Teurer (Zweit)tarif für Neukunden des Grund­ver­sorgers? Teil 2

Wir hatten hier ja bereits vor kurzem die Überlegung angestellt, ob angesichts der beson­deren Situation auf den Energie­märkten Grund­ver­sorger berechtigt wären, für Neukunden geson­derte (teurere) allge­meine Tarife anzubieten als für Bestandskunden.

Inzwi­schen haben einige Grund­ver­sorger diese theore­ti­schen Überle­gungen tatsächlich in die Tat umgesetzt.

Die Zuläs­sigkeit einer solchen Preis­ge­staltung ist weiterhin umstritten und mögli­cher­weise werden wir daher bald erste recht­liche Entschei­dungen zu dieser Frage sehen. Aber gesetzt den Fall, diese Art der Preis­auf­spaltung wäre unzulässig – welche Möglich­keiten rechtlich dagegen vorzu­gehen gäbe es eigentlich?

Da wäre zunächst einmal die Möglichkeit, die zuständige Regulie­rungs­be­hörde einzu­schalten. Ein behaup­teter Verstoß gegen die allge­meine Grund­ver­sor­gungs­pflicht nach § 36 EnWG könnte von Seiten der Behörden nach § 65 EnWG geprüft und geahndet werden. Hiernach kann die Regulie­rungs­be­hörde nämlich „Unter­nehmen oder Verei­ni­gungen von Unter­nehmen verpflichten, ein Verhalten abzustellen, das den Bestim­mungen dieses Gesetzes sowie den auf Grund dieses Gesetzes ergan­genen Rechts­vor­schriften entge­gen­steht. Sie kann hierzu alle erfor­der­lichen Abhil­fe­maß­nahmen verhal­tens­ori­en­tierter oder struk­tu­reller Art vorschreiben, die gegenüber der festge­stellten Zuwider­handlung verhält­nis­mäßig und für eine wirksame Abstellung der Zuwider­handlung erfor­derlich sind“.

Weiterhin könnte ein Kunde versuchen seine Abrechnung als unrichtig zu rekla­mieren, weil bei ihm ein teurer Neukun­den­tarif abgerechnet wurde statt eines günsti­geren Bestands­kun­den­ta­rifes – wobei dieser Weg nur eröffnet sein dürfte wenn der Kunde über den Weg der Ersatz­ver­sorgung oder der tatsäch­lichen Entnahme im Grund­ver­sor­gungs­tarif gelandet ist, also keinen konkreten Tarif vertraglich vereinbart hat.

Nach der Recht­spre­chung des BGH ist es grund­sätzlich nicht möglich, die bei Vertrags­ein­stieg geltenden Anfangs­preise gerichtlich auf ihre Angemes­senheit prüfen zu lassen, weil diese – anders als spätere Preis­an­pas­sungen – als beider­seitig im Rahmen der allge­meinen Vertrags­freiheit  vereinbart anzusehen sind.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bildet aller­dings die Möglichkeit über § 29 GWB einen Preis­miss­brauch durch ein markt­be­herr­schendes Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen zu behaupten und rechtlich anzugreifen. Wie bereits hier disku­tiert wird zumindest von den Kartell­be­hörden vertreten, dass Grund­ver­sorger als markt­be­herr­schende Unter­nehmen gelten. Fraglich ist, ob über diesen Einstieg am Ende tatsächlich eine Preis­senkung durch­ge­setzt werden kann, wenn der Grund­ver­sorger belegen kann, dass die erhöhten Preise allein durch hohe Beschaf­fungs­kosten für Neukunden gerecht­fertigt sind.

(Christian Dümke)

2021-12-06T18:03:13+01:006. Dezember 2021|Allgemein|

Wenn der Regio­nalplan zu wenig Windkraft vorsieht … Zu VG Gera (5 K 978/20 Ge)

Kennen wir alle: Man hat die besten Vorsätze, man verspricht alles Mögliche, aber wenn es dann konkret wird, passt es bei dieser Gelegenheit doch nicht. Nächstes Mal, dann aber ganz bestimmt.

Exakt so muss sich auch das Land Thüringen gefühlt haben, als es – nach Aufhebung seines alten Regio­nal­plans Ostthür­ningen von 2012 – seinen Regio­nalplan Ostthü­ringen 2020 beschloss. Zwar hatte man im Landes-Klima­gesetz 2018 hoch und heilig versprochen, mit dem Rauchen aufzuhö äh, also 1% der Landes­fläche vorrangig für Windkraft vorzu­sehen. Aber 2020 wollte man dann doch lieber keine Windkraft im Wald. Zusammen mit einigen anderen pauschalen Ausschluss­kri­terien für Windkraft­an­lagen („Tabuzonen“) blieb dann nicht mehr allzu viel übrig: Waren vor Erlass des Regio­nal­plans im ersten Planentwurf immerhin noch 0,88% des Landes­fläche Vorrang­gebiet für Windkraft, schrumpfte diese trotz aller Beteue­rungen 2020 bei Erlass auf 0,4%.

