Aller­letzte Gnaden­frist: Jetzt muss Deutschland wirklich liefern

Es geht durch die Presse: Wenn Deutschland nicht bis zum 5. Februar, also immerhin noch bis nächsten Montag, ausrei­chende Maßnahmen benennt, um die EU-Grenz­werte für Stick­oxide der Luftqua­li­täts­richt­linie 2008/50/EG einzu­halten, wird die europäische Kommission wohl Klage vor dem Europäi­schen Gerichtshof (EuGH) erheben. Doch was hat diese Ankün­digung praktisch zu bedeuten?

In der Luftqua­li­täts­richt­linie geht es um Umwelt­qua­li­täts­normen. Diese geben, anders als emissi­ons­be­zogene Regelungen, vor, wie die Luft in Deutschland beschaffen sein muss. Konkret muss die Atemluft bestimmte Standards insbe­sondere im Hinblick auf Stick­oxide und Feinstaub erfüllen. Haupt­quelle hierfür ist der Straßenverkehr.

Offen ist dabei immerhin, wie die Mitglied­staaten die durch EU-Recht vorge­ge­benen Ziele erreichen sollen. Bundes­re­gierung und Landes­re­gie­rungen müssen sich also etwas einfallen lassen. Von der Förderung des öffent­lichen Perso­nen­nah­ver­kehrs bis hin zu Einschrän­kungen für bestimmte Fahrzeug­typen ist dabei alles denkbar, was die Luft verbessert.

Bundes­re­gierung und Landes­re­gie­rungen sind in der Vergan­genheit dabei vor den vermutlich wirksamsten Maßnahmen jedoch stets zurück­ge­schreckt. Man wollte den deutschen Autofahrer nicht verschrecken, insbe­sondere nicht durch Fahrverbote für ältere Diesel­fahr­zeuge, die in den betrof­fenen urbanen Regionen, vor allem in Stuttgart und München, aber auch in Berlin und in der Rhein-Main Region für nicht wenige Autofahrer ein ernst­haftes und akutes Problem darstellen würden. Denn wie kommt ein Pendler zur Arbeit, wenn er mit seinem Auto nicht mehr in die Innen­stadt fahren darf?

Doch nun erhöht sich der Druck nicht nur durch die Gerichte. Sondern auch im Rahmen eines Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahrens nach Art. 258 AEUV. Denn schließlich stellt die Überschreitung der geltenden Grenz­werte auch Jahre nach dem in der Richt­linie bestimmten Umset­zungs­zeitraum nicht nur eine politische Peinlichkeit da. Hier hat die Bundes­re­publik sekun­däres Gemein­schafts­recht verletzt.

Das Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahren umfasst unter­schied­liche Eskala­ti­ons­stufen. Zunächst wendet sich die europäische Kommission als „Hüterin der Verträge“ an das betref­fende Land. Passiert trotz der sich inten­si­vie­renden Gespräche zwischen Kommission und Mitglied­staat dann immer noch nichts, kann die Kommission sich an den europäi­schen Gerichtshof in Luxemburg wenden. Dieser kann dann Sanktionen verhängen, es drohen Strafzahlungen.

Diese Straf­zah­lungen stellen keinen Freibrief da. Der Mitglied­staat kann sich also nicht von seinen Verpflich­tungen freikaufen, ganz abgesehen davon, dass ja auch der betroffene Bürger oder Umwelt­verband auf Einhaltung der Grenz­werte klagen kann. Der Mitglied­staat Bundes­re­publik Deutschland gerät also im Vertrags­ver­let­zungs­ver­fahren in eine in jeder Hinsicht peinliche Situation: Zum einen wird es teuer, Zum anderen ist mit einem solchen Verfahren natur­gemäß eine hohe negative Publi­zität verbunden. Ganz abgesehen davon, dass Deutschland dann immer noch liefern muss.

