehend wieder geändert werden soll, fand am 16. September nochmals eine Anhörung im Umwelt­aus­schuss des Bundes­tages statt. Zwar war der Anlass die Erhöhung der Zerti­fi­kat­preise von einer Spanne von 10 bis 35 EUR von 2021 bis 2025 auf 25 bis 55 EUR. Aber die Sachver­stän­digen beschränkten sich keineswegs auf diesen ja nun auch an sich wenig ergie­bigen Punkt. Statt dessen ging es um Folgendes:

Für viel Ärger sorgt die bestehende Rechts­un­si­cherheit rund um Siedlungs­ab­fälle und Klärschlamm. Hier gehen die Ansichten ausein­ander, ob und unter welchen Bedin­gungen es sich um Brenn­stoffe nach dem BEHG handelt oder eben nicht. Diese Rechts­un­si­cherheit wird als Problem empfunden, denn eine Kosten­wälzung setzt ja natur­not­wendig voraus, dass es überhaupt Einigkeit darüber gibt, ob Kosten entstehen. Zudem stellt auch die Bericht­erstattung ein Problem dar, weil nicht standar­di­sierte Brenn­stoffe stets aufwän­diger berichtet werden müssen als Standard­brenn­stoffe wie zB Erdgas. Innerhalb der Verbands­land­schaft wünscht man sich partiell zudem, dass nicht der, der den Brenn­stoff in Verkehr bringt, die Pflichten nach dem BEHG erfüllen muss, sondern (wie im EU-Emissi­ons­handel) der Emittent. Da dies mögli­cher­weise noch bei der Abfall­ver­brennung vorstellbar ist, nicht aber bei der Verbrennung praktisch aller anderen erfassten Brenn­stoffe wie Erdgas oder Benzin, ist aber kaum anzunehmen, dass der Gesetz­geber dies so aufgreift.

Der Trierer Professor Tappe äußert sich überra­schend positiv zur Frage der Verfas­sungs­kon­for­mität des BEHG. Diese wird in der Literatur bisher weitgehend verneint (hier auch), weil bis 2025 keine Knappheit an Zerti­fi­katen herrscht, die das BVerfG bisher als Voraus­setzung einer wirksamen nicht­steu­er­lichen Sonder­abgabe quali­fi­ziert hat. Tappe verweist hier auf einen weiten Gestal­tungs­spielraum des Gesetz­gebers und – etwas überra­schend – auf den Umstand, dass es bis 2025 gar keinen Markt­me­cha­nismus gebe. Aber spricht das wirklich für eine verfas­sungs­kon­forme nicht­steu­er­liche Sonder­abgabe und nicht etwa für eine verfas­sungs­wid­ri­ger­weise nicht gegen­leis­tungslose Steuer? Prof. Wernsmann, der für die FDP auch ein entspre­chendes Gutachten verfasst hat, vertrat – entspre­chend wenig überra­schend – die Gegen­po­sition.

Dass Teile der Industrie (viele aber auch nicht) den kommenden CO2-Preis für zu hoch halten, überrascht nicht. Auch die Gewerk­schaften wünschen sich eine in Summe gleich­blei­bende, besser kompen­sierte Belas­tungs­si­tuation. Dem gegenüber weist Dr. Graichen von der AGORA darauf hin, dass auch die erhöhten Zerti­fi­kat­kosten nicht ausreichen, auch nur den Wechsel von Heizöl auf Erdgas zu motivieren und regt an, die Zerti­fi­kat­kosten zu verdoppeln.

Doch wie wahrscheinlich ist es, dass die Politik die Positionen noch einmal aufgreift? Die Erhöhung der Zerti­fi­kat­preise ist vom Bundes­ka­binett beschlossen. Unwahr­scheinlich, dass die Koalition es sich noch einmal neu überlegt. Das bedeutet: Kleinere Korrek­turen wird es vielleicht noch auf Verord­nungs­ebene geben, vor allem rund um die Bericht­erstattung. Eine grund­le­gende Neuordnung sowohl des Mecha­nismus an sich als auch in Hinblick auf die Preise ist wohl erst frühestens nach der nächsten Bundes­tagswahl zu erwarten (Miriam Vollmer).

2020-09-17T21:18:43+02:0017. September 2020|Emissionshandel, Umwelt|

Vision Zero: Durfte hier der Kutscher nicht?

