Wenn der Regionalplan zu wenig Windkraft vorsieht … Zu VG Gera (5 K 978/20 Ge)
Kennen wir alle: Man hat die besten Vorsätze, man verspricht alles Mögliche, aber wenn es dann konkret wird, passt es bei dieser Gelegenheit doch nicht. Nächstes Mal, dann aber ganz bestimmt.
Exakt so muss sich auch das Land Thüringen gefühlt haben, als es – nach Aufhebung seines alten Regionalplans Ostthürningen von 2012 – seinen Regionalplan Ostthüringen 2020 beschloss. Zwar hatte man im Landes-Klimagesetz 2018 hoch und heilig versprochen, mit dem Rauchen aufzuhö äh, also 1% der Landesfläche vorrangig für Windkraft vorzusehen. Aber 2020 wollte man dann doch lieber keine Windkraft im Wald. Zusammen mit einigen anderen pauschalen Ausschlusskriterien für Windkraftanlagen („Tabuzonen“) blieb dann nicht mehr allzu viel übrig: Waren vor Erlass des Regionalplans im ersten Planentwurf immerhin noch 0,88% des Landesfläche Vorranggebiet für Windkraft, schrumpfte diese trotz aller Beteuerungen 2020 bei Erlass auf 0,4%.
Dies wurde auch einem Vorhaben in der Nähe von Jena zum Verhängnis. Hier wollte der Vorhabenträger eine 200 m hohe Windkraftanlage auf einem Acker errichten. Zunächst – das war noch vor dem Beschluss des Regionalplans – hatte der Kreis die Genehmigung abgelehnt, weil in rund 500 Metern neben der Anlage Rotmilane brüteten. Der Vorhabenträger versprach, während der Mahd und Aufzucht die Anlage abzuschalten, aber dem Kreis reichte das nicht, der wollte als entschiedener Vogelfreund an dieser Stelle gar keine Windkraft. Es erging Widerspruch, der zog sich, der Regionalplan erging und dann wies das Landesamt als Widerspruchsbehörde den Widerspruch ab. Dort, wo die Windkraftanlage stehen sollte, sei Windkraft nunmehr unerwünscht. Der Vorhabenträger ging vor Gericht.
Das VG Gera prüfte den Regionalplan Ostthüringen, auf dem die Landesentscheidung beruhte, in einem insgesamt 79 Seiten langen Urteil (5 K 978/20 Ge) gründlich durch und kommt zum Ergebnis, dass er materiell fehlerhaft sei und deswegen im Verfahren keine Anwendung finden könnte.
Zwar reicht es dem VG Gera nicht schon ohne weitere Schnörkel aus, dass der Regionalplan nicht die 1% Windvorranggebiete ausweist, die das Landesklimaschutzgesetz fordert. Aber die Kammer bemängelt – für Nichtjuristen wirkt dies widersprüchlich, es ist aber eine schlicht andere Prüfungsstation – die Abwägungsvorgänge, auf denen die planerischen Festlegungen beruhen. Zum Teil sind schon die Tabuzonen für Windkraft falsch festgelegt, weil sie Gebiete für die Windkraft ausschließen, für die das keineswegs gesetzlich geboten, naturwissenschaftlich zwingend oder zumindest hinreichend naheliegend ist. Aber das Land hat generell die Interessen an einer substantiellen Windenergienutzung nicht ausreichend gewürdigt. Hier zitiert das VG Gera auch den Klimaschutzbeschluss des BVerfG vom 24. März 2021 und führt dabei aus:
„Das relative Gewicht des Klimaschutzgebots nimmt in der Abwägung bei
fortschreitendem Klimawandel allerdings weiter zu“
Dann wendet sich das VG den 1% Windkraftvorranggebieten zu, die das Landesklimaschutzgesetz fordert. Das Land wollte dies erst 2040 realisieren. Laut VG „unterläuft“ es damit aber die Ziele des Klimaschutzgesetzes. Dies belegt das VG recht detailliert anhand mehrerer Prüfbögen. Der Regionalplan hätte mehr Raum für Windkraftanlagen lassen müssen. Da das Gericht auch keine artenschutzrechtlichen Hindernisse sieht, ist die Entscheidung des Landes in seinen Augen rechtswidrig. Dass der Vorhabenträger trotzdem nicht die begehrte Genehmigung, sondern „nur“ ein Bescheidungsurteil erhalten hat, liegt am Verfahrensstadium des Genehmigungsverfahrens: Hier muss nun noch einmal die Behörde aktiv werden, es sei denn, die nächsten Instanzen entscheiden anders.
Was bedeutet diese Entscheidung nun für die Praxis? Interessant ist zunächst, dass die epochale Klimaschutzentscheidung des BVerfG hier direkt den Abwägungsvorgang beeinflusst. Interessant ist weiter, wie sehr das Gericht das Land beim Wort nimmt: Das Klimaschutzgesetz erweist sich als durchaus harte Nuss: Kein absolutes Verbot, keine direkten Ansprüche, aber eine relevante Verschiebung der für die Abwägung beim Planerlass entscheidenden Aspekte. Im Ergebnis steht auf fast 80 Seiten: Ihr habt den Klimaschutz nicht ausreichend berücksichtigt, und wenn ihr euch Ziele in Klimaschutzgesetze schreibt, könnt ihr die nicht einfach beliebig ignorieren oder in die ferne Zukunft verschieben.
Wie eine frischgebackene Altkanzlerin jüngst sagte: Es ist ernst. Nehmen Sie es ernst (Miriam Vollmer).