Endlich hätte das BVerfG einen Anspruch auf Klimaschutz festgeschrieben, freuen sich manche Stimmen. Andere beklagen, dass der 1. Senat des BVerfG sich mit Entscheidung vom 24.04.2021, 1 BvR 2656/18 u. a., zum Ersatzgesetzgeber aufgeschwungen hätte. Und die Politik lobt die Entscheidung öffentlich, als hätte man ihr Klimaschutzgesetz (KSG) nicht in einem wesentlichen Aspekt verworfen. Doch was steht nun tatsächlich in der taufrischen Entscheidung?
Zunächst handelt es sich nicht um eine, sondern um vier Verfassungsbeschwerden. Diese sind nicht alle zulässig: Die beiden beschwerdeführenden Umweltverbände sind nicht beschwerdebefugt, stellte das BVerfG fest und versah die Begründung mit einem deutlichen Hinweis darauf, dass es dem Umweltschutz gut täte, wäre dem anders. Zwei der weiteren Beschwerdeführenden leben im Ausland, in Nepal und Bangladesch. Ihre Beschwerden sah das BVerfG als zulässig an, aber wies sie als unbegründet ab. Die Bundesrepublik hätte im Ausland nicht dieselben Schutzmöglichkeiten wie in Deutschland, Belastungen durch Minderungsmaßnahmen kommen ihnen gegenüber sowieso nicht in Betracht, weil sie ja nicht in Deutschland leben.
Die Beschwerdeführenden haben sich jeweils auf Schutzpflichten berufen. Schutzpflichten hat das BVerfG in Zusammenhang mit der Abtreibungsdebatte entwickelt: Sie greifen, wenn einem Verfassungsgut eine Gefahr von dritter Seite droht. In diesem Falle ist der Staat verpflichtet, sich vor das gefährdete Schutzgut zu stellen, also etwa Schutz- oder Strafgesetze zu erlassen. Doch dem erteilte der 1. Senat des BVerfG hier eine Absage: Bei Erfüllung seiner Schutzpflichten hat der Staat nämlich einen weiten Spielraum. Auf Verletzungen kann man sich nur berufen, wenn der Gesetzgeber gar keine, völlig unzureichende oder völlig unzulängliche Schutzvorkehrungen getroffen hätte. Das sieht das BVerfG hier nicht. Auch wenn die Ambitionen des Gesetzgebers möglicherweise nicht einmal für das nach dem Paris Agreement gemeldete Ziel reichen, und dieses wiederum nicht für eine Begrenzung der Erderwärmung reichen sollte, sieht das BVerfG hier – noch – eine politische, keine rechtliche Frage.
Der Erfolg der Verfassungsbeschwerden beruht also nicht auf einem Anspruch auf mehr Klimaschutzmaßnahmen, sondern quasi im Gegenteil auf einem Anspruch auf nicht so harte Klimaschutzmaßnahmen in der Zukunft. Dahinter steht die aus dem Emissionshandel bekannte Idee eines Budgets. Das BVerfG verweist hier auf die Budgetberechnungen von IPCC und Sachverständigenrat und kommt so zu dem Ergebnis, dass nach 2030 nach der heutigen Konstruktion des KSG nur noch ein minimaler Rest des deutschen Emissionsbudgets bis 2050 verbleiben würde. Um dies zu illustrieren: Das BVerfG stellt sich eine Schale Kekse vor, die für eine Woche reichen sollen. Das KSG erlaubt es aktuell, bis Mittwoch fast alle Kekse aufzuessen. Denjenigen, die erst am Freitag vor der Schüssel stehen, bleiben dann nur noch Krümel. Das ist in den Augen des BVerfG mit dem Art. 20a GG auch innewohnenden Recht auf eine generationengerechte Verteilung von Umweltschutzmaßnahmen und dem Verhältnismäßigkeitsgebot unvereinbar.
Luisa Neubauer und ihre Mitstreiter haben also nicht gewonnen, weil sie einen Anspruch auf Klimaschutz hätten. Sondern weil sie Anspruch darauf haben, auch nach 2030 noch wie die heute Erwachsenen in Urlaub zu fahren, ein Auto zu fahren oder zu heizen, und nicht eine „Vollbremsung“ zu vollziehen, in der es für heutige Kinder und Jugendliche keine zumutbaren Lebensbedingungen mehr gibt, wenn sie so alt sind wie heutige Touristen, Autofahrer oder Eigenheimbesitzer.
Hieraus zieht das BVerfG die Konsequenz: Bis Ende 2022 muss der Gesetzgeber die § 3 Abs. 1 S. 2 und § 4 Abs. 2 S. 3 KSG so neu regeln, dass die Minderungsschritte von 2030 bis 2050 absehbar werden. Diese Entscheidungen dürfen auch nicht völlig auf den Verordnungsgeber abgewälzt werden. Doch aus der Gesamtschau der Entscheidung ergibt sich, dass eine Neuregelung nur bezogen auf die Jahre ab 2030 nicht reichen kann. Denn eine faire Verteilung der Emissionen, die auf die Generationen verteilt werden können, kann die Zeit bis 2030 nicht aussparen, denn andernfalls gibt es ja gar nicht mehr genug zu verteilen.
Die heutigen Deutschen müssen also mit weitergehenden Einschränkungen heutiger Freiheiten rechnen, um ihren Kindern und Enkeln diese Freiheiten auch noch in Zukunft zu ermöglichen (Miriam Vollmer).
Danke!
Sie haben eine plausible, einleuchtende Erläuterung abgegeben, die auch juristische Laien gut verstehen können.