Nichts als Show? Die Klimaur­teile des OVG BB vom 16.05.2024

Die Deutsche Umwelt­hilfe (DUH) hat zwei Verfahren gewonnen, die sie gegen die Bundes­re­gierung geführt hat (OVG 11 A 22/21, OVG 11 A 31/22).

Die eine Klage aus 2020 – 2021 erweitert – richtet sich auf die Verpflichtung der Bundes­re­gierung, ihr Klima­schutz­pro­gramm für die Sektoren Energie­wirt­schaft, Industrie, Gebäude, Landwirt­schaft und Verkehr zu überar­beiten. Das existie­rende Klima­schutz­pro­gramm sei nämlich nicht ausrei­chend. Die andere Klage aus 2022 richtet sich gegen dieses Klima­schutz­pro­gramm der Bundes­re­gierung in Hinblick auf den Sektor LULUCF (land use, land use change and forestry), der als Senke CO2 konsu­mieren soll.

Dass das OVG Berlin-Brandenburg beiden Klagen statt­ge­geben hat, hat sich medial inzwi­schen herum­ge­sprochen. Dass es die Revision eröffnet hat, also noch das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) über die Angele­genheit befinden kann, auch. Ebenso klar ist, dass der Zeitpunkt, zu dem dies der Fall sein wird, nach Inkraft­treten der Änderungen des Klima­schutz­ge­setzes (KSG) liegen wird, auf dessen Vorgaben die Verfahren fußen. Das KSG wird bekanntlich gerade teilweise entschärft, v. a. weil das Verkehrs­ressort sich hartnäckig weigert, Maßnahmen zu ergreifen, um seinen sektor­spe­zi­fi­schen Minde­rungs­ver­pflich­tungen nachzu­kommen. Künftig soll national deswegen eine Gesamt­be­trachtung über alle Sektoren und mehrere Jahre hinweg an die Stelle der sekto­ren­be­zo­genen Ziele treten, auch wenn es gemein­schafts­rechtlich bei der Sekto­ren­be­zo­genheit von Emissionen und Minde­rungs­vor­gaben bleibt. Am 17.05.2024 hat nun auch der Bundesrat sich entschieden, keinen Einspruch gegen dieses Gesetz einzulegen.

Sind die Entschei­dungen des OVG damit nicht schon heute Makulatur? Zumindest für LULUCF dürfte dies ohnehin nicht der Fall sein. Doch auch für die übrigen Sektoren kann die Bundes­re­gierung die Entschei­dungen nicht einfach zu den Akten legen. Zwar liegen bisher die Gründe nicht vor. Denn wenn das OVG selbst in seiner Presse­mit­teilung ausführt, den Klagen statt­ge­geben zu haben, weil das Klima­schutz­pro­gramm die Klima­schutz­ziele und den festge­legten Reduk­ti­onspfad nicht einhalte und zudem an metho­di­schen Mängeln leide und teilweise auf unrea­lis­ti­schen Annahmen beruhe, so ändert sich an diesem Maßstab ja erst einmal nichts, wenn man alle Sektoren gemeinsam betrachtet. Auch der nun maßgeb­liche Blick auf die künftigen Minde­rungen mittels Projek­tionen dürfte daran wenig ändern: Wenn die Bundes­re­gierung mit Maßnahmen plant, die insgesamt ungeeignet sind, die – ja der Höhe nach unver­än­derten – Minde­rungs­ziele zu erreichen, weil sie zu optimis­tisch geplant sind, verhält sie sich auch in Zukunft rechts­feh­lerhaft. Sie riskiert also auch mit dem neuen KSG vor Gericht zu mehr Klima­schutz verdonnert zu werden. Die Urteile sind also keineswegs nur für die Galerie inter­essant, die die Bundes­re­gierung gern vorge­führt sehen möchte.

(Freilich, wie man damit umgeht, wenn sie auch nach immer neuen Urteilen keine ausrei­chenden Maßnahmen beschließt, bleibt weiter offen.) (Miriam Vollmer).