Dies wurde auch einem Vorhaben in der Nähe von Jena zum Verhängnis. Hier wollte der Vorha­ben­träger eine 200 m hohe Windkraft­anlage auf einem Acker errichten. Zunächst – das war noch vor dem Beschluss des Regio­nal­plans – hatte der Kreis die Geneh­migung abgelehnt, weil in rund 500 Metern neben der Anlage Rotmilane brüteten. Der Vorha­ben­träger versprach, während der Mahd und Aufzucht die Anlage abzuschalten, aber dem Kreis reichte das nicht, der wollte als entschie­dener Vogel­freund an dieser Stelle gar keine Windkraft. Es erging Wider­spruch, der zog sich, der Regio­nalplan erging und dann wies das Landesamt als Wider­spruchs­be­hörde den Wider­spruch ab. Dort, wo die Windkraft­anlage stehen sollte, sei Windkraft nunmehr unerwünscht. Der Vorha­ben­träger ging vor Gericht.

Windmühlen, Felder, Land, Bäume, Wald, Windrad, Energie

Das VG Gera prüfte den Regio­nalplan Ostthü­ringen, auf dem die Landes­ent­scheidung beruhte, in einem insgesamt 79 Seiten langen Urteil (5 K 978/20 Ge) gründlich durch und kommt zum Ergebnis, dass er materiell fehlerhaft sei und deswegen im Verfahren keine Anwendung finden könnte.

Zwar reicht es dem VG Gera nicht schon ohne weitere Schnörkel aus, dass der Regio­nalplan nicht die 1% Windvor­rang­ge­biete ausweist, die das Landes­kli­ma­schutz­gesetz fordert. Aber die Kammer bemängelt – für Nicht­ju­risten wirkt dies wider­sprüchlich, es ist aber eine schlicht andere Prüfungs­station – die Abwägungs­vor­gänge, auf denen die plane­ri­schen Festle­gungen beruhen. Zum Teil sind schon die Tabuzonen für Windkraft falsch festgelegt, weil sie Gebiete für die Windkraft ausschließen, für die das keineswegs gesetzlich geboten, natur­wis­sen­schaftlich zwingend oder zumindest hinrei­chend naheliegend ist. Aber das Land hat generell die Inter­essen an einer substan­ti­ellen Windener­gie­nutzung nicht ausrei­chend gewürdigt. Hier zitiert das VG Gera auch den Klima­schutz­be­schluss des BVerfG vom 24. März 2021 und führt dabei aus:

Das relative Gewicht des Klima­schutz­gebots nimmt in der Abwägung bei
fortschrei­tendem Klima­wandel aller­dings weiter zu“

Dann wendet sich das VG den 1% Windkraft­vor­rang­ge­bieten zu, die das Landes­kli­ma­schutz­gesetz fordert. Das Land wollte dies erst 2040 reali­sieren. Laut VG „unter­läuft“ es damit aber die Ziele des Klima­schutz­ge­setzes. Dies belegt das VG recht detail­liert anhand mehrerer Prüfbögen. Der Regio­nalplan hätte mehr Raum für Windkraft­an­lagen lassen müssen. Da das Gericht auch keine arten­schutz­recht­lichen Hinder­nisse sieht, ist die Entscheidung des Landes in seinen Augen rechts­widrig. Dass der Vorha­ben­träger trotzdem nicht die begehrte Geneh­migung, sondern „nur“ ein Beschei­dungs­urteil erhalten hat, liegt am Verfah­rens­stadium des Geneh­mi­gungs­ver­fahrens: Hier muss nun noch einmal die Behörde aktiv werden, es sei denn, die nächsten Instanzen entscheiden anders.

Was bedeutet diese Entscheidung nun für die Praxis? Inter­essant ist zunächst, dass die epochale Klima­schutz­ent­scheidung des BVerfG hier direkt den Abwägungs­vorgang beein­flusst. Inter­essant ist weiter, wie sehr das Gericht das Land beim Wort nimmt: Das  Klima­schutz­gesetz erweist sich als durchaus harte Nuss: Kein absolutes Verbot, keine direkten Ansprüche, aber eine relevante Verschiebung der für die Abwägung beim Planerlass entschei­denden Aspekte. Im Ergebnis steht auf fast 80 Seiten: Ihr habt den Klima­schutz nicht ausrei­chend berück­sichtigt, und wenn ihr euch Ziele in Klima­schutz­ge­setze schreibt, könnt ihr die nicht einfach beliebig ignorieren oder in die ferne Zukunft verschieben.

Wie eine frisch­ge­ba­ckene Altkanz­lerin jüngst sagte: Es ist ernst. Nehmen Sie es ernst (Miriam Vollmer).

