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Circular Economy Act – UBA fordert ambitio­nier­teren EU-Rechtsrahmen

Das Umwelt­bun­desamt (UBA) hat seine Stellung­nahme zum geplanten europäi­schen Rechtsakt über die Kreis­lauf­wirt­schaft (Circular Economy Act) veröf­fent­licht und macht deutlich, dass der bisherige Entwurf aus natio­naler Sicht nicht ausreicht, um den dringend notwen­digen Wandel hin zu einer echten zirku­lären Wirtschafts­weise einzu­leiten (siehe hierzu auch EUWID). Im Zentrum steht das EU-Ziel, die Circular Material Use Rate (CMUR) bis 2030 zu verdoppeln. Das UBA betont jedoch, dass dies nur gelingen kann, wenn die EU nicht nur mehr Sekun­där­roh­stoffe nutzt, sondern vor allem den Gesamt­ma­te­ri­al­ver­brauch deutlich reduziert. Eine höhere Recycling­quote allein reiche nicht aus, solange Produkte zu kurz genutzt, schlecht reparierbar oder schwer recycelbar sind. Das UBA fordert daher einen syste­mi­schen Wandel entlang des gesamten Produkt­le­bens­zyklus – vom Design über Produktion und Nutzung bis zur Abfall­be­handlung. Nur ein breiter Ansatz könne den Rohstoff- und Umwelt­fuß­ab­druck der EU auf ein global verträg­liches Niveau senken.

Zu den zentralen Empfeh­lungen gehören:

  • Ambitio­niertere Vorgaben für Produkt­design und Lebens­dauer: Produkte sollen reparier­barer, langle­biger und leichter wieder­ver­wendbar werden.

  • Stärkere Nutzung hochwer­tiger Sekun­där­roh­stoffe und klare Quali­täts­an­for­de­rungen an Rezyklate, um Downcy­cling zu vermeiden.

  • Verbind­liche Standards für Abfal­­lende-Kriterien (End-of-Waste), insbe­sondere für Holz, Kunst­stoffe, Papier und minera­lische Stoffe.

  • Harmo­ni­sierung europäi­scher Regeln, z. B. zur Sammlung und Regis­trierung von Elektro­ge­räten oder zur Berechnung von Sammelquoten.

  • Mehr Trans­parenz in den Liefer­ketten: Sorgfalts­pflichten sollen über Batterien hinaus auf weitere rohstoff­in­tensive Branchen ausge­dehnt werden, etwa die Automobil‑, Elektronik- oder Bauindustrie.

  • Neue wirtschaft­liche Anreize, etwa Finan­zie­rungs­me­cha­nismen für hochwer­tiges Metall­re­cy­cling oder eine reduzierte Mehrwert­steuer für Repara­turen und Gebrauchtwaren.

Das UBA macht deutlich: Eine Kreis­lauf­wirt­schaft ist weit mehr als Recycling. Sie erfordert weniger Ressour­cen­ver­brauch, längere Produkt­nutzung und faire wie nachhaltige Liefer­ketten. Der neue EU-Rechtsakt bietet die Chance für einen großen Schritt in diese Richtung – doch nur, wenn er deutlich mutiger wird, als es der aktuelle Entwurf vorsieht. (Dirk Buchsteiner)

Von |14. November 2025|Kategorien: Abfall­recht|Schlag­wörter: , , |0 Kommentare

BGH: Nicht­ein­haltung der Vorgaben des § 41 Abs. 5 EnWG führt zur Unwirk­samkeit der Preisanpassung

