Hui. Das scheint ein Thema zu sein, das mehr Leute beschäftigt, als ich dachte. Denn als ich mich gestern bei Twitter wunderte, wieso nicht mehr Leute Kitaplätze für ihre Klein­kinder ab dem ersten Geburtstag einklagen, bekam ich kurz hinter­ein­ander drei Nachrichten. Die eine DM erklärte mich kurzerhand für eine juris­tische Null, die nicht verstehen wolle, dass man nur das einklagen könne, was auch da sei. Die anderen erkun­digten sich, wie denn das eigentlich aussehen solle. Nun habe ich – dies in aller Offenheit – ein solches Verfahren noch nicht geführt. Als Fachan­wältin für Verwal­tungs­recht verstehe ich aber etwas von Klagen gegen die öffent­liche Hand. Daher hier nun in aller Kürze:

§ 24 Abs. 2 SGB VIII lautet:

Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebens­jahres Anspruch auf frühkind­liche Förderung in einer Tages­ein­richtung oder in Kindertagespflege.“

Den Anspruch hat also das Kind. Es geht um seine Förderung durch den Besuch einer Kita oder einer Tages­mutter. Der Bundes­ge­richtshof (BGH) hat aber in einem Urteil vom 20.10.2016 (Az.: III ZR 303/15, dort Rn. 25ff.) festge­stellt, dass nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern Begüns­tigte dieser Regelung sind. Das ist besonders wichtig, wenn die Kommunen den Anspruch nicht erfüllen; wir kommen auf diesen Punkt gleich zurück.

Der Anspruch auf einen Betreu­ungs­platz besteht nicht nur, sofern und soweit freie Plätze existieren. Denn schließlich könnte sich die Kommune ja ansonsten dadurch aus der Bredouille ziehen, indem sie schlicht keine Hand für mehr Betreu­ungs­plätze rührt. Dies ist aber nicht möglich: Die Träger der Jugend­hilfe (meist die Kommunen, bzw. deren Jugend­ämter, dieses regelt das Landes­recht) haben gefäl­ligst Betreu­ungs­plätze zu schaffen. Dies hat auch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) klarge­stellt, das in seiner Entscheidung zum Betreu­ungsgeld vom 21.05.2015 (1 BvF 2/13, dort Rn. 43) zum Kitaan­spruch ausführt:

Nach § 24 Abs. 2 SGB VIII besteht diesbe­züglich ein einklag­barer Leistungs­an­spruch, der nicht unter Kapazi­täts­vor­behalt gestellt ist.“

Damit ist klar: Das Jugendamt muss dem Kind einen Platz zuweisen, wenn die Eltern keinen gefunden haben.

Wer also trotz aller Bemühungen keinen Platz findet, muss sich erst einmal an das zuständige Jugendamt wenden und einen Antrag auf Zuweisung eines Kitaplatzes stellen. Einen bindende Frist, wann dies zu erfolgen hat, steht nicht im SGB VIII. Mögli­cher­weise lohnt sich hier bezüglich der Forma­li­täten ein Blick ins Landes­recht. Aber mindestens drei Monate sollte man dem Jugendamt schon aus prakti­schen Gründen einräumen. Der Verwal­tungs­ge­richtshof (VGH) München hat mit Urt. v. 22.07.2016 noch einmal klarge­stellt, dass das Jugendamt einen Platz organi­sieren muss und dies nicht den Eltern aufer­legen darf. Wenn das Jugendamt keinen Platz findet, wird es diesen Antrag ablehnen. Gegen diesen Ableh­nungs­be­scheid kann – wie immer gilt: Fristen beachten! – Wider­spruch eingelegt werden. Bekommt das Kind dann immer noch keinen Platz, kann geklagt werden. Sollte das alles unzumutbar lange dauern oder gar keine Reaktion erfolgen, kann über Untätig­keits­klage und/oder den Eilrechts­schutz versucht werden, doch noch recht­zeitig einen Kitaplatz zu bekommen.

Doch trotz dieser an sich klaren Rechtslage bleibt es Eltern wohl auch künftig nicht erspart, ab Geburt des Kindes bei den Kitas der Umgebung zu anticham­brieren und bei Kitalei­te­rinnen Werbung für die eigene Familie zu machen. Denn einen Anspruch auf die Wunschkita oder ein Wunsch­konzept gibt es nicht. Mit geringen Einschrän­kungen muss man, findet man selbst keinen Platz, nehmen, was die Jugend­ämter einem zuweisen. Insbe­sondere dann, wenn ein Elternteil ab Kitastart nicht wieder arbeiten wird,

Doch natürlich hat auch dies seine Grenzen. Der Platz darf nicht zu weit weg sein und er darf auch nicht teurer sein als ein städti­scher Kitaplatz. Notfalls muss das Jugendamt einen Ausgleichs­beitrag leisten (VGH München, a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 01.09.2016,  Az.: 7 A 10849/15). Natürlich muss der Platz auch quali­tativ zumutbar sein, also zumindest den gesetz­lichen Vorgaben bezüglich Betreu­ungs­schlüssel etc. entsprechen.

Hilft das alles nichts, und der Träger der Jugend­hilfe verschafft entweder keinen Kitaplatz oder erst ab einem späteren Zeitpunkt, als man beantragt, wandelt sich der Anspruch auf den Platz in einen Schadens­er­satz­an­spruch um. Es greifen die Grund­sätze der Amtshaftung. Danach muss die öffent­liche Hand den Schaden ersetzen, der entstanden ist, weil er, salopp gesagt, seinen Job nicht gemacht hat. Dies betrifft besonders entgan­genes Arbeits­entgelt, weil ein Elternteil länger pausieren musste als geplant. Dass es diesen Anspruch grund­sätzlich gibt, hat der BGH in seiner bereits zitierten Entscheidung vom 20.10.2016 klarge­stellt. Wie sich der Anspruch konkret bemisst, muss jeweils im Einzelfall festge­stellt werden. Wie immer bei Amtshaf­tungs­an­sprüchen ist Verschulden nötig, aber hier dürften die Fallkon­stel­la­tionen eher selten sein, in denen Städte die aktuelle Mangel­si­tuation nicht verschuldet haben.

Klar ist danach aber: Der Träger der Jugend­hilfe darf sich nicht zurück­lehnen. Er hat Eltern einen Kitaplatz ab dem ersten Geburtstag zu verschaffen. Eltern abwimmeln und auf fehlende Plätze verweisen darf er nicht. Es lohnt sich also, so früh wie möglich den Kontakt zur Behörde aufzu­nehmen, wenn sich abzeichnet, dass die Wunsch­kitas das Kind nicht aufnehmen können. Zu verdeut­lichen, ab wann man den Platz braucht, auf die konkreten Umstände (Wann endet die Elternzeit? Wie viel soll gearbeitet werden?) hinzu­weisen und unmiss­ver­ständlich die Zuweisung eines Platzes zu beantragen. Wie immer im Leben gilt auch hier: Reden hilft. Und für den Fall, dass alle Stricke reissen, lohnt es sich sicher auch, frühzeitig und schriftlich, aber höflich darauf aufmerksam zu machen, dass den Eltern ernst­hafte finan­zielle Nachteile erwachsen, wenn es keinen Platz gibt.