Angebote statt Verbote? Der neue Koali­ti­ons­vertrag in Berlin

Der neue Berliner Koali­ti­ons­vertrag „Das Beste für Berlin“ scheint zum Thema Mobilität größten­teils an die Arbeit von Rot-Grün anzuknüpfen, bietet an entschei­denden Punkten aber doch Spreng­stoff.  Grund­sätzlich soll es weiter gehen mit mehr Klima­schutz und nachhal­tigem Verkehr, Ausbau des öffent­lichen Verkehrs und Verbes­se­rungen für Fußgänger, insbe­sondere, was die Verkehrs­si­cherheit angeht. Aber an entschei­denden Stellen gibt es doch Unter­schiede. Diese betreffen zum einen die Program­matik: So taucht an verschie­denen Stellen im Text auf, es solle um ein Mitein­ander, nicht um ein Gegen­ein­ander im Verkehr gehen, um Angebote, nicht um Verbote. Das klingt ers einmal sehr liberal und tolerant, aber läuft letztlich darauf hinaus, dass bestehende Struk­turen und Privi­legien erhalten bleiben.

Das wird insbe­sondere an den Punkten deutlich, an denen es konkret wird, wenn etwa das Mobili­täts­gesetz daraufhin überprüft werden soll, ob die Mindest­breiten im Radver­kehrs­we­geplan erfor­derlich sind. Oder wenn Straßen­bahn­pla­nungen der M10 sowie die Verlän­gerung der M2 nach Blanken­burger Süden in Frage gestellt werden.

Hinter­grund des Streits um die Radweg­breite ist, dass neue Radwege in Berlin auf 2,30 m geplant werden, um ausrei­chend Platz auch zum Überholen von Lasten­rädern oder Spezi­al­fahr­rädern für behin­derte Menschen zu bieten. Im Bestand ist das oft nicht gegeben. Der Koali­ti­ons­vertrag sieht aber vor, für den Radverkehr primär den Bestand zu erneuern.

Was die Straßen­bahnen angeht geht es ebenfalls um einen Konflikt um Flächen­nutzung: Weil Kfz-Fahrspuren geopfert werden müssten, wird der Neuba von Straßen­bahnen in Frage gestellt.

Letztlich geht es in beiden Fällen nicht um ein echtes Mitein­ander, sondern der „Status Quo“ der Flächen­nutzung durch Kraft­fahr­zeuge soll verteidigt werden. Auch die Entge­gen­setzung von Angeboten und Verboten wird der Komple­xität von Verkehrs­planung nicht gerecht: Immerhin sind mit dem Ausbau der A100, der im 16. Bauab­schnitt auch weiter­ge­führt wird, auch viele Enteig­nungen und neue Verbote verbunden, selbst wenn für den Kraft­fahr­zeug­verkehr dadurch ein neues Angebot entsteht. (Olaf Dilling)

2023-04-04T08:40:13+02:004. April 2023|Kommentar, Verkehr|

Berlin beats Bund: Verkehrs­wende in Koalitionsverträgen

Die Diskussion von verkehrs­po­li­tisch und ‑rechtlich Inter­es­sierten über den Koali­ti­ons­vertrag des Bundes ist kaum abgeklungen, schon kommen Nachrichten über einen „neuen Koali­ti­ons­vertrag“ aus Berlin. Aller­dings geht es nicht um eine Neuauflage der Ampel in letzter Minute, sondern um die Landes­ebene, also um den Vertrag des rot-grün-roten Bündnisses. Nach der Wahl stellt es die Mehrheit im Abgeord­ne­tenhaus und will die Regierung im Roten Rathaus bilden. Ein paar spekta­kuläre Details zum Verkehr, wie der geplante Rückbau von Stadt­au­to­bahn­strecken und der Bau von Seilbahnen sind bereits an die Öffent­lichkeit gedrungen.

Drei Fahrradfahrer vor Regierungsgebäuden an der Spree

Aber auch die versteck­teren Details sind spannend. Schließlich geht es um die Blaupause, wie in der nächsten Berliner Legis­la­tur­pe­riode die Verkehrs­wende durch die Politik voran­ge­trieben oder auch ausge­bremst werden könnte. Anders als der Koali­ti­ons­vertrag des Bundes ist das Berliner Regie­rungs­pro­gramm insofern vielversprechender.