Der Streit über die Anfor­de­rungen an eine rechts­wirksame Anpassung der Strom- und Gaspreise durch den Energie­ver­sorger gährt schon eine ganze Weile in der Recht­spre­chung. Bisher stand zumindest fest, dass Preis­an­pas­sungen unwirksam sind, wenn der Versorger es gänzlich unter­lassen hat, den Kunden recht­zeitig nach § 41 Abs. 5 EnWG über eine zukünftige Preis­an­passung zu unter­richten oder wenn in dieser Unter­richtung der Hinweis auf das gesetz­liche Sonder­kün­di­gungs­recht fehlt. Dann kam der BGH und hat in einer Grund­satz­ent­scheidung die übrigen inhalt­lichen Anfor­derung an eine trans­pa­rente Preis­an­pas­sungs­mit­teilung präzi­siert dabei festge­stellt, dass der Versorger nicht nur den bishe­rigen Liefer­preis und den neuen Liefer­preis gegen­über­stellen muss, sondern sämtliche Preis­re­le­vanten Bestand­teile des Energie­preises tabel­la­risch aufge­schlüsselt alt vs. neu gegen­über­stellen muss.

Offen geblieben war dabei jedoch, was die Rechts­folge eines Verstoßes gegen diese erhöten Anfor­de­rungen ist. Hier gingen die Meinungen ausein­ander. Das Landge­richt düsseldorf ging schon frühh von einer Unwirk­samkeit entspre­chender Preis­än­de­rungen aus, während zum Beispiel Landge­richt Hamburg und Landge­richt Köln vertraten, dass der Verstoß gegen § 41 Abs. 5 EnWG keine Auswir­kungen auf die Preis­än­derung habe.

Jetzt hat der BGH entschieden und – für uns wenig überra­schend – in seinem Leitsatz nochmal eindeutig festgestellt:

Eine Preis­än­derung ist unwirksam, wenn der Energie­lie­ferant den Letztverbraucher unter Verstoß gegen die Trans­pa­renz­an­for­de­rungen des § 41 Abs. 5 Satz 1, 3 EnWG nicht über den Anlass der Preis­än­derung unter­richtet (Fortführung von BGH, Beschluss vom 10. September 2024 – EnVR 75/23 - Rückerstat­tungs­an­ordnung).“

Auf die Branche könnten in Folge unruhige Zeiten zukommen, denn sehr viele Versorger haben bei Preis­än­de­rungen der vergan­genheit die vom BGH verlangte Aufschlüs­selung nicht vorgenommen.

(Christian Dümke)

Von |14. November 2025|Kategorien: Gas, Recht­spre­chung, Strom, Vertrieb|Schlag­wörter: |0 Kommentare

Außer Spesen nichts gewesen? Was ist neu an der Kraftwerksstrategie?

Man war ja schon mal weiter: Vor über einem Jahr, am 11. September 2024, startete das Bundes­wirt­schafts­mi­nis­terium die Konsul­tation über die Kraft­werks­stra­tegie, mit der insgesamt 12,5 GW Gaskraft­werke als Reserve für die Netzsta­bi­lität Strom­netze ausge­schrieben werden sollten. Doch diese Ausschrei­bungen reichten der neuen Bundes­re­gierung nicht. Die CDU/CSU unter­stützte den Entwurf nicht in der „letzten Runde“ vor den Wahlen, in der einige besonders wichtige Energie­ge­setze noch im Konsens verab­schiedet werden sollten. Man werde aber nach den Wahlen schnell liefern, aber die Kraft­werks­stra­tegie der Ampel war der Union zu klein und sie wollte sich nicht auf H2 verengen.

Nach den Wahlen bekräf­tigte die Union, dass deutlich mehr ausge­schrieben werden sollte, die Wirtschafts­mi­nis­terin sprach von bis zu 20 GW. Dies indes erwies sich bei der Europäi­schen Kommission als nicht durch­setzbar, ohne deren Notifi­zierung Deutschland bekanntlich keine Beihilfen zahlen darf. Es begann ein zähes Ringen, das nun im Koali­ti­ons­aus­schuss vom 13. November 2025 offenbar beschlossen wurde: Es sollen 2026 Gaskraft­werke mit insgesamt 8 GW Kapazität ausge­schrieben werden. Weitere 4 GW sollen 2026/2028 folgen. Die aktuelle Bundes­re­gierung konnte also in Brüssel auch nicht mehr Kapazität durch­setzen als die Ampel. Die bisher einzige sichtbare markante Verän­derung besteht in der Dekar­bo­ni­sie­rungs­stra­tegie für die neuen Kraft­werke: Die Ampel wollte sie gleich oder später auf Wasser­stoff umstellen. Die Regierung Merz möchte auch CCS/CCU erlauben, also die Abscheidung und Speicherung von CO2 in fossil betrie­benen Kraft­werken. Doch ob dies realis­tisch ist? Die Inter­na­tionale Energie­agentur (IEA) stuft die Techno­lo­gie­reife von CCS an Gaskraft­werken mit einer 8 (Skala 1–11) ein, was bedeutet, dass die Techno­logie in Demons­tra­ti­ons­an­lagen funktio­niert, aber noch keine großtech­nische Markt­reife erreicht hat. Ob Unter­nehmen unter diesen Voraus­set­zungen von der Option Gebrauch machen, wenn sie ansonsten Geld zurück­zahlen müssen? 

