Ungewollter Abfallbesitz
Die freiheitliche Rechtsordnung des Grundgesetzes räumt dem Willen der individuellen Rechtsperson eine zentrale Stellung ein. Ob im Vertragsrecht, im Sachenrecht, im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht und im Haftungsrecht: Entscheidend ist in diesen Rechtsgebieten grundsätzlich der freie Wille, sei es beim Schließen von Verträgen, bei Verfügen über das Eigentum sowie bei den subjektiven Tatbeständen von Delikten, also bei Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Im öffentlichen Recht, und insbesondere im Umwelt- und Technikrecht, sieht es bisweilen anders aus. Hier gibt es zahlreiche Fälle von verschuldensunabhängiger Haftung. Oft ist das der Tatsache geschuldet, dass die Nutzer von Technik bisweilen unvorhersehbare Risiken für Dritte in Kauf nehmen und letztere daraus keinen Nachteil haben sollen.
Es gibt aber auch Fälle, in denen Einzelne mit verschuldensunabhängiger Haftung ein Opfer für die Allgemeinheit bringen. Ein Beispiel ist die Figur des Zustandsstörers im Polizei- und Ordungsrecht. Ebenso wie der Verhaltensstörer, der aufgrund seines Verhaltens für eine Gefahr verantwortlich ist, kann auch der Zustandsstörer von den Behörden als Adressat von Maßnahmen herangezogen werden, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden.
Allerdings ist er nicht für ein bewusstes Verhalten verantwortlich, sondern oft schlicht deswegen, weil eine Gefahr in seinem Verantwortungsbereich entsteht. Genauer gesagt geht beim Zustandsstörer die Gefahr von einer Sache aus, über die er die tatsächliche Sachherrschaft inne hat.
Ein Beispiel dazu, das die Entkopplung vom Willen des Besitzers der Sache besonders gut zeigt, findet sich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG): In dem vom BVerwG entschiedenen Fall hat ein Bremer Landwirt mit regelmäßigen Überschwemmungen seiner an der Weser gelegenen Nutzflächen zu kämpfen. Damit nicht genug, führen diese Überschwemmungen dazu, dass auf den von ihm genutzten Flächen immer wieder große Mengen von Treibgut liegen bleiben.
Der Landwirt ist nun der Auffassung, dass dieses Treibgut, das ihn bei der Bewirtschaftung behindert und seine Erträge mindert, von der Stadt beseitigt werden soll. Die Stadt ist dagegen anderer Auffassung. Und das BVerwG hat ihr letztlich recht gegeben: Im Fall, der nach alter Rechtslage noch nach Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) zu entscheiden war, begründet das BVerwG, warum der Landwirt nach §§ 3 Abs. 6 KrW-/AbfG (a.F.) als Besitzer des Treibguts einzustufen ist.
Anders als im bürgerlichen Recht sei für den Abfallbesitz lediglich die tatsächliche Sachherrschaft entscheidend. Nicht dagegen käme es auf einen Besitzbegründungswillen an. Mit anderen Worten kann Abfall eine Art aufgedrängten Besitz darstellen, für den der Landwirt auch dann haftet, wenn er nie etwas damit zu tun haben wollte. Die Folge ist, dass er gemäß § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG (a.F) zur Sammlung und Überlassung des Abfalls gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger verpflichtet ist.
Die Haftung des Zustandstörers wird gerade in Fällen von Altlasten, bei denen der aktuelle Eigentümer für die Verfehlungen von Voreigentümern haften muss, nachvollziehbarerweise oft als ungerecht empfunden. Daher muss die Inanspruchnahme des Eigentümers nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verhältnismäßig und zumutbar sein. Insofern gibt es hier doch eine Korrektur, so dass es sich bei Altlasten oder aufgedrängtem Abfallbesitz lohnt, eine genauere Prüfung vorzunehmen (Olaf Dilling).