2024-05-17T23:53:10+02:0017. Mai 2024|Allgemein, Energiepolitik|

VGH BW: Schul­weg­si­cherheit auch präventiv möglich

Es ist ein Skandal des deutschen Verkehrs­rechts, dass erst Unfälle nachge­wiesen werden müssen, bevor Maßnahmen zur Verkehrs­si­cherheit ergriffen werden können. So jeden­falls ein in deutschen Amtsstuben weit verbrei­teter Mythos. Tatsächlich verlangen viele Straßen­ver­kehrs­be­hörden und manche Gerichte beispiels­weise für die Anordnung von Tempo 30 den Nachweis eines bereits bestehenden Unfall­schwer­punkts. Gerade wenn es um die Sicherheit von Schul­kinder geht, sorgt dies für Unver­ständnis. Denn wieso sollte man erst warten, bis buchstäblich Blut geflossen ist, wenn Unfälle vorher­sehbar sind?

Die Orien­tierung an der Unfall­sta­tistik lässt sich auch weder einem Gesetz bzw. einer Verordnung entnehmen, noch entspricht sie der höchst­rich­ter­lichen Recht­spre­chung. Vielmehr hat das BVerwG immer wieder entschieden, dass eine Prognose, aus der sich eine konkrete Gefahr ableiten lässt, ausrei­chend ist (z.B. BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 – BVerwG 3 C 37.09, Rn. 31).

Kleines Mädchen im Kleid und Sonnenhut auf einer Straße mit Lattenzaun

Ein Beschluss des Verwal­tungs­ge­richtshofs Baden-Württemberg von Ende März diesen Jahres unter­stützt dies noch mal am Beispiel von Gefahren auf einem Schulweg. Das Gericht hat es für ausrei­chend angesehen, dass eine Straßen­querung unüber­sichtlich, schlecht einsehbar und das allge­meine Geschwin­dig­keits­niveau hoch ist, um eine quali­fi­zierte Gefah­renlage zu begründen. Damit ist die Voraus­setzung für die Anordnung von Tempo 30 gegeben.

In dem Fall hatte jemand gegen die Geschwin­dig­keits­be­grenzung auf einem Teilstück einer Kreis­straße geklagt. Die Klage war bereits vor dem Verwal­tungs­ge­richt Freiburg abgewiesen worden. Zu Recht, wie der Verwal­tungs­ge­richtshof befunden hat. Was die Gefah­ren­pro­gnose angeht, sei in der konkreten Situation eine an Sicherheit grenzende Wahrschein­lichkeit vermehrter Schadens­fälle dann nicht erfor­derlich, wenn es um hochrangige Rechts­güter wie Leib, Leben und bedeu­tende Sachwerte geht. Ein behörd­liches Einschreiten sei auch nach den Maßstäben des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO bereits bei einer gerin­geren Wahrschein­lichkeit des Schadens­ein­tritts zulässig und geboten.

Aller­dings gibt die Entscheidung den Behörden keineswegs einen pauschalen Freibrief, verkehrs­be­schrän­kende Maßnahmen überall dort anzuordnen, wo ein Schulweg die Straße quert. Vielmehr muss die konkrete Gefahr immer anhand der örtlichen Gegeben­heiten begründet werden, z.B. Ausbau und Funkti­ons­fä­higkeit der Fußver­kehrs­in­fra­struktur einschließlich vorhan­dener sicherer Querungs­mög­lich­keiten, Einseh­barkeit und Übersicht­lichkeit des Straßen­ver­laufs und typischer­weise gefah­rener Geschwin­dig­keiten. Eine genaue Prüfung durch Juristen ist daher weiterhin sinnvoll, um die Voraus­set­zungen einer Anord­nungen zu klären.

