Oha. Die Bundes­netz­agentur (BNetzA) hat die Zuschlags­kri­terien für Regel­en­ergie geändert. Ab Juli fließt neben dem Leistungs­preis auch der Arbeits­preis in die Bewertung ein. Was so technisch daher­kommt, ist aller­dings hoch umstritten. Dies zeigt schon die lange Liste an Stellung­nahmen, die die BNetzA im Vorfeld erhalten hat. Aber worum geht es eigentlich?

Strom­netze können keinen Strom speichern. Einspeisung und Entnahme müssen sich also die Waage halten. Nun melden Verbraucher bekanntlich nicht an, dass sie gleich den Fernseher einschalten. Und ob beispiels­weise die Sonne scheint oder ein Kraftwerk havariert, weiß man auch nicht immer im Voraus. Die Prognosen, die sich aus den Voranmel­dungen der Erzeuger, den auf Erfah­rungs­werten beruhenden Standard­last­pro­filen über das Verbrau­cher­ver­halten und weiteren Infor­ma­tionen wie etwa Wetter­daten ergeben, sind deswegen zwar sehr weitgehend treff­sicher, aber eben nicht ganz. Es kann ständig dazu kommen, dass es eine Lücke zwischen einge­speistem und abgenom­menen Strom gibt. In diesem Fall müssen sehr schnell zusätz­liche Mengen einge­speist werden oder große Verbraucher müssen ihre Abnahme drosseln. Je nach Vorher­seh­barkeit des Regel­be­darfs unter­scheidet man drei verschiedene Regel­en­er­gie­pro­dukte: Die Primär­re­serve, die innerhalb von Sekunden greift. Die Sekun­där­re­serve und die Minuten­re­serve, die einige Minuten Zeit haben, bis sie wirksam werden.

Reser­ve­leistung ist teuer. Das versteht sich eigentlich von selbst: Damit ein Kraftwerk innerhalb von Sekunden produ­zieren kann, muss es die ganze Zeit betriebs­bereit bleiben. Das kostet, denn das Kraftwerk selbst kostet Geld, die Betriebs­be­reit­schaft kostet Geld, zum Beispiel Perso­nal­kosten, und natürlich kostet es auch Geld, den im Reser­vefall nachge­fragten Strom tatsächlich zu erzeugen bzw. den Strom­ver­brauch ganz plötzlich drastisch zu reduzieren.

In Deutschland sind die vier Übertra­gungs­netz­be­treiber (ÜNB) für die Regel­en­er­gie­be­schaffung zuständig. Sie schreiben die Regel­en­ergie aus. Unter­nehmen bieten ihre Kraft­werke an oder bieten an, dass sie das Netz durch schnelle Abschaltung großer Verbrauchs­mengen entlasten. Die ÜNB gehen bei der Auswahl nach festge­legten Zuschlags­kri­terien vor. Welche Unter­nehmen hierbei bisher erfolg­reich waren, steht in der  Anbie­ter­liste.

Bisher wurden die Zuschläge nur anhand der Leistungs­preise erteilt, also anhand der Kosten der Vorhaltung. Die BNetzA meint, dies habe wohl dazu geführt, dass es im Oktober 2017 zu bisher noch nicht dagewe­senen Spitzen­preisen von 20.614,97 Euro/MWh (19:15 Uhr bis 19:30 Uhr) bzw. 24.455,05 Euro/MWh (19:30 Uhr bis 19:45 Uhr) kam. Die Arbeits­preise, also die Kosten des tatsäch­lichen Abrufs, spielten dagegen für die Zuschlags­er­teilung keine Rolle. Die BNetzA meint, dies hätten einzelne Anbieter ausge­nutzt und sehr niedrige Leistungs­preise geboten, um erst einmal den Zuschlag zu erhalten, und dann extrem teuer verkauft. Deswegen wurde als erste Maßnahme im Januar eine Preis­ober­grenze einge­zogen. Aber auch das generelle Verfahren soll sich jetzt ändern.

Auf den ersten Blick erscheint dies erst einmal logisch. Wieso wenden sich denn trotzdem so viele Unter­nehmen gegen die Neure­gelung? Ganz einfach: Die Verteilung der Kosten auf Vorhaltung der Anlage und Erzeugung von Energie ist bei unter­schied­lichen Anlagen­typen unter­schiedlich. Wenn man den Zuschlags­me­cha­nismus ändert, kommen also auf einmal voraus­sichtlich andere Anlagen zum Zug als bisher. Dies könnte, befürchten manche, den konven­tio­nellen, also fossilen Kraft­werks­typen nützen. Während es anderen Techno­logien zur Netzent­lastung, wie etwa Power-To-Heat-Anlagen (die wie große Wasser­kocher aus Strom Wärme herstellen) schadet. Und auch für den Letzt­ver­braucher ergeben sich Änderungen. Denn die Vorhal­te­kosten, der Leistungs­preis, fließen in die Netznut­zungs­ent­gelte ein, die jeder als auf den Strom­transport entfal­lenden Kosten­faktor auf seiner Strom­rechnung findet. Die Arbeit, also die tatsächlich erzeugte Regel­en­ergie, wird dagegen von den Bilanz­kreis­ver­ant­wort­lichen getragen. Damit wirken sich Verän­de­rungen beim Zuschlags­me­cha­nismus direkt auf die Kosten, aber eben auch auf die Zusam­men­setzung der Regel­en­ergie liefernden Anlagen aus.

Doch längst nicht alle Markt­teil­nehmer sehen das ganze Instrument kritisch. Viele halten zwar den Ansatz an sich für begrü­ßenswert, wenden sich aber gegen die schwam­migen Gewich­tungs­fak­toren. Wieder andere sehen Preis­ober­grenzen kritisch. Anzunehmen ist, dass sich am Ende ein Gericht mit der Frage der Richtigkeit beschäf­tigen wird, denn der Beschluss der BNetzA ist selbst­ver­ständlich anfechtbar.

Immerhin halten sich die zukünf­tigen Auswir­kungen in Grenzen. Die europäische Regelung, die die Regel­ar­beits­märkte nach der Verordnung (EU) 2017/2195 der Kommission vom 23.12.2017 zur Festlegung einer Leitlinie über den System­aus­gleich im Elektri­zi­täts­ver­sor­gungs­system (System­aus­gleichVO), neu ordnen soll, existiert bereits. Ein Verfahren vor dem OLG Köln hätte also eine durchaus begrenze Strahl­kraft für die Zukunft.