Doch wie auch immer – für 2026 ist damit endlich mit den Ausschrei­bungen zu rechnen. Es ist anzunehmen, wenn auch nicht sicher, dass auch im kommenden Entwurf die Bundes­netz­agentur die Kapazi­täten ausschreiben wird. Unter­nehmen, die Kraft­werke errichten und betreiben wollen, geben dann Gebote ab, indem sie den aus ihrer Sicht erfor­der­lichen Förder­betrag nennen. Die wirtschaftlich günstigsten Gebote, die den Teilnah­me­kri­terien entsprechen, bekommen den Zuschlag für den Abschluss langfris­tiger Diffe­renz­ver­träge (Contracts for Diffe­rence), die den Betreibern die Differenz zwischen Strike Price und Markt­preis ersetzen, gekoppelt mit Einhaltung der Dekar­bo­ni­sie­rungs­pflichten und einer Förderung der Kapazi­täts­be­reit­stellung an sich.

Und nun sind wir mal alle sehr gespannt auf den Referen­tenwurf (Miriam Vollmer).

Von |14. November 2025|Kategorien: Strom|Schlag­wörter: , |1 Kommentar

Mit Quartiers­ma­nagement zum besseren Stadtbild

In der Politik ist es ein bisschen wie auch sonst im Leben. Es gibt Menschen, die lange an vielen kleinen Baustellen arbeiten, deren Sinn sich nicht immer gleich allen erschließt, die sich aber irgendwann zu echten Verbes­se­rungen zusam­men­setzen. Es gibt auch den gegen­sätz­lichen Typus: Leute, die eher plaktive und vermeintlich einfache Lösungen propa­gieren, es sich dann aber bei der Umsetzung zeigt, dass die Welt kompli­zierter ist als gedacht.

Ende letzter Woche war ich beim 3rd European Forum on City Centers. Erfreu­li­cher­weise waren dort aus ganz Europa viele Menschen des ersteren Typus angereist, z.B.  Bürger­meis­te­rinnen, Stadträte, Quartiers­ma­nager, Logistik- und Mobili­täts­experten sowie Mitglieder von Initia­tiven der lokalen Wirtschafts­för­derung. Was dort nicht anzutreffen war, waren Menschen, die entweder die Probleme, die es eigentlich in ganz Europa im Stadtbild gibt, gänzlich geleugnet haben, noch solche, die sie einseitig auf eine einzige Dimension, etwa Migration, zugeschrieben haben.

Die Diagnose, die gezeichnet wurde, war vielmehr multi­fak­to­riell. Die Lösungen waren pragma­tisch und setzten auf unter­schied­lichen Ebenen an. Als besondere Heraus­for­de­rungen für die Innen­städte wurden genannt:

  • Ablösung des lokalen Einzel­handels durch Versand­handel und Einkauf­zentren
  • Soziale und wirtschaft­liche Dynamiken wie Gentri­fi­zierung, Tourismus oder Ghettoisierung
  • Zuneh­mender Logis­tik­verkehr und neue Mobilitätsformen
  • Erfor­der­nisse der klima­ge­rechten Stadt

Die zahlreichen Projekte die präsen­tiert wurden, beinhal­teten Logis­tik­zentren für die „letzte Meile“, Förderung des Fußver­kehrs durch Fußgän­ger­zonen oder andere Infra­struktur, klima­ge­rechte Umgestaltung des Stadt­zen­trums z.B. in Freising durch Freilegen eines Wasser­laufs, Stärkung des lokalen Einzel­handels oder Initia­tiven zur Verbindung von e‑commerce mit Geschäften vor Ort.

