Novelle des Energie­si­che­rungs­ge­setzes enthält „Super­preis­an­pas­sungs­recht“ für den Gasnotstand

 

Wir hatten erst neulich hier über das etwas reliktisch anmutende Energie­si­che­rungs­gesetz geschrieben und schon lässt uns die aktuelle politische Entwicklung auf dieses Thema zurück­kommen. Denn aktuell liegt ein Entwurf zur Novel­lierung eben dieses Energie­si­che­rungs­ge­setzes vor – auch vor dem Hinter­grund des Notfallplan Gas für die Bundes­re­publik Deutschland.

Die Novelle enthält einen inter­es­santen Teilaspekt, den wir nachfolgend kurz genauer betrachten möchten: Der Gesetz­geber sieht dort in § 24 nämlich eine Art „Super­preis­an­pas­sungs­recht“ für Versorger vor, dass Wirksam wird, wenn die Alarm­stufe oder die Notfall­stufe des Notfallplan Gas ausge­rufen werden. Die Regelung lautet:

§ 24 Preis­an­pas­sungs­rechte bei vermin­derten Gasimporten

(1) Hat die Bundes­netz­agentur nach Ausrufung der Alarm­stufe oder Notfall­stufe nach Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b und Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2017/1938 in Verbindung mit dem Notfallplan Gas des Bundes­mi­nis­te­riums für Wirtschaft und Energie vom September 2019, der auf der Inter­net­seite des Bundes­mi­nis­te­riums für Wirtschaft und Klima­schutz veröf­fent­licht ist, eine erheb­liche Reduzierung der Gesamt­ga­sim­port­mengen nach Deutschland festge­stellt, haben alle hiervon betrof­fenen Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen entlang der Liefer­kette das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemes­senes Niveau anzupassen. Die Preis­an­passung ist dem Kunden recht­zeitig vor ihrem Eintritt mitzu­teilen. Bei einer Preis­an­passung nach Satz 1 hat der Kunde ein außer­or­dent­liches Kündi­gungs­recht, das unver­züglich nach Zugang der Preis­an­pas­sungs­mit­teilung auszuüben ist. Im Verhältnis zu Letzt­ver­brau­chern gilt § 41 Absatz 5 des Energie­wirt­schafts­ge­setzes entspre­chend mit der Maßgabe, dass die Unter­rich­tungs­frist nach § 41 Absatz 5 Satz 2 des Energie­wirt­schafts­ge­setzes gegenüber allen Letzt­ver­brau­chern eine Woche vor Eintritt der beabsich­tigten Änderung beträgt. Vertraglich verein­barte Preis­an­pas­sungs­rechte bleiben unberührt.

(2) Die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 ist aufzu­heben, wenn die erheb­liche Reduzierung der Gesamt­ga­sim­port­mengen nach Deutschland nicht mehr vorliegt. Mit Aufhebung der Feststellung haben Kunden solcher Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen, die vom Recht auf Preis­an­passung nach Absatz 1 Satz 1 Gebrauch gemacht haben, das Recht, die Anpassung des Vertrags zu verlangen.

(3) Die Feststellung nach Absatz 1 und ihre Aufhebung sind durch Presse­mit­teilung der Bundes­netz­agentur bekanntzumachen.

Die Regelung ist bemer­kenswert, weil Energie­ver­sorger grund­sätzlich bereits auch ohne diese Geset­zes­än­derung berechtigt sind in ihren Liefer­ver­trägen vertrag­liche Preis­an­pas­sungs­rechte zu regeln, deren Wirksamkeit sich unter anderem an § 41 Abs. 5 EnWG orientiert.

Letzt­endlich handelt es sich damit zunächst um ein Sicher­heitsnetz für alle Versorger, die kein wirksames eigenes Preis­an­pas­sungs­recht vereinbart haben. Zudem gilt die Ausnah­me­re­gelung quer durch die gesamte Liefer­kette. Für alle anderen bedeutet es zusätz­liche Sicherheit, denn das Preis­an­pas­sungs­recht nach § 24 tritt neben bestehende vertrag­liche Regelungen und enthält einige Vorteile:

So ist der Umfang der Preis­an­passung als „angemes­senes Niveau“ beschrieben, was für ein Preis­an­pas­sungs­recht nach billigem Ermessen des Versorgers im Sinne des § 315 BGB spricht.

Darüber hinaus ist die zulässige Ankün­di­gungs­frist mit einer Woche vor Eintritt der Preis­än­derung (bei Letzt­ver­brau­chern) bzw. „recht­zeitig“ (bei allen anderen Betei­ligten) extrem kurz bemessen. In dieser Zeit muss der Kunde sich entscheiden, ob er das ihm gewährte Sonder­kün­di­gungs­recht ausübt. Die gesetzlich zulässige Frist nach § 41 Abs. 5 EnWG für Preis­an­pas­sungen beträgt immerhin 1 Monat bei Haushalts­kunden und zwei Wochen bei allen übrigen Letztverbrauchern.

