Berlin beats Bund: Verkehrswende in Koalitionsverträgen
Die Diskussion von verkehrspolitisch und ‑rechtlich Interessierten über den Koalitionsvertrag des Bundes ist kaum abgeklungen, schon kommen Nachrichten über einen „neuen Koalitionsvertrag“ aus Berlin. Allerdings geht es nicht um eine Neuauflage der Ampel in letzter Minute, sondern um die Landesebene, also um den Vertrag des rot-grün-roten Bündnisses. Nach der Wahl stellt es die Mehrheit im Abgeordnetenhaus und will die Regierung im Roten Rathaus bilden. Ein paar spektakuläre Details zum Verkehr, wie der geplante Rückbau von Stadtautobahnstrecken und der Bau von Seilbahnen sind bereits an die Öffentlichkeit gedrungen.
Aber auch die versteckteren Details sind spannend. Schließlich geht es um die Blaupause, wie in der nächsten Berliner Legislaturperiode die Verkehrswende durch die Politik vorangetrieben oder auch ausgebremst werden könnte. Anders als der Koalitionsvertrag des Bundes ist das Berliner Regierungsprogramm insofern vielversprechender.
Das geht schon rein äußerlich los: Das Kapitel ist etwa doppelt so lang wie das Verkehrskapitel im Koalitionsvertrag der designierten Bundesregierung. An diesem war von Verkehrspolitikern unter anderem kritisiert worden, dass das Stichwort „Verkehrwende“ vermutlich aufgrund von Empfindlichkeiten der FDP sorgfältig vermieden wurde. Ganz anders in Berlin, da fällt das Stichwort gleich sieben Mal und das nicht nur im Kapitel über Mobilität. Es bleibt aber nicht bei dieser sehr allgemeinen Flughöhe… es finden sich auch sehr viel konkretere und zugleich kontroversere Stichworte, wie etwa „Lastenradförderprogramm“.
Ein großer Teil des Vertrages ist jedoch ganz bodenständig dem Ausbau des öffentlichen Schienenverkehrs, genauer gesagt der Schieneninfrastruktur der Regional‑, S‑, U- und Straßenbahnen gewidmet. Die Taktfrequenzen sollen ebenso erhöht werden sie die Fahrgastsicherheit durch spezielles Personal und Notfallmeldesysteme. Zugleich soll eine Tarif- und Finanzreform des ÖPNV ohne Reduzierung der Steuermittel angestrebt werden. Um dies dennoch halbwegs haushaltsneutral hinzubekommen, soll an anderer Stelle Geld eingenommen werden, insbesondere im Bereich Parkraumbewirtschaftung:
Als Grundlage dafür soll ein digitales Parkraummanagementsystem geschaffen werden, und die Parkraumbewirtschaftung im Innenstadtring soll ausweitet werden. Weiterhin geplant ist die Erhöhung der Parkgebühren des Kurzzeitparkens. Das Anwohnerparken soll mit Ausnahmen für soziale Härtefälle auf 10 Euro im Monat angehoben werden.
Weitere Schwerpunkte bilden sicherer Rad- und Fußverkehr. Insbesondere soll die Umsetzung des Radverkehrswegeplans, nach dem ein Vorrangnetz und geschützte Infrastrukturen an Hauptstraßen bis 2026 realisiert werden. Außerdem soll weiter an Radschnellwege gebaut werden, allerdings unter möglichster Schonung von Grünanlagen, um bestehende Konflikte mit dem Fußverkehr zu entschärfen.
Der Fußverkehr und die Verkehrssicherheit soll unter anderem durch Unterstützung von Maßnahmen zur Vermeidung von motorisiertem Durchgangsverkehr und zur Verkehrsberuhigung, zum Beispiel Kiezblocks und sichere, barrierefreie und komfortable Gehwege gefördert werden. Daneben sollen alle rechtlichen Möglichkeiten zur Ausweitung von Tempo 30-Zonen genutzt werden.
Obwohl es von Verkehrsexperten auch schon Kritik an einem mangelnden Gesamtkonzept gab, finden sich doch im Koalitionsvertrag von Berlin zahlreiche sinnvolle verkehrspolitische Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag des Bundes von Kommunen und Verkehrswendeexperten schmerzlich vermisst werden. Mit anderen Worten auch in den nächsten vier bzw. fünf Jahren kommen die Initiativen aus Berlin zur nachhaltigen Mobilität voraussichtlich eher vom Senat als von der Bundesregierung (Olaf Dilling).