Vorrang des Fußverkehrs?

Der Kraft­fahr­zeug­verkehr ist, was die Vorfahrts­re­ge­lungen angeht, gegenüber dem Fußverkehr grund­sätzlich privi­le­giert. Das geht daraus hervor, dass Fußgänger grund­sätzlich die Gehwege benutzen und vor dem Überqueren der Fahrbahn warten müssen: Denn gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 StVO sind „Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeug­ver­kehrs zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrt­richtung zu überschreiten“.

Grund­sätzlich“ heißt für Juristen jedoch auch, dass es Ausnahmen gibt: Und zwar immer dann, wenn Kfz abbiegen. Denn gemäß § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO gibt es hier eine besondere Rücksicht­nahme- und Warte­pflicht. Dies ist oftmals nicht bekannt. Vor allem, wenn es um Abbie­ge­vor­gänge im Kreis­verkehr geht, dürften viele Kraft­fahrer nicht wissen, dass sie auch dann auf Fußgänger warten müssen, wenn keine Fußgän­ger­überwege angeordnet sind. Dies gilt insbe­sondere, wenn sie von hinten kommen, also die Fußgänger in dieselbe Richtung gehen, wie das Kfz gefahren ist. Denn den Fußgängern soll nicht zugemutet werden, den von hinten kommenden Verkehr genau zu beobachten.

Heißt das, dass Fußgänger einfach loslaufen dürfen? Das ist aus prakti­schen und recht­lichen Gründen nicht zu raten. Denn zum einen wissen viele Kraft­fahrer nicht, dass diese Ausnahmen existiert und die Gefahr überfahren zu werden ist einfach zu groß. Zum anderen wendet auch die Recht­spre­chung im Schadensfall das „Vorrecht“ der Fußgänger in diesen Fällen einschränkend an. Der § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO sei durch das Gebot gegen­sei­tiger Rücksicht­nahme einge­schränkt gemäß §§ 1 Abs. 1, 11 Abs. 3 StVO. Das heißt, dass Verkehrs­teil­nehmer, die zu Fuß unterwegs sind, zwar grund­sätzlich auf ihr Vorrecht vertrauen dürfen. Sie dürfen aber nicht blind­lings auf die Fahrbahn treten und müssen zumindest einen beiläu­figen seitlichen Blick auf die Verkehrslage werfen und zur Not anhalten. Daher wurde einem Fußgänger in einem solchen Fall ein Mitver­schul­dens­anteil von 1/3 angerechnet. Diese Recht­spre­chung trägt nicht dazu bei, die Regel klar zu halten (Olaf Dilling).