Top oder Flop: Die Musterfeststellungsklage

So, nun kommt sie also: Die Muster­fest­stel­lungs­klage (Entwurf der BReg hier, kritische Stimmen vieler Experten hier) hat den Bundestag passiert. Künftig können Verbraucher sich also in ein Klage­re­gister eintragen, wenn ein Verband vor Gericht zieht, um Angele­gen­heiten, die viele gleich­artige Fälle betreffen, klären zu lassen. Nicht jeder Verband darf eine Muster­fest­stel­lungs­klage erheben. Mindestens 350 natür­liche Personen müssen Mitglied sein und der Verband seit vier Jahren aktiv. Die Klage muss sich auf zehn verschiedene Fälle beziehen. Und sie führt nur dann zu einem Gerichts­ver­fahren, wenn mindestens 40 weitere Betroffene sich auf die Bekannt­ma­chung des Gerichts, das die Klage einge­gangen ist, in ein Register eintragen lassen.

Aus Verbrau­cher­sicht ärgerlich: Der Prozess samt Eintragung ins Register allein führt nicht dazu, dass das Unter­nehmen zahlen muss. Wenn also das (hier erstin­stanzlich) angerufene Oberlan­des­ge­richt (OLG) feststellt, dass beispiels­weise eine bestimmte Baureihe eines Autos immer einen bestimmten schuldhaft verur­sachten Fehler aufweist. Oder dass ein Versi­che­rungs­vertrag immer unwirksame AGBs hat. Dann muss das beklagte Unter­nehmen nicht etwa an alle, die ihre Ansprüche angemeldet haben, zahlen. Das Urteil hat ja nur Feststel­lungs­wirkung. Zahlt das beklagte Unter­nehmen an die Verbraucher nicht freiwillig, müssen diese einen zweiten Prozess auf Zahlung führen.

Damit steht der Verbraucher am Ende aber nicht besser als heute. Schon heute ist es ja verbreitete Praxis, dass ein Gericht die Klage eines Verbrau­chers zurück­stellen wird, wenn es weiß, dass andernorts ein Verfahren weiter gediehen ist als die just erhobene Klage. Es ist mehr als unwahr­scheinlich, dass dann, wenn der Bundes­ge­richtshof (BGH) einen gleich gelagerten Sachverhalt entschieden hat, ein Instanz­ge­richt anders entscheidet. Was hat der Verbraucher also davon, dass er statt Klage zu erheben, sich in ein Register einträgt? Bei den Summen, um die es geht, ist das finan­zielle Risiko meist überschaubar. Vielfach geben Unter­nehmen auch Verjäh­rungs­ver­zichts­er­klä­rungen ab, weil auch sie ja Kosten sparen, wenn nicht jeder gleich klagt. Und im Erfolgsfall zahlt ohnehin die Gegen­seite. Und ist der Gang zum Register wirklich so viel einfacher für den Verbraucher? Aufwand hat er in jedem Fall. Tatenlos abwarten reicht nicht.

Überdies ist der Verbraucher regel­mäßig außer­stande zu beurteilen, ob es in seinem Fall wirklich um exakt den Sachverhalt geht, der dem Gericht vorliegt. Schließlich ist ein Bürger nur in gensel­tensten Fällen ein Jurist. Was, wenn der Verbraucher erst nach dem Prozess feststellen muss, dass sein Fall doch etwas anders liegt  oder spezielle Einwen­dungen und Einreden vorliegen? Dann hat er keine Zeit gewonnen, sondern verloren. Lässt er sich aber im Vorfeld beraten, um sicher zu gehen, dass er von der Muster­fest­stel­lungs­klage auch wirklich profi­tiert, hat er die Kosten auch am Hals, die der Gesetz­geber ihm eigentlich ersparen wollte.

Ein Punkt, der nicht für alle Verbraucher relevant ist, aber für manche mögli­cher­weise doch: Wer selbst klagt, hat Einfluss auf die Strategie. Wer den Verband klagen lässt, aber nicht. Wenn sich während des Prozesses heraus­stellt, dass der Verband anders agiert, als man es sich wünscht, ist man machtlos. Überdies: Trägt der Verband bzw. dessen Anwälte eigentlich das Haftungs­risiko, wenn etwas schief geht? Wenn ich ein Verfahren führe und patze, trägt das meine Versi­cherung. Aber wie sieht das bei einer Muster­fest­stel­lungs­klage aus?

Auch die Frage, welcher Verband zum Zug kommt, ist bisher nicht ganz zufrie­den­stellend geklärt. Nur die ersten Klagen (mögli­cher­weise auch mehrere) führen zu Verfahren. Aber nimmt das dem Verbraucher nicht die Wahl zwischen mehreren Ansätzen und unter­schied­lichen Strategien? Und ist die Übernahme der Verant­wortung durch andere, die die Rechte des sogenannten kleinen Mannes und der kleinen Frau dann nach eigenem Gusto durch­fechten nicht ohnehin ein tenden­ziell pater­na­lis­ti­sches, Selbst­be­stimmung und Eigen­ver­ant­wortung ganz klein schrei­bendes Konzept? Wie auch immer, nun heißt es abwarten, wie die Muster­fest­stel­lungs­klage sich in der Praxis bewähren wird. Meine persön­liche Prognose: Viel Lärm um nichts, oder zumindest eher wenig. Wer seine Rechte wahren will, muss nach wie vor meistens selbst kämpfen.