Foto vom offengelegten Fluss in der Stadt Freising mit Sitzbänken und Steinen im Wasser, darum Häuser mit Geschäften.

Vuxi, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Am Freitag war ich auf zwei Exkur­sionen zu einem Zentrum für Lastenrad-Logistik in Paris im 15. Arron­dis­sement und in dem hübschen Vorort Sceaux, wo eine Fußgän­gerzone einge­richtet wurde und der Einzel­handel durch verschiedene Inter­ven­tionen gestärkt worden war.

Es war sowohl aufschluss­reich als auch ermutigend zu sehen, dass Europa sich auf kommu­naler Ebene weder in einem Teufels­kreis aus Verzagtheit und Populismus versinkt, noch sich pseudoh­ar­mo­ni­schen Illusionen hingibt. Vielmehr gibt es überall auf dem Kontinent Menschen, die die Heraus­for­de­rungen sehen und anpacken. Ganz ohne große Polemik, Panik­mache und Hass. Man würde sich aktuell auch in Deutschland mehr davon wünschen. Der recht­liche Handwerks­kasten, die Instru­mente des Planungs­rechts, des Straßen­rechts und Wirtschafts­för­derung liegen bereit – und das Beispiel Freising zeigt, dass es mit etwas Durch­hal­te­ver­mögen auch politisch möglich ist, anspruchs­volle Projekte durch­zu­setzen. (Olaf Dilling)

 

Von |11. November 2025|Kategorien: Allgemein, Kommentar, Kommu­nal­recht, Städte­bau­recht, Verkehr|Schlag­wörter: , |0 Kommentare

Die ElektroG-Novelle 2025: Ein wichtiger Schritt für eine sichere Elektrogeräte-Entsorgung

Die Novelle des Elektro- und Elektronik­ge­rä­te­ge­setzes (ElektroG) ist ein großes Stück weiter. Der Bundestag hat den Gesetz­entwurf 6.11.2025 beschlossen (Vorsicht, das Datum im verlinkten Dokument ist noch falsch) und adres­siert zwei zentrale Heraus­for­de­rungen: die zu niedrige Sammel­quote von Elektro­alt­ge­räten und die wachsenden Brand­ri­siken durch unsach­gemäß entsorgte Lithium-Batterien.

Deutschland verfehlt die europäi­schen Zielmarken deutlich. Mit einer Sammel­quote von nur 38,6 Prozent im Berichtsjahr 2021 bleiben wir hierzu­lande weit hinter der von der EU gefor­derten Quote von 65 Prozent zurück. Dies ist nicht nur eine Frage der Ressour­cen­ver­schwendung – mehr als 300 Millionen ausge­diente Handys, Tablets und Laptops lagern ungenutzt in privaten Haushalten – sondern auch ein Sicher­heits­problem. Die zuneh­mende Anzahl von Lithium-Batterien, die häufig fest in modernen Elektro­ge­räten verbaut sind, birgt erheb­liche Brand­ge­fahren. Besonders elektro­nische Einweg-Zigaretten stellen eine neue Problem­ka­te­gorie dar: Sie werden oft nicht als Elektro­geräte erkannt und landen im Restmüll, verur­sachen dort aber Brände in Müllfahr­zeugen und Sortier­an­lagen. Es brennt daher täglich in Entsor­gungs­an­lagen. Der Bundesrat drängte daher auf ein Verbot von Einweg-E-Zigaretten, konnte sich aber nicht durch­setzen. Zwar bewertet die Bundes­re­gierung das Inver­kehr­bringen von Einweg-E-Zigaretten kritisch. Die Imple­men­tierung eines solchen Verbots würde jedoch die „Pflicht zur techni­schen Notifi­zierung“ auslösen, wodurch sich der Gesetz­ge­bungs­prozess erheblich verzögern. Aus Zeitgründen verzichtet man also darauf. Die Idee eines Pfand­systems für bestimmte Lithium-Ionen-Batterien konnte sich ebenfalls nicht durch­setzen – dies war ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen.