Vision Zero ist ein Schlagwort, das Ende der 1990er Jahre in Schweden geprägt wurde. Inzwi­schen hat sich die Idee weltweit verbreitet. Der Hinter­grund: Irren ist menschlich, ob auf der Straße oder im Arbeits­leben. Da nun alle Menschen fehler­an­fällig sind, stellt sich die Frage nach robusten techni­schen oder infra­struk­tu­rellen Systemen. Sie sollen mensch­liche Fehler auffangen können. So sicher, dass zumindest kein Mensch im Straßen­verkehr oder am Arbeits­platz sterben muss. 

In gewisser Weise ließe es sich sogar noch radikaler formu­lieren: So wurden mit dem Bau von Straßen­kreu­zungen mit Fahrrad­wegen und querenden Abbie­ge­mög­lich­keiten für Lkw – unbewusst – regel­rechte „Todes­fallen“ gebaut. Jedes Jahr sterben in Deutschland ca. 30 Fahrrad­fahrer nach Unfällen mit rechts abbie­genden Lkw. Dass an diesen Unfällen keiner der unmit­telbar Betei­ligten in einem direkten Sinn „Schuld“ hat, bringt die Medien oft dazu von „tragi­schen“ Unfällen zu sprechen. Und tatsächlich ist ein Blick in die inzwi­schen im Netz kursie­renden Videos erhellend, in denen das Unfall­ge­schehen analy­siert wird: Die Lkw-Fahrer haben die Radfahrer im „toten Winkel“, die Radfahrer hingegen sehen nur, dass sie grün haben und rechnen nicht damit, vom hinter Ihnen fahrenden Lkw übersehen und von seinem ausschwen­kenden Anhänger seitlich erfasst zu werden. Es gibt insofern auch Kreuzungen, die schon berüchtigt sind, für die lebens­ge­fähr­lichen Unfälle, die sich dort immer wieder ereignen.

Insofern hilft es tatsächlich auch wenig, die indivi­du­ellen Unfall­be­tei­ligten verant­wortlich zu machen. Es ist ein wenig wie in dem makaber-humoris­ti­schen Gedicht von Christian Morgen­stern, in dem der überfahrene Palmström sich mit dem Tode ringend müßiger­weise fragt: „Durfte hier der Kutscher nicht?“… Natürlich kann es helfen, die Verant­wortung der Verkehrs­teil­nehmer durch Sicher­heits­regeln zu schärfen. So hat das Verkehrs­mi­nis­terium mit der StVO-Reform bereits einen (wenn auch aus handwerklich-formalen Gründen: untaug­lichen) Versuch unter­nommen, das Problem abzumildern. Nämlich durch das Gebot für Lkw, innerorts nur noch mit Schritt­ge­schwin­digkeit abzubiegen, wenn Fuß- und Fahrrad­verkehr zu erwarten ist. Aller­dings sind auch seit April in Deutschland wieder Fahrrad­fahrer bei Abbie­ge­un­fällen gestorben.

Tatsächlich geht die Diskussion daher inzwi­schen dahin, dass das „tragische“ Problem vor allem technisch zu lösen sei. Denn dass effektiv mit Schritt­ge­schwin­digkeit gefahren wird, setzt unrea­lis­tisch hohe Erwar­tungen in das korrekte Verhalten von Verkehrs­teil­nehmern. Die Alter­native ist die Umgestaltung techni­scher Systeme, die Anpassung der Produkt­ge­staltung von Lkw durch sogenannte Abbie­ge­as­sis­tenten und die verkehrs­si­chere Planung von Kreuzungs­be­reichen. Dass es bekannte Todes­fallen gibt, an denen die zustän­digen Straßen- und Straßen­ver­kehrs­be­hörden keine Schritte in Richtung Vision Zero unter­nehmen, ist tatsächlich einiger­maßen skandalös. Es erinnert an die hilflose Überlegung von Palmström, ob „die Staats­kunst“ anzuklagen sei (und zweifelsohne dürfte hier ein Potential für Staats­haf­tungs­klagen liegen).

