Zwanzig Jahre kein Bescheid: VGH Mannheim über verspätete Beitragsbescheidung

Eine ebenso kuriose wie bemer­kens­werte Entscheidung teilt der VGH Mannheim mit. Dieser hob am 8. August eine Entscheidung des VG Karlsruhe auf.

Der zugrunde liegende Fall wirft ein, gelinde gesagt, etwas merkwür­diges Licht auf die frühere Kommu­nal­ver­waltung des Städt­chens Bad Herrenalb. Bad Herrenalb hatte nämlich 1984 eine Abwas­ser­satzung beschlossen. Damit waren zum einen Abwas­ser­gruben nicht mehr erlaubt, zum anderen wurde festge­setzt, dass und was der Anschluss ans öffent­liche Wassernetz kostet.

Warum der spätere Kläger dann doch erst 1989/1990 nach Schließung seiner Abwas­ser­grube ans öffent­liche Abwas­sernetz angeschlossen wurde, verrät uns der VGH Mannheim nicht. Doch wie auch immer: An sich wäre nun der Zeitpunkt gekommen, dem Kläger auch einen Beitrags­be­scheid zu schicken. Dazu kam es aber nicht, denn 1991 fiel auf, dass die Abwas­ser­satzung wegen Kalku­la­ti­ons­mängeln unwirksam war.

Die Jahre vergingen. Freddie Mercury starb, und Kurt Cobain erschoss sich, und Tupac Shakur wurde erschossen, und Michael Hutchence erhängte sich an einer Tür. Michael Jackson starb, und Jam Master Jay starb, und Whitney Houston starb, und kurz nach dem Tod von Robin Gibb beschloss Bad Herrenalb, nun müsse mal so langsam doch etwas geschehen. Im Oktober 2012 beschloss Bad Herrenalb also endlich eine neue Abwas­ser­satzung. Nur ein Jahr später erging auf dieser Basis ein Abwas­ser­bei­trags­be­scheid. Für die 1984 geschaffene Anschlussmöglichkeit.

Der Kläger zog sofort vor Gericht.

Das VG Karlsruhe wies seine Klage ab. Erst mit Erlass der Abwas­ser­satzung 2012 sei die Beitrags­pflicht entstanden und die vierjährige Festset­zungs­frist deswegen zum Erlass­zeit­punkt des Bescheides noch nicht abgelaufen. Der VGH indes sah dies anders. Er meint zwar auch, dass Verjährung hier noch nicht einge­treten sei. Aber der verfas­sungs­rechtlich veran­kerte Grundsatz der Belas­tungs­klarheit und ‑vorher­seh­barkeit wäre verletzt, wenn eine Gemeinde sich so viel Zeit lässt wie Bad Herrenalb. Diesen Grundsatz hätte aller­dings der baden-württem­ber­gische Gesetz­geber aufgreifen müssen, der also wohl demnächst das Kommu­nal­ab­ga­ben­gesetz novel­lieren sollte. Doch unabhängig hiervon sei eine so späte Beitrags­fest­setzung treuwidrig. Bad Herrenalb hätte sich früher um eine neue Beitrags­grundlage kümmern müssen. Nun sei es zu spät. Wenn niemand mehr mit einem Bescheid rechnet, dürfe man auch keinen mehr versenden. 

Was bedeutet das für die Praxis? Kommunen müssen aufpassen. Wem Mängel an Beitrags- oder Gebüh­ren­grund­lagen auffallen, der sollte diese schnell besei­tigen. Ansonsten kann es sein, dass für frühere Zeiträume Gelder verlorengehen.

2018-08-08T22:22:51+02:008. August 2018|Verwaltungsrecht|

Grundkurs Energie: Die EEG-Umlage und der Strompreis

Als „alter Hase“ in der Energie­wirt­schaft, können Sie für heute die Seite wieder schließen: Unter “Grundkurs Energie” gehen wir in lockerer Reihe auf Fragen ein, die zum größten Teil von Studenten an der Uni Bielefeld stammen, wo Frau Dr. Vollmer als Lehrbe­auf­tragte Jurastu­denten im Wahlschwer­punkt Umwelt­recht eine “Einführung in das Energie­recht” vermittele. Es geht also um Basics. 

Der Berliner Think Tank Agora geht davon aus, dass die EEG-Umlage für das nächste Jahr stabil bleibt. Derzeit beträgt sie 6,79 c/kWh. Bei einem üblichen Verbrauch von ca. 4.000 kWh im Jahr für einen Haushalt mit vier Personen macht die Förderung damit rund 271 EUR aus.

Doch wären – wie manche offenbar glauben – die Strom­kosten ohne das Erneu­erbare-Energien-Gesetz (EEG) wirklich geringer? Um das zu beurteilen, werfen wir zunächst einen Blick auf den Förder­me­cha­nismus des EEG.