Die ElektroG-Novelle soll dennoch konkrete Verbes­se­rungen bringen. Ein (zumindest auch von Verbands­seite begrüßter) Aspekt soll das sogenannte Theken­modell sein. An kommu­nalen Sammel­stellen dürfen Elektro­alt­geräte künftig nicht mehr von Verbrau­chern direkt selbst einsor­tiert werden. Statt­dessen übernimmt geschultes Personal die Annahme und sichere Sortierung. Dieses Fachper­sonal kann Lithium-Batterien gezielt identi­fi­zieren und entfernen sowie diese separat und sicher entsorgen. Dies reduziert drastisch das Risiko von Beschä­di­gungen durch unsach­gemäße Handhabung und mecha­nische Verdichtung. Ein weiterer Schwer­punkt liegt auf verbrau­cher­naher Infor­mation. Sammel­stellen in Geschäften werden künftig einheitlich mit dem Symbol der durch­ge­stri­chenen Mülltonne gekenn­zeichnet, sodass Kundinnen und Kunden diese sofort erkennen können. Auch direkt im Laden­regal erfahren Käufer durch dieses Symbol, dass ein Produkt nach Gebrauch getrennt zu entsorgen ist. Zusätzlich sollen Verbraucher besser über ihre Rückga­be­pflichten infor­miert werden, insbesondere zur Entnahme von Batterien und die Risiken beim Umgang mit lithi­um­hal­tigen Batterien. (Dirk Buchsteiner)

Von |7. November 2025|Kategorien: Abfall­recht|Schlag­wörter: , , , |0 Kommentare

Schüler­lotsen in Paris: Vorbild für Berlin?

Reisen bildet bekanntlich. Aktuell bin ich auf dem 3rd European Forum on City Centers, das dieses Jahr von der Metropole du Grand Paris gehosted wird. Zugleich ist das für mich eine willkommene Gelegenheit zu sehen, was für Fortschritte die fahrrad- und fußgän­ger­freund­liche Politik der Bürger­meis­terin Anne Hidalgo seit meinem letzten Besuch vor ein paar Jahren gemacht hat. Und tatsächlich: Es ist keine schwierige Aufgabe mehr, Fotos von Radwegen an promi­nenten Orten zu machen, auf denen es von „Velos“ nur so wimmelt. Die Pariser haben trotz einiger Proteste die Verkehrs­wende inzwi­schen gut angenommen.

Radfahrer vor Notre-Dame de Paris

Wenn man selbst vor Ort ist, fallen einem auch noch Sachen auf, die ich in der Presse oder in den sozialen Netzwerken noch nicht zu Gesicht bekommen habe. In Paris waren es diesmal die vielen „Schüler­lotsen“. Die stehen mit neongelben Warnwesten an fast jedem Zebra­streifen, in dessen Nähe sich eine Schule befindet. Wenn sie nichts besseres zu tun haben, helfen sie auch schon mal einem ortsfremden Mann mittleren Alters über den Boulevard Saint-Germain.

Schülerlotsen auf einem Pariser Boulevard helfen am Zebrastreifen einer Frau beim Überqueren

Gibt es eigentlich auch in Deutschland noch Schüler­lotsen? Seit meiner Schulzeit in den 1970er Jahren kann ich mich nicht erinnern, welche gesehen zu haben. Heute ist die Aufgabe vermutlich auch ungleich schwerer. Der Ton im Verkehr hat sich verschärft und manche Autofahrer werden schnell aggressiv, wenn sie auf Fußgänger oder Radfahrer warten sollen. Insofern sollte man gut überlegen, wo welche Lotsen als Verwal­tungs­helfer einge­setzt werden. 13-jährige Schüler und Schüle­rinnen sind sicher nicht überall geeignet. Die Schüler­lotsen und ‑lotsinnen in Paris waren übrigens auch alle schon volljährig.

