Klingeling: Geset­zes­in­itiative gegen unseriöses Telefonmarketing

Fragen Sie sich eigentlich auch immer, wen Call Center heute eigentlich noch erreichen? Ich tippe auf eine Handvoll junger Mütter, ein paar Freibe­rufler und viele, viele Rentner. Nicht alle der Angeru­fenen sind gleicher­maßen auf Zack, wie man so sagt, und so kommt es immer wieder zu vorei­ligen Vertrags­schlüssen. Ich habe selbst schon mit hochbe­tagten Zeugen telefo­niert, denen erst Tage nach dem Telefonat überhaupt aufging, dass sie den Strom­ver­sorger gewechselt hatten. Manchmal ist das auf – nicht zuletzt alters­be­dingte – Schus­se­ligkeit der Angeru­fenen zurück­zu­führen. Aber nicht ganz selten soll es auch vorkommen, dass auf ein solches Telefonat hin von Call Center Agents einfach Vertrags­ab­schlüsse fingiert werden, die tatsächlich so aber nie statt­ge­funden haben. Oder aber schon leicht zerstreute Großmütter von Call Center Agents einfach so lange an die Wand geredet werden, bis sie irgendwann „ja“ sagen.

Dass hier Handlungs­bedarf besteht, hat schon im letzten Jahr die baden-württem­ber­gische Landes­re­gierung zum Anlass genommen, eine Geset­zes­in­itiative auf den Weg zu bringen, die die Bundes­re­gierung nun aufge­griffen hat. Es soll danach künftig nicht mehr reichen, dass der Verbraucher am Telefon irgendwann mündlich einem Vertrags­schluss zustimmt. Schon heute muss das Unter­nehmen, das wirbt, dem Verbraucher danach eine Vertrags­be­stä­tigung zusenden. Viele machen dann noch von ihrem vierzehn­tä­gigen Wider­rufs­recht Gebrauch. Künftig würde – tritt der Entwurf so in Kraft – der Verbraucher aber erst ein Schreiben in Textform (also schriftlich oder etwa per Mail) erhalten, in dem das Angebot noch einmal zusam­men­ge­fasst wird. Anschließend müsste der Verbraucher selbst aktiv dem Unter­nehmen bestä­tigen, dass er den Vertrags­schluss wirklich will.

In vielen Fällen würde das dem getäuschten oder schlicht übertöl­pelten Verbraucher helfen. Dieser erhielte erst den mündlich abgeschlos­senen Vertrag in Textform, also per Brief oder E‑Mail. Würde er darauf schlicht nicht antworten, so würde der Vertrag  nicht wirksam. Das Unter­nehmen könnte den Verbraucher daraufhin zwar noch einmal fragen, ob er am Vertrag festhalten will. Würde sich dieser binnen zwei Wochen nicht erklären, wäre die Situation so, als hätte es das Telefon­ge­spräch nie gegeben. Zumindest der überrum­pelte Verbraucher oder der Verbraucher – das habe ich auch schon erlebt – der tatsächlich gar keinen Vertrag abgeschlossen hat, müsste so nichts weiter unternehmen.

2018-06-13T08:55:04+02:0012. Juni 2018|Gas, Strom, Vertrieb|

Neue Zuschlags­kri­terien für Regel­en­ergie: Was heisst das?

Oha. Die Bundes­netz­agentur (BNetzA) hat die Zuschlags­kri­terien für Regel­en­ergie geändert. Ab Juli fließt neben dem Leistungs­preis auch der Arbeits­preis in die Bewertung ein. Was so technisch daher­kommt, ist aller­dings hoch umstritten. Dies zeigt schon die lange Liste an Stellung­nahmen, die die BNetzA im Vorfeld erhalten hat. Aber worum geht es eigentlich?

Strom­netze können keinen Strom speichern. Einspeisung und Entnahme müssen sich also die Waage halten. Nun melden Verbraucher bekanntlich nicht an, dass sie gleich den Fernseher einschalten. Und ob beispiels­weise die Sonne scheint oder ein Kraftwerk havariert, weiß man auch nicht immer im Voraus. Die Prognosen, die sich aus den Voranmel­dungen der Erzeuger, den auf Erfah­rungs­werten beruhenden Standard­last­pro­filen über das Verbrau­cher­ver­halten und weiteren Infor­ma­tionen wie etwa Wetter­daten ergeben, sind deswegen zwar sehr weitgehend treff­sicher, aber eben nicht ganz. Es kann ständig dazu kommen, dass es eine Lücke zwischen einge­speistem und abgenom­menen Strom gibt. In diesem Fall müssen sehr schnell zusätz­liche Mengen einge­speist werden oder große Verbraucher müssen ihre Abnahme drosseln. Je nach Vorher­seh­barkeit des Regel­be­darfs unter­scheidet man drei verschiedene Regel­en­er­gie­pro­dukte: Die Primär­re­serve, die innerhalb von Sekunden greift. Die Sekun­där­re­serve und die Minuten­re­serve, die einige Minuten Zeit haben, bis sie wirksam werden.