Das geht schon rein äußerlich los: Das Kapitel ist etwa doppelt so lang wie das Verkehrs­ka­pitel im Koali­ti­ons­vertrag der designierten Bundes­re­gierung. An diesem war von Verkehrs­po­li­tikern unter anderem kriti­siert worden, dass das Stichwort „Verkehr­wende“ vermutlich aufgrund von Empfind­lich­keiten der FDP sorgfältig vermieden wurde. Ganz anders in Berlin, da fällt das Stichwort gleich sieben Mal und das nicht nur im Kapitel über Mobilität. Es bleibt aber nicht bei dieser sehr allge­meinen Flughöhe… es finden sich auch sehr viel konkretere und zugleich kontro­versere Stich­worte, wie etwa „Lasten­rad­för­der­pro­gramm“.

Ein großer Teil des Vertrages ist jedoch ganz boden­ständig dem Ausbau des öffent­lichen Schie­nen­ver­kehrs, genauer gesagt der Schie­nen­in­fra­struktur der Regional‑, S‑, U- und Straßen­bahnen gewidmet. Die Taktfre­quenzen sollen ebenso erhöht werden sie die Fahrgast­si­cherheit durch spezi­elles Personal und Notfall­mel­de­systeme. Zugleich soll eine Tarif- und Finanz­reform des ÖPNV ohne Reduzierung der Steuer­mittel angestrebt werden. Um dies dennoch halbwegs haushalts­neutral hinzu­be­kommen, soll an anderer Stelle Geld einge­nommen werden, insbe­sondere im Bereich Parkraumbewirtschaftung:

Als Grundlage dafür soll ein digitales Parkraum­ma­nage­ment­system geschaffen werden, und die Parkraum­be­wirt­schaftung im Innen­stadtring soll ausweitet werden. Weiterhin geplant ist die Erhöhung der Parkge­bühren des Kurzzeit­parkens. Das Anwoh­ner­parken soll mit Ausnahmen für soziale Härte­fälle auf 10 Euro im Monat angehoben werden.

Weitere Schwer­punkte bilden sicherer Rad- und Fußverkehr. Insbe­sondere soll die Umsetzung des Radver­kehrs­we­ge­plans, nach dem ein Vorrangnetz und geschützte Infra­struk­turen an Haupt­straßen bis 2026 reali­siert werden. Außerdem soll weiter an Radschnellwege gebaut werden, aller­dings unter möglichster Schonung von Grünan­lagen, um bestehende Konflikte mit dem Fußverkehr zu entschärfen.

Der Fußverkehr und die Verkehrs­si­cherheit soll unter anderem durch Unter­stützung von Maßnahmen zur Vermeidung von motori­siertem Durch­gangs­verkehr und zur Verkehrs­be­ru­higung, zum Beispiel Kiezblocks und sichere, barrie­re­freie und komfor­table Gehwege gefördert werden. Daneben sollen alle recht­lichen Möglich­keiten zur Ausweitung von Tempo 30-Zonen genutzt werden. 

Obwohl es von Verkehrs­experten auch schon Kritik an einem mangelnden Gesamt­konzept gab, finden sich doch im Koali­ti­ons­vertrag von Berlin zahlreiche sinnvolle verkehrs­po­li­tische Maßnahmen, die im Koali­ti­ons­vertrag des Bundes von Kommunen und Verkehrs­wen­de­ex­perten schmerzlich vermisst werden. Mit anderen Worten auch in den nächsten vier bzw. fünf Jahren kommen die Initia­tiven aus Berlin zur nachhal­tigen Mobilität voraus­sichtlich eher vom Senat als von der Bundes­re­gierung (Olaf Dilling).

2021-12-01T15:06:46+01:001. Dezember 2021|Allgemein, Verkehr|

Und was heißt das nun ganz praktisch? Der Koali­ti­ons­vertrag der Regierung Scholz

Nun liegt es also vor, der Koali­ti­ons­vertrag für die nächsten vier Jahre. „Mehr Fortschritt wagen“ zitieren die Ampel-Parteien die Regierung Brandt, die einst „mehr Demokratie“ wagen wollte. Man will, so die klare Botschaft, hoch hinaus.