Schülerlotsin am Zebrastreifen vor einer Schule in Paris

Gerade auf großen Kreuzungen in Berlin täte mehr Verkehrs­re­gelung dringend Not: Viele Kreuzungen in Tempelhof, Neukölln, Kreuzberg und Fried­richshain rund um die A100 sind seit der Eröffnung des neusten Abschnitts bis Treptower Park kaum mehr passierbar. Das gilt für Kfz und Linien­busse, ebenso wie für Fußgänger und Radfahrer. Das Problem ist, dass aufgrund des dauer­haften Staus an den Flaschen­hälsen viele Autofahrer auf die Kreuzung fahren, auch wenn diese nicht frei sind. Dadurch blockieren sich Fahrzeuge aller Richtungen gegen­seitig. Gridlock nennt man diese Art von poten­ziertem Stau auf Englisch oder auf Deutsch: Verkehrsinfarkt.

Die Senats­ver­waltung in Berlin scheint dagegen aktuell nichts zu tun. Jeden­falls dauern die unhalt­baren Zustände, die nicht nur den Autoverkehr, sondern auch den Umwelt­verbund lahmlegen, weiter an. Vielleicht soll genug Druck aufgebaut werden, um Maßnahmen durch­zu­setzen, die die Berliner CDU ohnehin plant, wie der Rückbau eines Radfahr­streifens über die Elsen­brücke und seine Umwandlung in eine Kfz-Spur. Dies lässt sich aber aus bausta­ti­schen Gründen aber nicht so schnell umsetzen. Ohnehin ist es fraglich, ob es wirklich Abhilfe schafft oder den Stau nur etwas verlagern würde. Langfristig dürfte sich die Strategie nicht auszahlen, Verkehrs­chaos dadurch zu bekämpfen, dass ausge­rechnet raumef­fi­ziente Alter­na­tiven, wie der Rad- und Fußverkehr in ihrer Infra­struktur beschnitten werden.

Um den Gridlock aufzu­lösen und die Verkehrs­si­cherheit zu gewähr­leisten, wäre es aber sinnvoll, die Kreuzungen und Rad von wartenden Fahrzeugen frei zu halten. Dafür könnten Polizisten oder Verwal­tungs­helfer sorgen, die darauf achten, dass die Halte­linie nur von Fahrzeugen überfahren wird, die hinter der Kreuzung genug Platz haben. Wenn es sich dort auf einer Fahrspur staut, dürfen Autofahrer trotz des grünen Signals nicht losfahren. Klassische Schüler­lotsen wären von dieser Aufgabe überfordert. Sie haben als Verwal­tungs­helfer auch keine eigenen hoheit­lichen Kompe­tenzen, können also nicht eigen­mächtig das Ampel­signal aufheben oder modifizieren.

Trotzdem spräche grund­sätzlich nichts dagegen auch in Deutschland Erwachsene, die eine Ausbildung als Verwal­tungs­helfer genossen haben, auf der Straße einzu­setzen. Aktuell gibt es dies im Bereich der Großtrans­porte. Hier darf die zuständige Landes­be­hörde einem belie­henen Unter­nehmen nach § 2 Abs. 1 der neuen Straßen­­­verkehr-Trans­­por­t­­be­­g­lei­­tungs­­­ver­­­ordnung (StTbV) Anord­nungs­be­fug­nisse übertragen. Ähnliches ginge auch allgemein im Straßen­verkehr, wenn dafür auf Bundes­ebene eine entspre­chende Rechts­grundlage geschaffen würde. Solange das nicht der Fall ist, müssten weiterhin Polizisten an den Ampel­kreu­zungen den Verkehr regeln. (Olaf Dilling)

Von |7. November 2025|Kategorien: Kommentar, Verkehr|Schlag­wörter: , , , , |0 Kommentare