Solange die „Staats­kunst“ die Aufgabe, Straßen­kreu­zungen sicher zu gestalten, aber nicht erfolg­reich angenommen hat, empfehlen wir unseren Kindern (und auch allen anderen, die das hören wollen) aller­dings ganz dringend Folgendes: Nicht immer auf ihrem Recht zu beharren, sondern im Zweifel den Kürzeren zu ziehen, auch wenn dies auf Dauer unbefrie­digend ist. Sie sollen ja nicht wie Palmström enden, der zwar noch messer­scharf schloss, „dass nicht sein kann, was nicht sein darf“, aber doch nur hypothe­tisch weiter­leben konnte.

Falls Sie sich übrigens vertieft für verkehrs­recht­liche Fragen inter­es­sieren: Wir bieten Ende Oktober ein Webinar zum Thema Verkehrs­ver­suche an, zu dem Sie sich hier anmelden können (Olaf Dilling).

2020-09-16T23:00:00+02:0016. September 2020|Allgemein, Verkehr|

Die besAR im (wahrscheinlich) nächsten EEG

Das wahrscheinlich nächste EEG (hier der Referent­entwurf) mag nicht der große Wurf sein, auf den alle warten. Aber immerhin: Es ist eine Regelung, die einige der drängen­deren Probleme zumindest kurzfristig löst, wie etwa das Auslaufen der ersten EEG-Anlagen Ende des Jahres. Ähnlich sieht es bei den Regelungen rund um die besondere Ausgleichs­re­gelung (besAR) in den §§ 63ff. EEG aus: Hier besteht akuter Handlungs­bedarf, denn 2020 läuft coronabe­dingt bei vielen Unter­nehmen so anders als andere Jahre, dass sie die Schwel­len­werte unter­schreiten, die erfor­derlich sind, um die begrenzte EEG-Umlage nach den aktuellen Regelungen auch 2022 beanspruchen zu können. Zudem soll auch insgesamt der Regelungs­be­stand glatt­ge­zogen werden, um Kolla­te­ral­schäden aufgrund der sinkenden EEG-Umlage zu vermeiden. Der Referen­tenwurf sieht hierzu konkret Folgendes vor:

# Der Schwel­lenwert für die Strom­kos­ten­in­ten­sität in § 64 Abs. 1 S. 1 EEG von 14% sinkt bis 2025 jedes Jahr jeweils um 1%.

# Im § 64 Abs. 2 EEG wird nicht mehr diffe­ren­ziert: Künftig wird für die 1 GWh überstei­gende Strom­menge auch bei einer gerin­geren Strom­kos­ten­in­ten­sität als 17% der Brutto­wert­schöpfung durchweg auf 15% der EEG-Umlage begrenzt.

# Für die Antrag­stellung sind Nachweis­erleich­te­rungen vorgesehen.

# Für die coronabe­dingten Strom­ver­brauchs­aus­fälle soll es eine Neure­gelung im neuge­fassten § 103 EEG geben. Hiernach soll es für die Strom­kos­ten­in­ten­sität für die Jahre 2022 bis 2024 nur auf zwei der drei letzten Geschäfts­jahre ankommen, Unter­nehmen könnten also das für viele schwierige Jahr 2020 (oder ein anderes Jahr) streichen. Für das Antragsjahr 2022 darf beim Strom­ver­brauch statt auf 2020 auch auf 2019 abgestellt werden.

# Natürlich stehen die Regelungen unter einem beihil­fe­recht­lichen Geneh­mi­guns­vor­behalt, denn nach der Deckelung der EE-Umlage sind nicht nur die Zahlungen an die Anlagen­be­treiber, sondern auch die Erleich­te­rungen für Berech­tigte nach der besAR Beihilfen, die die Europäische Kommission notifi­zieren muss.

Immerhin: Wer dieses Jahr einen jähen Einbruch erlebt, kann nach diesem Entwurf etwas zuver­sicht­licher in die nächsten Jahre schauen. Auch die Anpassung der Strom­kos­ten­in­ten­sität ist sinnvoll. Gleichwohl, auch hier gilt: Das über die Jahre und Reformen arg zerklüftete System könnte es vertragen, noch einmal ganz neu gedacht zu werden. Vorschläge gibt es viele, bis hin zur kompletten Abschaffung des heutigen Umlage­systems (Miriam Vollmer).

2020-09-15T20:26:32+02:0015. September 2020|Erneuerbare Energien, Industrie, Strom|