Reser­ve­leistung ist teuer. Das versteht sich eigentlich von selbst: Damit ein Kraftwerk innerhalb von Sekunden produ­zieren kann, muss es die ganze Zeit betriebs­bereit bleiben. Das kostet, denn das Kraftwerk selbst kostet Geld, die Betriebs­be­reit­schaft kostet Geld, zum Beispiel Perso­nal­kosten, und natürlich kostet es auch Geld, den im Reser­vefall nachge­fragten Strom tatsächlich zu erzeugen bzw. den Strom­ver­brauch ganz plötzlich drastisch zu reduzieren.

In Deutschland sind die vier Übertra­gungs­netz­be­treiber (ÜNB) für die Regel­en­er­gie­be­schaffung zuständig. Sie schreiben die Regel­en­ergie aus. Unter­nehmen bieten ihre Kraft­werke an oder bieten an, dass sie das Netz durch schnelle Abschaltung großer Verbrauchs­mengen entlasten. Die ÜNB gehen bei der Auswahl nach festge­legten Zuschlags­kri­terien vor. Welche Unter­nehmen hierbei bisher erfolg­reich waren, steht in der  Anbie­ter­liste.

Bisher wurden die Zuschläge nur anhand der Leistungs­preise erteilt, also anhand der Kosten der Vorhaltung. Die BNetzA meint, dies habe wohl dazu geführt, dass es im Oktober 2017 zu bisher noch nicht dagewe­senen Spitzen­preisen von 20.614,97 Euro/MWh (19:15 Uhr bis 19:30 Uhr) bzw. 24.455,05 Euro/MWh (19:30 Uhr bis 19:45 Uhr) kam. Die Arbeits­preise, also die Kosten des tatsäch­lichen Abrufs, spielten dagegen für die Zuschlags­er­teilung keine Rolle. Die BNetzA meint, dies hätten einzelne Anbieter ausge­nutzt und sehr niedrige Leistungs­preise geboten, um erst einmal den Zuschlag zu erhalten, und dann extrem teuer verkauft. Deswegen wurde als erste Maßnahme im Januar eine Preis­ober­grenze einge­zogen. Aber auch das generelle Verfahren soll sich jetzt ändern.

Auf den ersten Blick erscheint dies erst einmal logisch. Wieso wenden sich denn trotzdem so viele Unter­nehmen gegen die Neure­gelung? Ganz einfach: Die Verteilung der Kosten auf Vorhaltung der Anlage und Erzeugung von Energie ist bei unter­schied­lichen Anlagen­typen unter­schiedlich. Wenn man den Zuschlags­me­cha­nismus ändert, kommen also auf einmal voraus­sichtlich andere Anlagen zum Zug als bisher. Dies könnte, befürchten manche, den konven­tio­nellen, also fossilen Kraft­werks­typen nützen. Während es anderen Techno­logien zur Netzent­lastung, wie etwa Power-To-Heat-Anlagen (die wie große Wasser­kocher aus Strom Wärme herstellen) schadet. Und auch für den Letzt­ver­braucher ergeben sich Änderungen. Denn die Vorhal­te­kosten, der Leistungs­preis, fließen in die Netznut­zungs­ent­gelte ein, die jeder als auf den Strom­transport entfal­lenden Kosten­faktor auf seiner Strom­rechnung findet. Die Arbeit, also die tatsächlich erzeugte Regel­en­ergie, wird dagegen von den Bilanz­kreis­ver­ant­wort­lichen getragen. Damit wirken sich Verän­de­rungen beim Zuschlags­me­cha­nismus direkt auf die Kosten, aber eben auch auf die Zusam­men­setzung der Regel­en­ergie liefernden Anlagen aus.

Doch längst nicht alle Markt­teil­nehmer sehen das ganze Instrument kritisch. Viele halten zwar den Ansatz an sich für begrü­ßenswert, wenden sich aber gegen die schwam­migen Gewich­tungs­fak­toren. Wieder andere sehen Preis­ober­grenzen kritisch. Anzunehmen ist, dass sich am Ende ein Gericht mit der Frage der Richtigkeit beschäf­tigen wird, denn der Beschluss der BNetzA ist selbst­ver­ständlich anfechtbar.