Trotzdem könnte die Entscheidung zu einem Umdenken im Bereich der Straßen­ver­kehrs­ver­waltung beitragen. Selbst an Straßen, an denen ein Zugang der Schule vorhanden ist und daher die Ausnahme des § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO greifen könnte, weigern sich Straßen­ver­kehrs­be­hörden aktuell in manchen Fällen standhaft, zugunsten der Schul­weg­si­cherheit Tempo 30 anzuordnen. Die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg zeigt, dass ein Tempo­limit sogar dann angezeigt sein kann, wenn ein Straßen­ab­schnitt nicht direkt an der Schule liegt, aber häufig als Schul­wegstrecke frequen­tiert wird. (Olaf Dilling)

2024-05-17T13:31:01+02:0017. Mai 2024|Allgemein|

Netzengpass in Orani­enburg: Der Anspruch auf Netzanschluss

Wir berich­teten hier neulich über die aktuelle besondere Netzsi­tuation in der Stadt Orani­enburg, bei der wegen einem Netzengpass derzeit keinen neuen Strom­netz­an­schlüsse mehr erstellt werden (können) bis ein benötigtes Umspannwer fertig ist. Aber wie sieht es rechtlich aus?

Hausbe­sitzer und sonstige Anschluss­nehmer haben grund­sätzlich einen Anspruch darauf, an das Stromnetz angeschlossen zu werden, sofern bestimmte Bedin­gungen erfüllt sind. Dieser Anspruch auf Netzan­schluss ist ein wichtiger Bestandteil der Energie­ver­sorgung und trägt dazu bei, sicher­zu­stellen, dass alle Bürger Zugang zu elektri­scher Energie haben, was heutzutage von entschei­dender Bedeutung ist.

Gemäß den geltenden Vorschriften und Gesetzen haben Hausbe­sitzer das Recht, eine Verbindung zum Stromnetz zu beantragen und von ihrem Strom­ver­teil­netz­be­treiber einen Anschluss zu erhalten. Diese Regelung gilt in den meisten Ländern und wird als Grund­prinzip des Energie­rechts betrachtet. Der Strom­ver­teil­netz­be­treiber ist verpflichtet, diesen Anschluss bereit­zu­stellen, sofern keine außer­ge­wöhn­lichen Umstände vorliegen.

Es gibt jedoch zwei wesent­liche Ausnahmen von diesem Grundsatz:

  1. Der Netzan­schluss ist dem Netzbe­treiber wirtschaftlich nicht zumutbar: In manchen Fällen kann es für den Netzbe­treiber finan­ziell unren­tabel sein, einen Anschluss bereit­zu­stellen, insbe­sondere wenn die Kosten für die Errichtung oder Erwei­terung des Strom­netzes unver­hält­nis­mäßig hoch sind im Vergleich zum erwar­teten Nutzen. In solchen Fällen kann der Netzbe­treiber den Antrag auf Netzan­schluss ablehnen.
  2. Der Netzan­schluss ist technisch unmöglich: Es gibt Situa­tionen, in denen es aus techni­schen Gründen nicht möglich ist, einen Anschluss zum Stromnetz herzu­stellen. Dies kann beispiels­weise der Fall sein, wenn das betref­fende Gebiet zu abgelegen ist oder wenn die Infra­struktur des Strom­netzes nicht ausreicht, um zusätz­liche Anschlüsse zu ermöglichen.

In beiden Fällen muss der Strom­ver­teil­netz­be­treiber jedoch nachweisen, dass die Ablehnung des Netzan­schlusses gerecht­fertigt ist und dass alle anderen möglichen Optionen geprüft wurden. Zudem haben Hausbe­sitzer in der Regel das Recht, gegen die Entscheidung des Netzbe­treibers Einspruch einzu­legen und gegebe­nen­falls recht­liche Schritte einzu­leiten, um ihren Anspruch auf Netzan­schluss durchzusetzen.

Im Fall Orani­enburg dürfte – zumindest auf Basis der bekannten Presse­be­richte – der Fall der Unmög­lichkeit vorliegen. Zwar kann weiterhin physisch ein Netzan­schluss herge­stellt werden, aber die Nutzung würde die netzsta­bi­lität und Versor­gungs­si­cherheit gefährden. Dies berechtigt aber selbst­ver­ständlich nicht zur dauer­haften Verwei­gerung des Netzan­schlusses, da gleich­zeitig eine Pflicht des Netzbe­treibers zum Netzausbau besteht um nach Fertig­stellung den Grund der Unmög­lichkeit zu beseitigen.

(Christian Dümke)

2024-05-16T23:22:57+02:0016. Mai 2024|Grundkurs Energie, Netzbetrieb, Strom|