Der Influencer schlägt zu
Frau Göker bleibt auch nichts erspart. Monatelang hatte Vertriebsleiter Valk herum gebohrt: Junge Kunden ließen sich nicht mit einem schöneren Kundencenter gewinnen. Stattdessen setzt Valk auf Influencer. Das sind, erklärte er der Geschäftsführerin, so Künstler aus dem Internet.
Einen jungen Mann hatte Valk Frau Göker aufgeschwatzt. Im Internet soll er ein Star sein. Irgendwann hatte Valk Frau Göker wie immer weichgeklopft. Für 350 € im Monat sollte der junge Mann bei YouTube für ein ganzes Jahr jeweils ein kurzes Filmchen über die Stadtwerke Oberaltheim GmbH (SWO) machen.
Einige Monate lief auch alles prächtig. Frau Göker hatte sich zwar jedes Mal gefragt, ob dieser merkwürdige Sprechgesang eigentlich wirklich gut ankommt. Auch die vielen Fäkalausdrücke hatten sie gestört. Überhaupt, Deutscher Rap. Und wieso ging es immer um Kriminelle? Frau Göker hört am liebsten Volksmusik. Aber immerhin: Der junge Mann kam bei der jungen Klientel großartig an, sogar Frau Gökers Neffe äußerte sich ausgesprochen begeistert.
Dann letzte Woche der Schock. Der junge Mann sang nicht nur über Gewalttaten. Gemeinsam mit einem Freund hatte er tatsächlich eine Prügelei auf dem Stadtfest von Unteraltheim angefangen und einem anderen Mann den Arm gebrochen. Frau Göker wollte gar nicht ausschließen, dass die Fans des Influencers sogar das bejubeln würden. Sie aber wollte damit nichts mehr zu tun haben. Valk sollte den Vertrag sofort kündigen.
Allerdings lief der Vertrag noch fast ein ganzes Jahr. Justiziarin Birte Berlach schrieb zwar ein energisches Kündigungsschreiben und berief sich auf § 313 Abs. 3 S. 2 BGB. Hier liege eine Störung der Geschäftsgrundlage vor. Denn die öffentliche Wertschätzung, die der Markt dem jungen Mann entgegenbringe, sei durch die Straftat so schwerwiegend zum Schlechten verändert worden, dass gemäß § 313 Abs. 3 S. 2 BGB ein Recht zur Kündigung bestünde.
Der Influencer nahm das nicht hin. Sich öffentlich zu prügeln sei quasi Teil seines Images. Sein Anwalt schrieb sogar, als „Gangster Rapper“ (Frau Göker runzelte die Stirn) sei seine Glaubwürdigkeit sogar gestiegen. Als Frau Göker sich aber angesichts der zögerlichen Reaktion der Richter am örtlichen Landgericht nicht mehr sicher war, ob sie den Vertrag wirklich würde kündigen können, ging sie auf einen Kuhhandel ein: Bis zum Ende der einjährigen Vertragslaufzeit bekam der junge Mann vollkommen leistungslos die Hälfte der vereinbarten Summe. Alle Filme, die rund um die SWO schon im Netz standen, wurden, soweit es ging, entfernt.
Gegen so etwas, so der erstaunlich gut gelaunte Valk, sei man halt nie gefeit. Justiziarin Berlach jedoch weiß es besser: Bei der nächsten Zusammenarbeit mit Influencern müsse der Vertrag für solche Fälle eine Kündigungsmöglichkeit enthalten. Nochmal – sie sah Valk strafend an – würde jedenfalls nichts mehr per Handschlag besiegelt.
Aber ob es zu einem solchen Vertrag jemals wieder kommt? Geschäftsführerin Göker schwört: Influencer kommen ihr nicht mehr ins Haus. Valk allerdings war erst heute morgen bei Frau Berlach, um sich zu erkundigen, was man gegen Nachbarn tun könne, die sich beschweren, wenn man im Keller laut singt.
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