2021-12-03T21:05:15+01:003. Dezember 2021|Allgemein, Erneuerbare Energien, Naturschutz, Strom, Umwelt|

Berlin beats Bund: Verkehrs­wende in Koalitionsverträgen

Die Diskussion von verkehrs­po­li­tisch und ‑rechtlich Inter­es­sierten über den Koali­ti­ons­vertrag des Bundes ist kaum abgeklungen, schon kommen Nachrichten über einen „neuen Koali­ti­ons­vertrag“ aus Berlin. Aller­dings geht es nicht um eine Neuauflage der Ampel in letzter Minute, sondern um die Landes­ebene, also um den Vertrag des rot-grün-roten Bündnisses. Nach der Wahl stellt es die Mehrheit im Abgeord­ne­tenhaus und will die Regierung im Roten Rathaus bilden. Ein paar spekta­kuläre Details zum Verkehr, wie der geplante Rückbau von Stadt­au­to­bahn­strecken und der Bau von Seilbahnen sind bereits an die Öffent­lichkeit gedrungen.

Drei Fahrradfahrer vor Regierungsgebäuden an der Spree

Aber auch die versteck­teren Details sind spannend. Schließlich geht es um die Blaupause, wie in der nächsten Berliner Legis­la­tur­pe­riode die Verkehrs­wende durch die Politik voran­ge­trieben oder auch ausge­bremst werden könnte. Anders als der Koali­ti­ons­vertrag des Bundes ist das Berliner Regie­rungs­pro­gramm insofern vielversprechender.

Das geht schon rein äußerlich los: Das Kapitel ist etwa doppelt so lang wie das Verkehrs­ka­pitel im Koali­ti­ons­vertrag der designierten Bundes­re­gierung. An diesem war von Verkehrs­po­li­tikern unter anderem kriti­siert worden, dass das Stichwort „Verkehr­wende“ vermutlich aufgrund von Empfind­lich­keiten der FDP sorgfältig vermieden wurde. Ganz anders in Berlin, da fällt das Stichwort gleich sieben Mal und das nicht nur im Kapitel über Mobilität. Es bleibt aber nicht bei dieser sehr allge­meinen Flughöhe… es finden sich auch sehr viel konkretere und zugleich kontro­versere Stich­worte, wie etwa „Lasten­rad­för­der­pro­gramm“.

Ein großer Teil des Vertrages ist jedoch ganz boden­ständig dem Ausbau des öffent­lichen Schie­nen­ver­kehrs, genauer gesagt der Schie­nen­in­fra­struktur der Regional‑, S‑, U- und Straßen­bahnen gewidmet. Die Taktfre­quenzen sollen ebenso erhöht werden sie die Fahrgast­si­cherheit durch spezi­elles Personal und Notfall­mel­de­systeme. Zugleich soll eine Tarif- und Finanz­reform des ÖPNV ohne Reduzierung der Steuer­mittel angestrebt werden. Um dies dennoch halbwegs haushalts­neutral hinzu­be­kommen, soll an anderer Stelle Geld einge­nommen werden, insbe­sondere im Bereich Parkraumbewirtschaftung:

Als Grundlage dafür soll ein digitales Parkraum­ma­nage­ment­system geschaffen werden, und die Parkraum­be­wirt­schaftung im Innen­stadtring soll ausweitet werden. Weiterhin geplant ist die Erhöhung der Parkge­bühren des Kurzzeit­parkens. Das Anwoh­ner­parken soll mit Ausnahmen für soziale Härte­fälle auf 10 Euro im Monat angehoben werden.

Weitere Schwer­punkte bilden sicherer Rad- und Fußverkehr. Insbe­sondere soll die Umsetzung des Radver­kehrs­we­ge­plans, nach dem ein Vorrangnetz und geschützte Infra­struk­turen an Haupt­straßen bis 2026 reali­siert werden. Außerdem soll weiter an Radschnellwege gebaut werden, aller­dings unter möglichster Schonung von Grünan­lagen, um bestehende Konflikte mit dem Fußverkehr zu entschärfen.

Der Fußverkehr und die Verkehrs­si­cherheit soll unter anderem durch Unter­stützung von Maßnahmen zur Vermeidung von motori­siertem Durch­gangs­verkehr und zur Verkehrs­be­ru­higung, zum Beispiel Kiezblocks und sichere, barrie­re­freie und komfor­table Gehwege gefördert werden. Daneben sollen alle recht­lichen Möglich­keiten zur Ausweitung von Tempo 30-Zonen genutzt werden. 

Obwohl es von Verkehrs­experten auch schon Kritik an einem mangelnden Gesamt­konzept gab, finden sich doch im Koali­ti­ons­vertrag von Berlin zahlreiche sinnvolle verkehrs­po­li­tische Maßnahmen, die im Koali­ti­ons­vertrag des Bundes von Kommunen und Verkehrs­wen­de­ex­perten schmerzlich vermisst werden. Mit anderen Worten auch in den nächsten vier bzw. fünf Jahren kommen die Initia­tiven aus Berlin zur nachhal­tigen Mobilität voraus­sichtlich eher vom Senat als von der Bundes­re­gierung (Olaf Dilling).

2021-12-01T15:06:46+01:001. Dezember 2021|Allgemein, Verkehr|