Zudem scheinen – anders als beim regulären Preis­an­pas­sungs­recht – keine beson­deren Anfor­de­rungen an die Mitteilung der Preis­än­derung zu bestehen, insbe­sondere bedarf es zumindest dem Wortlaut des Entwurfes nach keiner inhalt­lichen Begründung.

Wir sind gespannt ob das Gesetz in dieser Form beschlossen und seine Anwendung erfor­derlich wird.

(Christian Dümke)

2022-04-26T20:31:43+02:0026. April 2022|Energiepolitik|

Gehweg­radeln geboten

Kaum eine Frage im Verkehr setzt so Emotionen frei, wie das Radfahren auf dem Gehweg. Dass es rücksichtslose Menschen gibt, die Rad fahren, ist unbestritten. Aller­dings sollte auch klar sein, dass das Gefahren- und Schadens­po­tential weitaus geringer ist, als bei etlichen anderen häufigen Verkehrsverstößen.

Nicht umsonst ist das Radeln auf dem Gehweg in bestimmten Ausnah­me­fällen sogar gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 StVO geboten. Dies ist dann der Fall, wenn kein durch baulich von der Fahrbahn getrennter Fahrradweg vorhanden ist. Falls es einen entspre­chenden Weg gibt, haben die Kinder als Ausnahme zu der Radweg­be­nut­zungs­pflicht § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO die Wahl.

Kleines Mädchen auf Landstraße mit dem Fahrrad

Dass dies für Kinder unter 8 Jahren gilt, ist vielen Leuten noch bekannt. Weniger bekannt ist, dass auch eine Begleit­person, also die Eltern oder andere geeignete Sorge­be­rech­tigte ab 16 Jahren mit auf dem Gehweg fahren dürfen.  Nach den Vorschriften der StVO muss auf zu Fuß gehende besondere Rücksicht genommen werden. Außerdem muss bei der Gehweg­be­nutzung vor dem Überqueren jeder Fahrbahn abgestiegen werden.

Aus der Pflicht der Gehweg­be­nutzung durch Kinder unter 8 Jahren ergeben sich unter Umständen auch Haftungs­ri­siken für die Eltern. Denn wenn diese ihre Grund­schul­kinder auf der Fahrbahn oder auf nicht baulich getrennten Radfahr­streifen fahren lassen, dann gilt dies als Aufsichts­pflicht­ver­letzung. Wenn ein Auto durch ein auf der Fahrbahn fahrendes Kind beschädigt wird, müssen die Eltern den Schaden dann gemäß § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB ersetzen.

In einem Fall, in dem dies kürzlich so entschieden wurde, war das Kind von einem Radfahr­streifen auf die Fahrbahn ausge­wichen, weil ein weiterer Pkw dort rechts­widrig abgestellt worden war. Bezeich­nen­der­weise wurde ein eventu­elles Mitver­schulden des Dritten nicht thema­ti­siert, obwohl dieser für den Schaden auch eine Ursache gesetzt hat.

Insgesamt gibt es, was die Möglich­keiten angeht, mit Kindern Fahrrad zu fahren, in vielen Städten große Defizite. Dies liegt oft an engen oder zugeparkten Gehwegen und nicht vorhan­denen baulich getrennten Radwegen. Hier sollten Kommunen ihre recht­lichen Möglich­keiten nutzen, um Platz auf Gehwegen zu schaffen oder sichere und ausrei­chend breite Radwege auszu­weisen (Olaf Dilling).

2022-04-25T21:32:56+02:0025. April 2022|Verkehr|

Kosten der Schieds­stelle Energie: Entscheidung des KG Berlin, 2 U 77/18 EnWG

Bei Strei­tig­keiten zwischen Verbrau­chern und Unter­nehmen über den Anschluss an das Versor­gungsnetz, die Belie­ferung mit Energie sowie die Messung der Energie kann nach § 111b Abs. 1 EnWG die Schlich­tungs­stelle Energie angerufen werden, eine Einrichtung, die die Verbrau­cher­zen­trale Bundes­verband und die Verbände der Energie­wirt­schaft gemeinsam unter­halten. Diese kann von den betei­ligten Unter­nehmen Entgelte verlangen, so bestimmt es § 111b Abs. 6 S. 1 EnWG. Die Entgelte müssen angemessen sein und den ordnungs­ge­mäßen Geschäfts­be­trieb sicherstellen.

