Keine Mehrzu­teilung für Fernwärme als Zusatz­produkt: Zu OVG BB 12 N 114/20

Stellen wir uns eine Fabrik vor, in der Papier erzeugt wird, und in dieser Fabrik einen oder mehrere Verbren­nungs­vor­gänge, die die Emission von CO2 nach sich ziehen. Alle diese Emissionen werden bei der Zuteilung kosten­loser Emissi­ons­be­rech­ti­gungen durch den Benchmark für das erzeugte Papier abgedeckt.

Stellen wir uns weiter ein Verwal­tungs­ge­bäude vor, das zur Papier­pro­duktion gehört, und das mit der Abwärme der Papier­pro­duktion beheizt wird. Wussten Sie, dass es für dieses Produkt „Fernwärme“ eine geson­derte Zuteilung gibt, wenn die Wärme erst ans örtliche Stadtwerk verkauft, durch das Netz der örtlichen Versorgung durch­ge­leitet und dann im Haupt­quartier der Papier­fabrik als Raumwärme genutzt wird? Keine solche zusätz­liche Zuteilung gibt es aber, wenn zwar die Wärme derselben Papier­fabrik in demselben Verwal­tungs­ge­bäude verbraucht wird, dieses sich aber direkt neben der Fabrik befindet und durch eine eigene Direkt­leitung versorgt wird. Ökolo­gisch macht das eigentlich keinen Unter­schied, mal abgesehen von den unnötigen Leitungs­ver­lusten, wenn zwischen Fabrik und Verwaltung eine längere Strecke überwunden werden muss.

Das klingt unlogisch? In der Tat. Trotzdem haben erst das Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin (10 K 286.16) und dann das Oberver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Berlin-Brandenburg diese Praxis der Deutschen Emissi­ons­han­dels­stelle (DEHSt) für recht­mäßig erklärt: Mit Entscheidung vom 7. Juli 2020 verwarf das OVG BB (OVG 12 N 114/20) die Nicht­zu­las­sungs­be­schwerde der Papier­fabrik, die eine Mehrzu­teilung einklagen wollte und vorm VG ohne Berufungs­zu­lassung unter­legen war. Es sei nämlich eine „Selbst­ver­ständ­lichkeit“, dass die erzeugte Abwärme aus einem Produk­ti­ons­prozess zu Heizzwecken verwendet würde. So selbst­ver­ständlich kann es aber kaum sein: Schließlich ist dies weder Teil der immis­si­ons­schutz­rechtlich verbind­lichen best verfüg­baren Techniken. Noch ist es ausweislich der Beschreibung des der Zuteilung zugrunde liegenden Bench­marks in diesen einge­flossen. Außerdem sei die Sache auch nicht besonders schwierig im Sinne des die Zulassung zum Berufungs­ver­fahren regelnden § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Es gebe nämlich öffent­liche Erkennt­nis­quellen. Als solche betrachtet das OVG BB tatsächlich die Guidances der Europäi­schen Kommission, also Erläu­te­rungs­do­ku­mente der rechts­set­zenden Instanz selbst. Wenn diese Ansicht um sich greift, gibt es bald gar keine schwie­rigen Rechts­fragen mehr, denn schließlich erläutert der Gesetz­geber in seinen amtlichen Begrün­dungen alle Regelungen, und außerdem geben Behörden regel­mäßig Leitfäden oder ähnliches heraus. Aber sind diese erstens maßgeblich und besei­tigen zweitens alle Anwen­dungs­schwie­rig­keiten? Wir sind nicht überzeugt.

Auch eine Grund­satz­frage sieht das OVG nicht für gegeben an. Die Frage, ob es für Abwär­me­nutzung eine Extra­zu­teilung gibt, sieht der Senat „aus den genannten Gründen“ so wie das VG Berlin, ohne dass uns klar wäre, was für Gründe das denn sind. Kann es wirklich der reine Forma­lismus sein, ob die Verbindung zwischen Fabrik und Verwaltung eine eigene Direkt­leitung oder ein öffent­liches Wärmenetz ist? Insgesamt ist das keine Entscheidung, die imstande wäre, dem Kläger zufrie­den­stellend zu vermitteln, wieso es an einem ökolo­gisch bedeu­tungs­losen Detail hängt, wie viele Emissi­ons­be­rech­ti­gungen er bekommt (Miriam Vollmer).