Damit stellt sich die Frage: Wird das zuständige Bundes­um­welt­mi­nis­terium nun in der aller­letzten Gnaden­frist bis nächsten Montag nicht vielleicht doch noch die ungeliebten Fahrverbote als Ultima Ratio für besonders betrof­fenen Regionen als Maßnahmen aufnehmen und in der Folge auch umsetzen? Der Bürger immerhin scheint mit solchen Fahrver­boten bereits zu rechnen. Der Verkauf von Diesel­fahr­zeugen hat in den letzten Monaten drastisch abgenommen. Und was die Diesel­fahr­zeuge angeht, die Käufer schon in gutem Glauben an die Verlaut­ba­rungen der Konzerne gekauft haben, spricht viel dafür, dass zumindest für einen Teil der mit der so genannten Schum­mel­software ausge­stat­teten Wagen ein Schadens­er­satz­an­spruch besteht.

2018-01-31T10:56:46+01:0031. Januar 2018|Allgemein|

Saubere Luft in Berlin

Es gibt in Deutschland Umweltqualitätsnormen. Diese stammen aus dem europäischen Recht und stehen in der 39. Bundes­im­mis­si­ons­schutz­ver­ordnung. Hier stehen Grenz­werte unter anderem für Stick­oxide, Feinstaub und Schwefeloxide.

Die Grenz­werte, die in der 39. BImSchV stehen, hat der Staat zu garan­tieren. Es handelt sich also um sog. „subjektive öffentliche Rechte“, die man notfalls einklagen kann. Das ergibt sich aus § 47 BImSchG. Problem an der Sache: Es sind ja gar nicht Staaten, die verschmutzen. Das sind wir alle. Autofahrer, Warmdu­scher, Wohnungs­heizer. Der Staat – das sind hier die Länder, also Berlin, Bayern, BaWü … – müssen also uns alle dazu bringen, dass wir weniger Auto fahren, heizen etc. Wenn die Länder wegen Grenzwertüberschreitungen verklagt werden, haben sie also zu wenig Druck ausgeübt. Hier liegt auch die politische Spreng­kraft solcher Klagen: Des einen saubere Luft ist des anderen Fahrver­zicht. Da sich niemand gern etwas verbieten lässt, sind die Länder in einer Zwickmühle. Sie verärgern auf jeden Fall jemanden.

Haupt­quelle ist der Verkehr. In Berlin stammen ungefähr 3/4 der proble­ma­ti­schen Emissionen von Stick­oxiden und Feinstaub aus dem Straßen­verkehr. 1,3 Mio. Kraft­fahr­zeuge emittieren Schad­stoffe. Natürlich kommt auch aus den Auspuffen von Bussen und aus den Kraft­werken, mit denen der Strom für Straßen- und S‑Bahnen erzeugt wird, Abgase. Aber pro gefah­renem Kilometer sind die Schad­stoffe des Autover­kehrs viel, viel mehr.

Leider ist es Berlin nicht gelungen, die Luftqualitätsziele einzu­halten. An einigen der 16 Messsta­tionen und 23 Probenahmegeräten wird immer noch zu viel Schad­stoff gemessen. Wer wissen will, wie es gerade konkret aussieht, kann im Internet nachschauen. Unter https:// www.berlin.de/senuvk/umwelt/luftqualitaet/luftdaten/ stehen die Daten. Hier sieht man, dass es Berlin bis heute nicht gelingt, durchgängig die Luftqualität zu garan­tieren, die laut der 39. BImSchV den Bürgern zusteht. Problem ist insbe­sondere Stick­stoff­dioxid, NO2. Das ist unter anderem schlecht für die Lunge und kann für Asthma­tiker zum ernsten Problem werden.

Weil Diesel­mo­toren mehr Stick­oxide emittieren als Benziner, sind diese derzeit so in der Diskussion. Sie sorgen nicht nur für Überschreitungen der Umweltqualitätsziele, sondern entsprechen auch den emissi­ons­be­zo­genen EU-Abgas­normen nicht. Das gilt, wie sich ja letztes Jahr heraus­ge­stellt hat, auch für neue Motoren, weil die nur auf dem Prüfstand, nicht auf der Straße wirksam filtern. Man darf aber nicht verkennen, dass nicht nur Diesel­mo­toren, sondern alle Verbren­nungs­mo­toren die Gesamt­be­lastung erhöhen. Wer nur Diesel verteufelt, macht es sich zu einfach. Man braucht eine ganz andere Mobilität.