Die Schlich­tungs­stelle Energie hat diese Ermäch­ti­gungs­grundlage für die Entgelt­er­hebung durch Kosten­ord­nungen ausge­füllt, die Fallpau­schalen vorsehen. Ob diese die Entgelt­er­hebung recht­fer­tigen, war Gegen­stand eines Gerichts­ver­fahrens, das das KG Berlin mit Urt. v. 15.11.2021 − 2 U 77/18 EnWG – zweit­in­stanzlich zugunsten der Schlich­tungs­stelle entschieden hat.

In dem Verfahren trat die Schlich­tungs­stelle als Klägerin auf und verlangte das Entgelt von einem nicht zahlungs­be­reiten betei­ligten Unter­nehmen. Dieses berief sich zunächst auf verfas­sungs­recht­liche Bedenken gegen die Einrichtung der Schlich­tungs­stelle überhaupt. Dies überzeugte das KG aber nicht. Zum einen hatte nach Ansicht der Richter das Landge­richt Berlin – die erste Instanz – nichts falsch gemacht, als es sich auf eine Entscheidung des OLG Köln aus 2016 (18 U 127/14) stützte, in dem das OLG Köln auf die Bedenken gegenüber einer Art Paral­lel­justiz einge­gangen war und eine Verletzung des Rechts auf den gesetz­lichen Richter verneint hatte, und auch einen unzuläs­sigen Eingriff in Art. 12 GG verneint hatte. Zum anderen hatte die Beklagte, also das verklagte Unter­nehmen, zu pauschal behauptet, der Gesetz­geber hätte die aus dem Grund­recht auf Berufs­freiheit resul­tie­rende Abwägungs­pflicht nicht erfüllt. Außerdem bezwei­felte das Gericht schon, ob Verfas­sungs­recht hier überhaupt zum Zug kommen kann, denn die Normen, um die es hier geht, stammen aus dem EU-Recht, das dem deutschen Recht, auch dem Verfas­sungs­recht, bekanntlich vorgeht.

Justitia, Recht, Gerechtigkeit, Rechtsprechung, Symbol

Die Beklagte hatte weiter auch europa­recht­liche Argumente vorge­tragen: Sie berief sich auch Art. 3 Abs. 8 i. V. m. Anhang I Ziff. 1 lit. f) der Strom­bin­nen­markt-RL 2009/72/EG (parallel existiert eine entspre­chende Regelung für Gas), wo es heißt, dass das in der Richt­linie vorge­sehene Schlich­tungs­ver­fahren den Kunden trans­pa­rente, einfache und kosten­günstige Verfahren zur Behandlung ihrer Beschwerden eröffnen soll. Daraus resul­tiert aber nicht, dass das Verfahren auch für das Unter­nehmen – also eben nicht den Kunden – kosten­günstig sein müsste. Auch das Vorbringen des Unter­nehmens, es gäbe keinen Anhalts­punkt in der Richt­linie, dass dies nur den Kunden, nicht das Unter­nehmen privi­le­gieren sollte, überzeugte die Richter nicht.

Das KG stellte weiter fest, dass § 111b Abs. 6 S. 1 EnWG iVm mit den Kosten­ord­nungen auch eine ordnungs­gemäße Grundlage für die Entgelt­er­hebung darstellt. Die Beklagte hatte sich auf den Stand­punkt gestellt, das der Schlich­tungs­stelle einge­räumte Ermessen sie proble­ma­tisch, aber das sah das Gericht nicht so. Auch das Vorbringen, die Schlich­tungs­stelle sei nicht ordnungs­gemäß bestellt oder die Kosten­ord­nungen nicht korrekt, bügelte der Senat recht knapp ab. Maßgeblich sei nur, ob das Entgelt angemessen sei. Hier könnte man durchaus argumen­tieren, schließlich hatte die Schlich­tungs­stelle in den Jahre 2013 – 2017 rund 1 Mio. EUR Rücklage gebildet, so dass ihre Tätigkeit durchaus sicher­ge­stellt war und es durchaus möglich gewesen wäre, weniger oder nichts zu berechnen. Der Senat wies aber auf den zukünf­tigen Bedarf hin; ein Argument, das durchaus Fragen nach sich zieht, denn ist mit dem Abstellen auf künftige Bedarfe nicht einer nahezu uferlosen Gebüh­ren­er­hebung Tür und Tor geöffnet? Angesichts dieser Großzü­gigkeit erstaunt es nicht, dass das Gericht auch die Fallpau­schalen unbedenklich fand, auch wenn es keine Ermäßi­gungs­mög­lichkeit bei sehr kleinen Beträgen gibt.Auch umsatz­steu­erlich sah das KG nichts zu kritisieren.

Aufge­hoben hat das KG die Entscheidung des LG nur in einem einzigen Punkt: Dem Zinsbeginn. Das LG sah es als ausrei­chend aus, dass die Rechnung erstellt worden war, das KG verlangte den Zugang beim Empfänger (Miriam Vollmer).

2022-04-22T23:18:48+02:0022. April 2022|Allgemein|