Immerhin halten sich die zukünf­tigen Auswir­kungen in Grenzen. Die europäische Regelung, die die Regel­ar­beits­märkte nach der Verordnung (EU) 2017/2195 der Kommission vom 23.12.2017 zur Festlegung einer Leitlinie über den System­aus­gleich im Elektri­zi­täts­ver­sor­gungs­system (System­aus­gleichVO), neu ordnen soll, existiert bereits. Ein Verfahren vor dem OLG Köln hätte also eine durchaus begrenze Strahl­kraft für die Zukunft.

2018-06-12T12:12:38+02:0011. Juni 2018|Strom|

Und sie bewegt sich doch

Frau Göker flucht. Das kommt nicht oft vor. Frau Geschäfts­füh­rerin Göker der Stadt­werke Oberal­theim GmbH (SWO) gilt als geradezu übermenschlich beherrscht. Aber wenn man sechs Wochen Mutter­schutz und ein entsetz­liches Jahr ohne die unersetz­liche, sozusagen gottgleiche Assis­tentin Annika Assmann fast überstanden hat, nur um im Januar zu erfahren, dass deren Elternzeit statt im März zu enden, nun bis August verlängert werden soll, kann man schon mal Ausdrücke gebrauchen, von denen Außen­ste­hende nicht einmal geahnt hätten, dass Frau Göker sie kennt.

Anders als manche im Vorfeld unkten, liegt diese Verlän­gerung keineswegs an einer Persön­lich­keits­ver­än­derung von Frau Assmann. Ganz im Gegenteil: Frau Assmann langweilt sich zwischen PEKiP und endlosen Spazier­gängen im Stadtpark von Oberal­theim demnächst zu Tode und brennt darauf, Sohn Charly endlich in der Kita Puste­blume unter­zu­bringen. Doch die Puste­blume hat alle 70 Plätze restlos belegt. Erst ab August soll es einen Platz für Charly geben, wenn die großen Kinder einge­schult werden. Dabei hat Frau Assmann doch einen Kosten­über­nah­me­be­scheid – vulgo Kitagut­schein – ab März bekommen, denn am 1. März wird Charly eins.

Das kann doch nicht sein!“, wütet Geschäfts­füh­rerin Göker gegen das Schicksal und berät sich lange mit Frau Justi­tiarin Berlach und Frau Assmann selbst. Schließlich fassen die drei Damen einen Plan: Frau Assmann stellt einen Antrag auf Zuweisung eines Kitaplatzes ab dem 1. März. Als die Ablehnung mangels freier Plätze kommt, legt sie unmit­telbar Wider­spruch ein und kündigt einen Eilantrag vorm Verwal­tungs­ge­richt (VG) an. Zur Begründung verweist sie – mit ein bisschen freund­schaft­licher Unter­stützung von Frau Berlach – auf § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, wo es heißt:

Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebens­jahres Anspruch auf frühkind­liche Förderung in einer Tages­ein­richtung oder in Kindertagespflege.“

Keineswegs heißt es hier, dass ein Kind ab dem 1. August nach dem ersten Geburtstag Anspruch auf einen Kitaplatz hat. Auch steht da nicht, dass dieser Anspruch nur dann bestehen würde, wenn es ausrei­chend Plätze vor Ort gibt. Ganz im Gegenteil gewährt der Gesetz­geber diesen Anspruch ohne Kapazi­täts­vor­behalt, wie u. a. das BVerfG unter­strichen hat (1 BvF 2/13, dort Rn. 43). Das bedeutet, dass es Sache der Behörden ist, die Plätze bereit­zu­stellen. Deswegen hat auch kürzlich das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 22.03.2018 (OVG 6 S 2.18 und OVG 6 S 6.18) das Land Berlin verpflichtet, innerhalb von fünf Wochen Kitaplätze (oder gleich­wertige Betreu­ungs­plätze) in angemes­sener Entfernung von weniger als 30 Minuten nachzuweisen.

Das Jugendamt aber stellt sich tot. Nicht einmal, als Frau Assmann tatsächlich das VG Oberal­theim bemüht und einen Eilantrag stellt, kommt Bewegung in die Behörde. Man wolle, hört man hinter vorge­hal­tener Hand, niemanden dazu einladen, es Frau Assmann gleich zu tun. Erst, als das VG Oberal­theim tatsächlich einen Beschluss im Eilrechts­schutz erlässt und Charly den begehrten Platz ab dem 1. März zuspricht, erhält Frau Assmann kommen­tarlos einen Kitavertrag zugeschickt.

Und Frau Göker soll, wie man hört, in ihrem Büro eine Art kleinen Freudentanz aufge­führt haben.

2018-06-11T08:25:56+02:0010. Juni 2018|Verwaltungsrecht|