Naturschutzrecht geht manchmal seltsame Wege. So fingen zwei Tierschützer in Begleitung einer Tierärztin mit den besten Absichten einen Wolf, der sich in einem rumänischen Dorf angesiedelt hatte, dort gefüttert worden war und mit den Hunden vor Ort Freundschaft geschlossen hatte. Sie wollten ihn in ein Naturreservat bringen. Nun ist es nach Art. 12 Absatz 1a der Habitatrichtlinie verboten, geschützte Tierarten in ihren natürlichen Verbreitungsgebieten zu fangen. In dem Strafverfahren, das wegen der Aktion der Tierschützer gegen diese angestrengt worden war, ging es deswegen darum, ob das rumänische Dorf zum natürlichen Verbreitungsgebiet zählt, schließlich pflegen Wölfe an und für sich in der Wildnis und nicht im menschlichen Siedlungsgebiet zu leben. Weil den rumänischen Richtern die Frage gemeinschaftsrechtlich ungeklärt erschien, ob der Wolf in einem Siedlungsgebiet gefangen wurde, legten sie diese Frage dem EuGH vor.
Die Luxemburger Richter entschieden sich mit Urteil vom 11.06.2020 – C‑88/19 – für eine weite Auslegung des Lebensraums. Danach gehört zum Lebensraum der gesamte geographische Raum, in dem die geschützte Tierart sich aufhalte oder ausbreite. Diese ausgesprochen weite Auslegung stützte der EuGH unter anderem auf die völkerrechtliche Bonner Konvention.
Nach dieser Lesart ist die Reichweite des natürlichen Verbreitungsgebiets fast unbegrenzt. Wenn das natürliche Verbreitungsgebiet überall dort ist, wo das geschützte Tier sich aufhält, gibt es kaum einen Ort, an die Tiere nicht geschützt sind, es sei denn, sie werden von Menschen ohne oder gegen ihren Willen dorthin gebracht. Die Tierschützer, die den Wolf eingefangen haben, haben also gegen ein Verbot verstoßen. Sie müssen damit wohl mit einer Strafe rechnen.
Und das, obwohl der Wolf bei dem Versuch, ihn aus dem Dorf zu bringen, aus dem Käfig ausgebrochen und in einen Wald geflüchtet ist (Miriam Vollmer).
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