StVO: Mehr Experi­mente wagen!

Wir hatten es schon einmal kurz angerissen. Die neue StVO sieht nicht nur höhere Strafen für Verkehrs­sünder vor. Sie soll auch mehr Verkehrs­expe­ri­mente – oder genauer gesagt – Maßnahmen zur Erprobung ermög­lichen. Diese waren nämlich zu häufig an der sehr restrik­tiven Ausrichtung des deutschen Straßen­ver­kehrs­rechts gescheitert. Zuletzt, wie wir bereits neulich berich­teten, Anfang diesen Jahres in Hamburg-Ottensen, wo für ein paar Monate probe­weise eine Fußgän­gerzone einge­richtet werden sollte.

Zur Eindämmung des Schil­der­walds war nämlich 1997 eine Regelung in die Straßen­ver­kehrs­ordnung eingefügt worden, die in § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO Folgendes vorsieht: „Insbe­sondere Beschrän­kungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der beson­deren örtlichen Verhält­nisse eine Gefah­renlage besteht, die das allge­meine Risiko einer Beein­träch­tigung der in den vorste­henden Absätzen genannten Rechts­güter erheblich übersteigt“.

Von dieser hohen Anfor­derung waren durch die StVO-Reform Verkehrs­expe­ri­mente ausge­nommen worden. Aller­dings war das nicht die einzige Hürde, die im § 45 StVO für Einschrän­kungen des Verkehrs vorge­sehen ist. In § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO heißt es z.B., dass Verkehrs­zeichen und ‑einrich­tungen „zwingend erfor­derlich“ sein müssen. Nun, was ist schon zwingend erfor­derlich? Das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt hatte jedoch bereits in einer älteren Entscheidung dazu geurteilt, dass die Regelung im Satz 3 des Abschnitts diejenige des Satzes 1 konkre­ti­siert und verdrängt. Schließlich heißt es „insbe­sondere…“, was auf einen Spezi­alfall deutet. Mit anderen Worten, wenn Satz 3 aufgrund der Ausnahme nicht anwendbar ist, also keine erheblich erhöhte Gefah­renlage für eine Verkehrs­re­gelung nötig ist, bleibt auch kein Raum dafür, sie statt­dessen als zwingend erfor­derlich anzusehen.

Insofern ist jetzt eigentlich der Weg frei für mehr Experi­mente. Der Zeitpunkt ist denkbar gut. Denn nach dem Energie­sektor soll nun auch der Verkehr nachhal­tiger gestaltet werden. Und die Städte leiden unter dem enormen und weiter wachsenden Platz­bedarf einer Verkehrs­po­litik, die lange Zeit zu stark am Automobil ausge­richtet war (Olaf Dilling).

 

2020-06-16T20:17:45+02:0016. Juni 2020|Verkehr|

COVID19 im Take-or-Pay-Vertrag

Die COVID19-Pandemie wirft vielfach Probleme mit Take-or-Pay-Klauseln auf. Diese verbrei­teten Regelungen in oft langfris­tigen Gas- und Strom­lie­fe­rungs­ver­trägen zwischen Energie­ver­sorgern und Indus­trie­un­ter­nehmen ordnen an, dass eine Mindest­ab­nah­me­menge auch dann bezahlt werden muss, wenn sie tatsächlich nicht abgenommen wird. Der Kunde zahlt also auch für Produkte, die er nicht erhält, den Produkt­preis, aber natürlich keine Steuern, Umlagen und Abgaben.

Die meisten Verträge, die solche Klauseln enthalten, ordnen an, wann diese Zahlungs­ver­pflichtung fürs nicht bezogene Produkt nicht greift. In aller Regel ist vereinbart, dass bei höherer Gewalt keine Zahlungs­pflicht bestehen soll. Oft – aber nicht immer – wird vereinbart, wann höhere Gewalt vorliegt.