Doch was hat so ein Koali­ti­ons­vertrag eigentlich zu bedeuten? Nicht wenige politische Kommen­ta­toren weisen darauf hin, dass im Tages­ge­schäft auch der letzten vier Regie­rungen Merkel die Koali­ti­ons­ver­träge eine weitaus kleinere Rolle spielten als die oft kurzfris­tigen Reaktionen auf aktuelle Entwick­lungen wie zuletzt die Pandemie. Wer wollte auch eine Regierung, die vom Tag ihrer Konsti­tu­ierung an stur ihren Stiefel fährt, fiele auch die ganze Welt rechts und links in sich zusammen.

Die Juristen halten Koali­ti­ons­ver­träge teilweise für Verfas­sungs­ver­träge, teilweise für verwal­tungs­recht­liche Verträge, was angesichts ihres Gegen­standes indes nicht überzeugt. Einklagbar, so viel ist klar, ist ein Koali­ti­ons­vertrag aber schon wegen der notwen­digen Flexi­bi­lität angesichts sich stetig verän­dernder Umstände nicht. Die Rechts­folge bei Verletzung von Koali­ti­ons­ver­trägen ist damit nicht etwa der Regie­rungs­verlust oder gar der Vollzug unerfüllter Versprechen qua Gerichts­urteil, sondern höchstens ein Reputa­ti­ons­schaden, der aber ebenso eintreten kann, wenn eine Regierung allzu ambiti­onslos plant.

Ausbau der Erneuerbaren

Ambiti­ons­lo­sigkeit kann man der Ampel im Punkt Energie nicht nachsagen. Die Regierung Scholz erkennt den wachsenden Strom­hunger an und plant mit 680 – 750 TWh im Jahr 2030. Während bisher 60% aus erneu­er­baren Quellen stammen sollten, will die Ampel dieses Ziel auf 80% erhöhen, also ungefähr eine Verdop­pelung vom heutigen Niveau aus.

Ermög­lichen soll dies ein Instru­men­tenmix. Zunächst will die Ampel Planungs- und Geneh­mi­gungs­ver­fahren beschleu­nigen. Der Ausbau der Erneu­er­baren soll Vorrang bei der Schutz­gü­ter­ab­wägung genießen. Bei der Arten­schutz­prüfung bei Windener­gie­vor­haben – hier geht es vor allem Vögel – soll es künftig eine bundes­ein­heit­liche Bewer­tungs­me­thode geben und der Vogel­schutz technisch gewähr­leistet werden. Auf EU-Ebene will die Regierung sich für einen Popula­tions- statt Indivi­du­al­schutz einsetzen. Doch ob das gelingt? Aktuell macht das EU-Recht jeden­falls die Planung nicht einfacher. Was unein­ge­schränkt zu begrüßen ist: Klarere Vorgaben für das Genehmigungsverfahren.

Auch der Plan, die Flächen­be­reit­stellung für Windkraft onshore über das BauGB zu sichern und offshore gegenüber anderen Nutzungs­formen aufzu­werten sowie alte Standorte rechts­sicher zu recyclen, beseitigt Ausbausch­wie­rig­keiten, die die Branche schon lange beklagt. Gewerb­liche Dachflächen verpflichtend für Photo­vol­ta­ik­an­lagen zu nutzen, ist sinnvoll, auch wenn bisher offen ist, wie bei privaten Neubauten der Plan, dies zum Regel­zu­stand zu machen, durch­ge­setzt werden soll. Dass die Koalition große Dachflächen in die Ausschrei­bungs­pflicht einbe­ziehen will, eröffnet der Energie­wirt­schaft vor allem als Partner der Immobi­li­en­wirt­schaft Möglich­keiten für die Ausweitung von Geschäfts­mo­dellen, die bisher zwar oft angedacht wurden, aber weit weniger reali­siert werden als technisch wie energie­wirt­schaftlich denkbar. Zu begrüßen ist auch, dass die Koalition ausge­för­derte Anlagen als grüne Regio­nal­strom­quelle stärken will. Mögli­cher­weise deutet sich hier eine Option für das bisher wenig genutzte Regio­nal­nach­weis­re­gister beim Umwelt­bun­desamt an.

Windturbine, Windrad, Windenergie, Windpark, Windkraft

Erfreulich ist der klare Akzent zugunsten dezen­traler Lösungen, auch wenn ein noch klareres Bekenntnis zugunsten von Zahlungen an Gemeinden für Erneu­erbare Energie­an­lagen auf dem Gemein­de­gebiet schön gewesen wäre. Genos­sen­schaft­liche Modelle und Mieter­strom- und Quartiers­kon­zepte wollte schon die letzte Regierung Merkel stärken, hier steht zu hoffen, dass Energie­mi­nister Habeck sich der Sache etwas entschlos­sener annimmt.