Um für die Zukunft zu gewährleisten, dass die Luft besser wird, hat Berlin Luftreinhaltepläne erlassen, die diverse Maßnahmen enthielten. ZB die Umweltzone, mehr Parkraum­be­wirt­schaftung, mehr Tempo 30-Zonen etc. Gleich­zeitig nimmt der Pendler­verkehr zumindest gefühlt eher zu, weil immer mehr Leute immer weiter von ihrem Arbeits­platz weg wohnen. Man wird sehen, wie sich das entwickelt.

Nun ist die Berliner Luft ja nicht erst seit gestern schlecht. Leider ist – wie auch in anderen deutschen Städten – aber in den letzten Jahren nicht genug passiert. Deswegen hat es immer wieder Klagen gegeben. Lange Zeit durften nur direkt Betroffene klagen, also etwa Anwohner am Stutt­garter Neckartor. In den letzten Jahren hat der Europäische Gerichtshof, EuGH, aber in mehreren Entschei­dungen klarge­stellt, dass nicht nur Betroffene vor die Gerichte ziehen dürfen. In Berlin wären das etwa Anwohner an der Leipziger Straße. Oder an einigen Straßen in Neukölln, am Görlitzer Bahnhof oder an einigen Straßenzügen in Schöneberg. In Deutschland galt nämlich lange, dass klage­befugt nur derjenige ist, der direkt und unmit­telbar betroffen ist.

Deutschland, wie auch die EU, sind aber Parteien der Arhus-Konvention, die neben vielen anderen Rechten auch die Durch­setzung von Umwelt­recht durch Umweltverbände erleichtert. Schon vor einigen Jahren hat der EuGH deswegen ausge­ur­teilt, dass Verbände Lufteinhaltepläne einklagen können. Seitdem hat der EuGH in immer weiteren Entschei­dungen den deutschen Gesetz­geber dazu gezwungen, das Umwelt­rechts­be­helfs­gesetz immer weiter zu ändern. Heute können Umweltverbände sich vor Gericht auf fast alle Umwelt­ge­setze stützen. Dass die Deutsche Umwelt­hilfe in 16 Städten auf die Einhaltung der Luftqualität pocht, ist deswegen möglich, obwohl sie selbst ja nicht so betroffen ist wie Anwohner.

In Stuttgart, Düsseldorf und München waren diese Klagen erstin­stanzlich erfolg­reich, mit denen der Umwelt­verband Fahrverbote für bestimmte Diesel­mo­delle durch­setzen will. In Berlin und einigen anderen Städten sind ähnliche Klagen anhängig. Aber noch haben die Betrof­fenen und der Verband nicht gesiegt:

Die Städte sind sehr zögerlich, was die Umsetzung angeht. Bayern hat sich sogar zu 4000 EUR Zwangsgeld verur­teilen lassen, weil die Umwelt­mi­nis­terin das Urteil des Gerichts nicht umsetzt. Aber Zwangsgeld geht ans Land, so dass es dem Land nicht wehtut. Mal abgesehen davon, dass 4.000 EUR viel zu wenig sind, um den Staat zu beein­drucken. Nun ist Zwanghaft beantragt. Das geht gegen Gebietskörperschaften eigentlich gar nicht, ganz ausge­schlossen ist es aber nicht. Am 29.01. wird der Bayerische VGH diesen Antrag verhandeln.

Außerdem ist immer noch unklar, ob Fahrverbote überhaupt zulässig sind. Die Länder sind gegen die Verur­teilung, solche zu erlassen, in Revision gegangen. Das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) wird prüfen, ob es sich um zulässige Mittel handelt. Am 22.02.2018 wird in Leipzig verhandelt. Wenn das BVerwG sich dafür ausspricht, ist ein Fahrverbot für ältere Diesel auch in Berlin recht wahrscheinlich.

Wer klagen will, weil er sich an seinem konkreten Wohnort betroffen fühlt: Der Streitwert ist in BaWü mit 30.000 EUR bemessen worden. Das liegt aber daran, dass es hier um einen Verband geht. Bei privaten Dritten, die nicht in Eigen­tums­rechten, sondern in anderen Rechten betroffen sind, ist nach dem Streit­wert­ka­talog 2013 von 15.000 EUR auszu­gehen. In erster Instanz würde das 4.291 EUR ausmachen, das umfasst Gerichtsgebühren, den eigenen und den gegne­ri­schen Anwalt.

2018-01-30T16:46:37+01:0030. Januar 2018|Allgemein|