Für die Frage, ob aktuell trotz Corona mit allen wirtschaft­lichen Folgen Zahlungs­ver­pflich­tungen bestehen, kommt es deswegen auf die konkrete Klausel an. Doch fast immer ist es nicht mit einem kurzen Blick in den Vertrag getan. Selbst wenn „Epidemien“ ausdrücklich genannt sind, ist die Abgrenzung im Einzelfall mögli­cher­weise schwierig. Denn klar dürfte sein: Wenn das Gesund­heitsamt das Unter­nehmen schließt, so dass kein Gasbezug mehr möglich ist, so dürfte höhere Gewalt vorliegen und keine Zahlungs­pflicht bestehen. Aber wie sieht es aus, wenn wegen COVID19 Liefer­ketten unter­brochen werden oder – noch vermit­telter – der Lockdown die Nachfrage so jäh einbrechen lässt, dass die Produktion und damit der Energie­bedarf rapide und unerwartet sinken?

Hier ist in jedem Fall ein diffe­ren­zierter Blick auf das konkrete Ereignis erfor­derlich, das den Wegfall der Energie­nach­frage ausgelöst hat. Kurz gesagt: Nicht immer ist Pandemie drin, wenn Pandemie drauf steht. Gerade auch dann, wenn an der wegge­bro­chenen Nachfrage eine Liefer­kette von Vorlie­fe­ranten hängt, ist in jede Richtug sorgfältig zu prüfen, was genau passiert ist und was der jeweilige Vertrag adres­siert (Miriam Vollmer).

Sie benötigen als Versorger oder Indus­trie­kunde einen kurzfris­tigen Check oder wollen sich hierzu präventiv beraten? Bitte melden Sie sich telefo­nisch (030 403 643 62 0) oder per E‑Mail bei uns.

2020-06-15T15:57:38+02:0015. Juni 2020|Gas, Industrie, Strom, Vertrieb|

Natur­schutz: Natür­liche Siedlungs­ge­biete vorm EuGH

Natur­schutz­recht geht manchmal seltsame Wege. So fingen zwei Tierschützer in  Begleitung einer Tierärztin mit den besten Absichten einen Wolf, der sich in einem rumäni­schen Dorf angesiedelt hatte, dort gefüttert worden war und mit den Hunden vor Ort Freund­schaft geschlossen hatte. Sie wollten ihn in ein Natur­re­servat bringen. Nun ist es nach Art. 12 Absatz 1a der Habita­t­richt­linie verboten, geschützte Tierarten in ihren natür­lichen Verbrei­tungs­ge­bieten zu fangen. In dem Straf­ver­fahren, das wegen der Aktion der Tierschützer gegen diese angestrengt worden war, ging es deswegen darum, ob das rumänische Dorf zum natür­lichen Verbrei­tungs­gebiet zählt, schließlich pflegen Wölfe an und für sich in der Wildnis und nicht im mensch­lichen Siedlungs­gebiet zu leben. Weil den rumäni­schen Richtern die Frage gemein­schafts­rechtlich ungeklärt erschien, ob der Wolf in einem Siedlungs­gebiet gefangen wurde, legten sie diese Frage dem EuGH vor.

Die Luxem­burger Richter entschieden sich mit Urteil vom 11.06.2020 – C‑88/19 – für eine weite Auslegung des Lebens­raums. Danach gehört zum Lebensraum der gesamte geogra­phische Raum, in dem die geschützte Tierart sich aufhalte oder ausbreite. Diese ausge­sprochen weite Auslegung stützte der EuGH unter anderem auf die völker­recht­liche Bonner Konvention.

Nach dieser Lesart ist die Reich­weite des natür­lichen Verbrei­tungs­ge­biets fast unbegrenzt. Wenn das natür­liche Verbrei­tungs­gebiet überall dort ist, wo das geschützte Tier sich aufhält, gibt es kaum einen Ort, an die Tiere nicht geschützt sind, es sei denn, sie werden von Menschen ohne oder gegen ihren Willen dorthin gebracht. Die Tierschützer, die den Wolf einge­fangen haben, haben also gegen ein Verbot verstoßen. Sie müssen damit wohl mit einer Strafe rechnen.

Und das, obwohl der Wolf bei dem Versuch, ihn aus dem Dorf zu bringen, aus dem Käfig ausge­brochen und in einen Wald geflüchtet ist (Miriam Vollmer).

2020-06-12T20:25:33+02:0012. Juni 2020|Naturschutz, Verwaltungsrecht|