Kohle­aus­stieg vor 2038 – Ausbau von Gaskraftwerken

Dass die Koalition das Kohle­aus­stiegs­gesetz nicht noch einmal anfassen und so weitere Entschä­di­gungen zahlen will, zeugt von einigem Augenmaß. Denn es spricht in der Tat viel dafür, dass ein drastisch höherer CO2-Preis die Kohle ohnehin deutlich vor 2038 aus dem Markt drängt. Setzt man auf dieses Instrument, ist es sicher sinnvoll, einen CO2-Mindest­preis als Hebel für einen Umbau der Merit-Order zu nutzen. Dass die Koalition einen solchen Mindest­preis aber nur dann einführen will, wenn die EU sich hierauf nicht verständigt und die Preise nicht steigen wie geplant, lässt aller­dings offen, wann das genau der Fall sein wird.

Fallen Atom- und Kohle­kraft künftig weg, soll die Lücke zwischen den volatilen Erneu­er­baren und dem Bedarf durch moderne Gaskraft­werke gedeckt werden. Hier bleibt der Koali­ti­ons­vertrag aber unscharf, wie genau dies gewähr­leistet werden soll. Was unter „wettbe­werb­lichen und techno­lo­gie­of­fenen Kapazi­täts­me­cha­nismen und Flexi­bi­li­täten“ zu verstehen ist, bleibt also noch eine Weile spannend. Man darf hoffen, dass das Potential der KWK und der Wert des KWKG hier gesehen werden. Wichtig ist hier ein auch langfristig gesicherter Rahmen, um nicht erneut wie Mitte der Nuller Jahre mit wirtschaftlich traurigem Ergebnis in einen nur vermeint­lichen Boom hinein zu bauen. Ob die neuen Gaskraft­werke dann wirklich eines Tages mit Wasser­stoff betrieben werden? Angesichts der mäßigen Effizienz von H2 darf man durchaus zweifeln, auch wenn die Regierung im Interesse eines schnellen Hochlaufs sogar den ungeliebten blauen Wasser­stoff fürs Erste akzep­tieren will. Doch wer baut, wenn er nicht weiß, wie lange die Rahmen­be­din­gungen die Nutzung zulassen?

Emissi­ons­handel

Beim natio­nalen Emissi­ons­handel soll es nun – entgegen vieler Diskus­sionen im Markt – nun doch keine schnellere Preis­ent­wicklung geben. Dies wird viele Autofahrer freuen, doch die erheb­liche Diskrepanz zwischen der Regulierung großer und kleiner Verbren­nungs­an­lagen bleibt so nicht nur, sondern vertieft sich mit steigenden Kursen künftig noch. Dies setzt Anreize, die auch proble­ma­tische Seiten haben können.

Im EU-Emissi­ons­handel bleibt Deutschland Richtung Brüssel auch unter rot-grün-gelb in vertrautem Fahrwasser: Man will weiter die freie Zuteilung, man strebt den Schutz der energie­in­ten­siven Industrie an auch durch Grenzsteuerausgleichsmaßnahmen.

Mehr Licht als Schatten

Ob Deutschland sich damit wirklich, wie Habeck meint auf 1,5° C‑Kurs befindet? In jedem Fall müssen nicht nur der Bund, sondern auch die Länder und Kommunen ihre Kompe­tenzen in Sachen Planung und Geneh­migung stärken. Drei Infra­struk­turen – Erneu­erbare, Gas und Wasser­stoff – gleich­zeitig hochzu­fahren, ist ehrgeizig. Unter­nehmen der Energie­wirt­schaft kommt dabei eine Schlüs­sel­rolle zu. Sie können zu unver­zicht­baren Partnern von Immobi­li­en­wirt­schaft und Industrie werden.

Im besten Fall liegt vor uns also ein goldenes Jahrzehnt. Es liegt nun zu allererst an der Bundes­re­gierung, die Rahmen­be­din­gungen und die erfor­der­liche Langfrist­si­cherheit zu schaffen, um die ungeheuren Inves­ti­tionen anzuregen, vor denen wir stehen.

Wir freuen uns drauf.  (Miriam Vollmer).