Sündenfall ruhender Verkehr: Wider die „Usurpation“ des öffent­lichen Raums

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde in Bremen jemandem verboten, sein Kraft­fahrzeug auf öffent­lichen Parkplätzen abzustellen, wenn er Nacht- oder Feier­tagsruhe hält. Denn das nächt­liche Abstellen eines Kraft­fahr­zeugs (die sogenannte „Later­nen­garage“) sei kein Parken im Sinne der Straßen­ver­kehrs­ordnung. Es sei vom Gemein­ge­brauch nicht gedeckt und bedürfe einer polizei­lichen Erlaubnis, die der Besitzer des Kfz nicht habe.

Na ja, zugegeben „gar nicht so lange“ ist relativ. Es war im Jahr 1957. Die wenigsten werden sich aus eigener Anschauung daran erinnern. Aber hätten Sie es gewusst, dass es unter dem Grund­gesetz nicht seit jeher selbst­ver­ständlich war, seine Kraft­fahr­zeuge einfach so über Nacht am Straßenrand abzustellen? Der Fall entstammt dabei nicht etwa einer kuriosen Sammlung rechts­ge­schicht­licher Bremensien. Vielmehr fand er in die offizielle Sammlung der Entschei­dungen des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts Eingang (BVerwGE 23, 235), die in jedem juris­ti­schen Seminar noch in grünem Einband die Regale schmückt, auch wenn sich die Inhalte für Studie­rende und Rechts­an­wender schneller online aufrufen lassen. Das BVerwG hat das Verbot aufge­hoben. Denn das Parken sei als „ruhender Verkehr“ Gemein­ge­brauch und nicht genehmigungspflichtig.

Im Prinzip war diese Entscheidung des BVerwG der Sündenfall, der heute noch unsere Stadt­land­schaft prägt. Ein Sündenfall deshalb, weil niemandem gedient ist, wenn die Städte von parkenden Kraft­fahr­zeugen bis hin zum akuten Verkehrs­kollaps verstopft werden. Ein Sündenfall auch deshalb, weil die aus offen­sicht­lichen damaligen verkehrs­po­li­ti­schen „Notwen­dig­keiten“ resul­tie­rende Rechts­dog­matik des Gemein­ge­brauchs und des sogenannten „ruhenden“ Verkehrs auch nach recht­lichen Maßstäben nicht wirklich überzeugt. Bis heute gibt es mehrere, zum Teil wider­sprüch­liche Abgren­zungs­kri­tierien bei der Unter­scheidung zwischen Gemein­ge­brauch und Sonder­nutzung, die auf einem zusam­men­ge­stü­ckelten Verkehrs­be­griff beruhen. Sodass Zweifels­fälle je nach Laune des Gerichts so oder so entschieden werden können. Gerade was kommer­zielle Angebote von neuen Mobili­täts­formen angeht, die zweifelsfrei verkehrs­be­zogen sind, machen manche Gerichte inzwi­schen eine Ausnahme und versuchen kommer­zielle Angebote aus dem Gemein­ge­brauch auszu­klammern. Ein Beispiel sind die Mietfahr­räder ohne festen Aufstell­platz.

Auch hier stehen praktische Notwen­dig­keiten wieder im Vorder­grund, da diese Fahrräder ähnlich wie E‑Roller vielfach die Gehwege blockieren. Die Recht­spre­chung und daraufhin entspre­chend geänderte Straßen­ge­setze der Länder erweisen sich jedoch als eine Art „Phyrrussieg“ für die Verkehrs­wende und die Entlastung der Städte vom ruhenden Verkehr. Denn fast alle erfolg­reichen Formen des effizi­enten Teilens von Fahrzeugen sind kommer­ziell organi­siert. Mit der Konse­quenz, dass das sehr flächen­in­tensive private Parken weiterhin unregle­men­tiert bleibt, während stati­ons­loses Car- und andere Formen des Mobili­täts­sha­rings als Sonder­nutzung geneh­mi­gungs­pflichtig werden.

Insofern liegt es nahe, zurück zum „Sündenfall“ zu gehen und zu fragen, ob das Parken allgemein wirklich immer als ruhender Verkehr immer zum Verkehr dazuge­hören muss. Immerhin ist es kurios, es als „Verkehr“ anzusehen, obwohl dieser defini­ti­ons­gemäß im engeren techni­schen Sinne der Ortsver­än­derung dienen soll. Bei Kraft­fahr­zeugen, die nicht nur zur vorüber­ge­henden Erledigung eines Geschäfts, sondern über Nacht oder gar über Wochen und Monate am selben Platz abgestellt werden, geht es offen­sichtlich nicht darum, aktuell von A nach B zu kommen.

Daher werden nun nach der Gerichts­ent­scheidung und Änderungen der Straßen­ge­setze der Länder auch im verkehrs­recht­lichen Schrifttum Stimmen laut, den Gemein­ge­brauch neu von der Sonder­nutzung abzugrenzen. Die Regens­burger Verwal­tungs­rechtler Dr. Stefan Drechsler und Moritz Littert schlagen daher in einem Aufsatz im aktuellen Heft von „Die Öffent­liche Verwaltung“ vor, den Begriff der „Usurpation“ zu verwenden, also der (wider­recht­lichen oder illegi­timen) Inbesitz­nahme. Wenn der öffent­liche Raum in erheb­lichem Maße usurpiert werde, dann sei eine Sonder­nutzung gegeben.

Mit anderen Worten kommt es für Sonder­nut­zungen darauf an, ob der öffent­licher Raum durch eine bestimmte Nutzung anderen Nutzern dauerhaft oder für einen längeren Zeitraum für die verkehr­lichen Zwecke entzogen wird. Auch wenn die Details der „Erheb­lichkeit“ ebenfalls von der Recht­spre­chung oder durch Verwal­tungs­vor­schriften konkre­ti­siert werden müssten, erscheint die Usurpation öffent­lichen Raums als handhab­ba­reres Kriterium als die Unter­scheidung anhand des bishe­rigen, wenig konsis­tenten Verkehrs­be­griffs (Olaf Dilling).