Das EEG fördert auf zwei Wegen. Zum einen erhalten Anlagen­be­treiber eine direkte Vergütung über den Netzbe­treiber, der den Strom also zu gesetzlich festge­legten Tarifen kauft. In der Vergan­genheit war das der Normalfall. Diese für 20 Jahre garan­tierten Festver­gü­tungen deutlich oberhalb des Börsen­preises für Strom waren erfor­derlich, um erst einmal Anreize für den Bau und Betrieb von EEG-Anlagen zu setzen. Heute ist das nicht mehr im selben Maße der Fall. Deswegen sieht das Erneu­erbare-Energien-Gesetz (EEG) heute für die meisten neueren Anlagen vor, den erzeugten EE-Strom durch einen Zuschlag, sogenannten Markt­prämien, zu fördern. Die Garan­tie­ver­gü­tungen ebenso wie die Markt­prämien fließen aus dem sog. EEG-Konto. Dieses wird von allen Letzt­ver­brau­chern gefüllt, also Privaten wie gewerb­lichen Strom­ver­brau­chern, wobei die Industrie unter bestimmten Voraus­set­zungen weniger EEG-Umlage zahlt.

Diese Gelder würden nicht fließen, gäbe es das EEG nicht. Aber verteuert es wirklich den Strom um diese 271 EUR? Wer das annimmt, verkennt, dass das EEG gleich­zeitig den Strom­preis durch eine Verla­gerung senkt. Denn für Erneu­er­baren Strom gilt das sog. Einspei­se­pri­vileg. Die Netzbe­treiber müssen diesen Strom also zuerst abnehmen. Das wiederum heißt: Die Nachfrage nach Elektri­zität wird zu einem erheb­lichen Teil durch EE-Strom gedeckt.

Diese Nachfra­ge­ver­schiebung in die Erneu­er­baren Energien hinein führt zu einer Senkung des Börsen­preises für Strom. Denn dieser bildet sich anhand der sogenannten Merit-Order-Kurve. Dieser Begriff bezeichnet ein Preis­bil­dungs­modell für das einheit­liche Produkt Strom, der sich an der Börse bildet. Der Preis entsteht dadurch, dass die zu jedem Zeitpunkt bestehende Nachfrage durch Strom aus Kraft­werken gedeckt wird, die zu brenn­stoff- wie inves­ti­ti­ons­kos­ten­be­dingt unter­schiedlich hohen Kosten produ­zieren. Logisch, dass die Nachfrage nach Strom zunächst durch das Kraftwerk gedeckt wird, das am günstigsten produziert.

Nach und nach werden weitere Kraft­werke angefahren, bis die Nachfrage nach Strom gedeckt ist. Natürlich wird dabei immer auf das jeweils nächst­günstige Kraftwerk zurück­ge­griffen. Wegen der unter­schied­lichen Kosten­struk­turen fahren so erst Kernkraft­werke an, dann Kraft­werke, die Braun­kohle verstromen, dann Stein­ko­hel­kraft­werke, sodann kommt Erdgas zum Einsatz. Das Schluss­licht bildet Heizöl. Irgendwann ist die Nachfrage gedeckt. Das zuletzt aufge­rufene Kraftwerk setzt dann den einheit­lichen Preis.

Hier kommt nun das EEG zum Tragen. Denn wegen des Einspei­se­vor­rangs nach § 11 Abs. 1 EEG 2017 ist der EE-Strom schon im Netz. Die Merit-Order-Kurve bleibt zwar gleich, verschiebt sich aber deutlich nach rechts, da die Nachfrage nach Strom durch die Menge an Erneu­er­baren Energien schließlich nicht verändert wird. Doch durch diese Verschiebung wird ein anderes Kraftwerk als günstigstes noch benötigtes Kraftwerk preis­bildend. Der Großhan­dels­preis für Strom wird also durch das EEG günstiger. Viel EEG-Strom im Netz – etwa bei Wind und Sonnen­schein – führt also nicht nur zu einer höheren EEG-Umlage. Gleich­zeitig sinkt der Börsen­preis für Strom. Im Ergebnis bedeutet das: Nein, die vierköpfige Familie würde keineswegs 271 EUR im Jahr sparen, gäbe es das EEG nicht. Der „normale“ Strom­preis wäre höher. Zwar ist damit sicherlich kein vollstän­diger Ausgleich verbunden. Doch langfristig erwarten viele, dass EE-Anlagen volks­wirt­schaftlich günstiger sind und wegen der Gefahren des Klima­wandels ohnehin an einem grund­le­genden Umbau der Energie­wirt­schaft kein Weg vorbei führt. Die Appelle der Branche richten sich daher auch nicht gegen einen grund­sätz­lichen Umbau zu einer dekar­bo­ni­sierten Energie­wirt­schaft, sondern eher auf Zeitpläne, Finan­zie­rungs­fragen und die gesell­schaft­liche Aufgabe, den betrof­fenen Regionen, Arbeit­nehmern und Unter­nehmen Perspek­tiven aufzu­zeigen. Dies soll die sog. Kohle­kom­mission leisten.

2018-08-08T09:10:35+02:008. August 2018|Erneuerbare Energien, Grundkurs Energie, Strom|