EuGH zu „internen Mittei­lungen“ und Informationsanspruch

Stuttgart21, erinnern Sie sich noch? Als die Ausein­an­der­setzung zwischen der Bahn mit ihren Bahnhofs­plänen und den verär­gerten Schwaben letztlich in einige militante Ausein­an­der­set­zungen mündete, an deren Ende ein Mann sogar sein Augen­licht verlor.

Zu einer Infor­mation des Staats­mi­nis­te­riums über den Unter­su­chungs­aus­schuss zu diesem Polizei­einsatz am 30. September 2010 im Stutt­garter Schloss­garten und einem Schlich­tungs­ver­fahren zum selben Themen­komplex stellte ein Kläger Infor­ma­ti­ons­an­träge beim Land Baden-Württemberg, die schließlich nach erfolg­loser erster und erfolg­reicher zweiter Instanz das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt erreichten. Dieses setzte mit Beschluss vom 08. Mai 2019 (BVerwG 7 C 28.17) aus und legte die streit­ent­schei­dende Frage dem EuGH vor, ob die verlangten Infor­ma­tionen verweigert werden durften, weil es sich mögli­cher­weise um „interne Mittei­lungen“ handelt (wir berich­teten 2019). Eine weitere Frage bezog sich auf die Dauer eines solchen eventu­ellen Verwei­ge­rungs­rechts. Der EuGH (und nicht etwa das BVerfG) wurde hier gefragt, weil die maßgeb­lichen Normen dem Gemein­schafts­recht angehören, nämlich Art. 4 Abs. 3 der Aarhus-Konvention, der auch die EU beigetreten ist, aber vor allem die Richt­linie 2003/4 und die VO 1367/2006. Art. 4 Abs. 1e) der RL 2003/4 enthält die besagte auch in Baden-Württemberg umgesetzte Ausnahme zugunsten interner Mitteilungen.

Nun hat der EuGH mit Entscheidung vom 21. Januar 2021 diese über den konkreten Fall hinaus inter­es­sante Frage entschieden (C‑619/19). Als Dreh- und Angel­punkt seiner Überle­gungen hat der EuGH dabei den „geschützten Raum“ gewählt, in dem Behörden beraten und entscheiden sollen, ohne dass dies in die Öffent­lichkeit dringt. Das Spannungsfeld zu der gefor­derten infor­ma­ti­ons­freund­lichen Auslegung löst der EuGH damit nicht ganz befrie­digend auf, wenn er letztlich zum Schluss kommt, geschützte interne Mittei­lungen seien alle Infor­ma­tionen, die innerhalb einer Behörde im Umlauf sind und die zum Zeitpunkt der Antrag­stellung den Binnen­be­reich der Behörde nicht verlassen haben. Dass eine Infor­mation später veröf­fent­licht werden soll, nimmt ihr nicht den internen Charakter. 

Deutsche Bahn, Deutschebahn, Eisenbahn, Db, Gleise

Dies soll an sich zeitlich unbegrenzt gelten. Aller­dings: Laut EuGH nur so lange, wie der Schutz der angefor­derten Infor­mation gerecht­fertigt ist. Zu deutsch: Irgendwann sind Infor­ma­tionen nicht mehr aktuell und dann auch nicht mehr vertraulich. Das muss die Behörde begründen. Aller­dings fragt sich der Bürger dann doch: Zeugt nicht schon der Umstand, dass überhaupt jemand einen Infor­ma­ti­ons­antrag gestellt hat, davon, dass ein Thema noch nicht „durch genug“ ist? Hier bleiben Unsicher­heiten (Miriam Vollmer).

2021-04-09T16:55:29+02:009. April 2021|Verwaltungsrecht|

Die doppel­deutige Ampel

Heute rief eine Radfah­rerin in der Kanzlei an, die Ärger mit der Bußgeld­stelle hatte. Nach einem Unfall mit mehrtä­gigem Kranken­haus­auf­enthalt hatte sie der Unfall­gegner angezeigt. Sie sei angeblich bei „Rot“ über die Ampel gefahren. Der entge­gen­kom­mende Kraft­fahrer war links abgebogen und hatte sie dabei erwischt. Aus ihrer Sicht war es, wie sie auch gegenüber der Polizei angegeben hatte, erst „Gelb“ gewesen.

Nun, es wird sich wohl nicht mehr zweifelsfrei klären lassen. Wobei ein zweiter Blick auf deutsche Ampel­schal­tungen (eigentlich „Licht­si­gnal­an­la­gen­schal­tungen“) sich oft lohnt. Eigentlich sollte man denken, dass Ampeln eindeutige Signale geben. Zumindest für eine der zwei Routen, deren Kreuzung sie möglichst konfliktfrei regeln sollen.

Tatsächlich gibt es oft zahlreiche unter­schied­liche und mitunter doppel­deutige Signale: Die Fußgänger müssen schon warten, für die Kfz ist noch grünes Licht (oder wie im Fall der Radlerin: gelb). Noch kompli­zierter ist es, wenn auch noch eine extra Fahrrad­ampel instal­liert ist. Aber als würde das nicht reichen, sind findige Verkehrs­planer in den Behörden auf die Idee gekommen, dass noch weiter optimiert werden kann. Bei Ampeln über mehrspurige Straßen gibt es oft Verkehrs­inseln – und um zu verhindern, dass jemand darauf stehen bleiben muss, sind die Ampeln hier diffe­ren­ziert geschaltet. Manchmal so, dass abbie­gende Kraft­fahrer beim besten Willen nicht erkennen können, ob der entge­gen­kom­mende Fußgänger oder Fahrrad­fahrer nun „grün“ oder „rot“ hat.

Das lädt zu allge­mei­neren Betrach­tungen über Regeln und Optimierung ein: Während Planer und Ökonomen gerne alles optimieren, um noch die letzte 10tel-Sekunde aus einer Ampel­schaltung heraus­zu­holen, setzen Juristen in der Regel eher auf Rechts­klarheit. Denn was nützt die besten Licht­zei­chen­anlage, wenn die Verkehrs­teil­nehmer nicht wissen, auf wen sie dort wann Rücksicht nehmen müssen. Aber auch unter Juristen gibt es Kollegen, die meinen, überall zugunsten von Gerech­tigkeit und Verhält­nis­mä­ßigkeit Ausnahmen schaffen zu müssen. Letztlich geht diese Optimierung zu Lasten der Vorher­seh­barkeit, Trans­parenz und Orien­tie­rungs­funktion recht­licher Entschei­dungen (Olaf Dilling).

2021-04-09T14:36:37+02:009. April 2021|Allgemein, Verkehr, Verwaltungsrecht|