2020-08-12T22:51:35+02:0012. August 2020|Emissionshandel, Umwelt, Verwaltungsrecht|

Globale Sorgfalts­pflichten für Umwelt und Menschenrechte

Das Bundes­ka­binett wird sich Ende diesen Monats mit den Eckpunkten für das sogenannte Liefer­ket­ten­gesetz befassen. Hinter­grund dieses Gesetzes ist die Tatsache, dass ein Großteil der Wirtschafts­tä­tigkeit inzwi­schen in globalen Liefer- und Wertschöp­fungs­ketten statt­findet. Dies ist z.B. der Fall, wenn Zulie­ferer der Automo­bil­in­dustrie Einzel­teile in Osteuropa oder Asien fertigen, so dass nur die Endmontage des fertigen Produkts in Deutschland statt­findet. In Branchen wie der Textil­in­dustrie ist oft sogar der gesamte Produk­ti­ons­prozess ausge­lagert. Durch ihre Betei­ligung an solchen Wertschöp­fungs­ketten haben auch deutsche Unter­nehmen Verant­wortung für die Einhaltung von Umwelt­stan­dards und Menschenrechten.

Die inter­na­tio­nalen Verpflich­tungen zur Einhaltung menschen­recht­licher Standards hat Deutschland im Gegensatz zu anderen europäi­schen Ländern vor allem auf freiwil­liger Basis einhalten wollen. Aller­dings hat eine Erhebung unter deutschen Unter­nehmen gezeigt, dass es mit der Einhaltung sogenannter menschen­recht­licher Sorgfalts­pflichten oft nicht weit her war. Insofern hatte die Regierung bereits in der Koali­ti­ons­ver­ein­barung den Auftrag verankert, ein Liefer­ket­ten­gesetz zu beschließen. Zu den Eckpunkten zählt, dass im Gesetz Sorgfalts­pflichten definiert, Berichts­pflichten etabliert und Arbeit­neh­mer­rechte gestärkt werden sollen. Außerdem sollen Klage­mög­lich­keiten in Deutschland etabliert werden.

Auch für das Umwelt­recht könnte das Liefer­ket­ten­gesetz relevant werden. Denn im März diesen Jahres hat das Umwelt­bun­desamt eine Studie veröf­fent­licht, in der eine Konzeption entwi­ckelt wird, die Sorgfalts­pflicht auch auf den Umwelt­be­reich auszu­dehnen. In Zukunft könnten deutsche Unter­nehmen insofern auch rechtlich daran gemessen werden, ob ihre Zulie­ferer sich bei der Erzeugung der Vorpro­dukte an grund­le­gende Umwelt­stan­dards halten. Das Problem einer ausufernden Haftung für Bereiche, die sich der Kontrolle entziehen, soll durch ein Konzept abgestufter Verant­wortung entschärft werden: Das heißt, dass nur solche Aktivi­täten erfasst werden, an denen der deutsche Hersteller als Auftrag­geber „nah dran“ ist. Aber schon diese Proble­matik zeigt, dass noch viel zu klären sein wird, bis das Liefer­ket­ten­gesetz tatsächlich in Kraft treten kann (Olaf Dilling).

2020-08-12T20:30:05+02:0012. August 2020|Industrie, Umwelt|

Der CSCF und die Kapazi­täts­ver­rin­gerung: Zu VG Berlin, (VG 10 L 177/20)

Immer Ärger mit dem sektor­über­grei­fenden Korrek­tur­faktor (CSCF): In einem Eilver­fahren hatte sich das Verwal­tungs­ge­richt (VG) Berlin mit der Frage zu beschäf­tigen, ob der neu berechnete höhere CSCF nach einer Kapazi­täts­ver­rin­gerung auf die gesamte neu berechnete Zuteilung nach der Kapazi­täts­ver­rin­gerung anzuwenden ist.

Zum Hinter­grund: Das Regelwerk für die laufende 3. Handel­s­pe­riode lässt die Möglichkeit zu, Zutei­lungen anteilig zu kürzen, wenn ansonsten nach Anwendung der Zutei­lungs­regeln mehr Emissi­ons­be­rech­ti­gungen zugeteilt werden müssten, als zur Verfügung stehen. Ob und wie hoch diese Kürzung, der CSCF, ausfällt, hatte die Europäische Kommission zu berechnen.

Schon früh rügten Anlagen­be­treiber, dass die Berechnung durch die Kommission nicht nachvoll­ziehbar ist, und das Wenige, was man weiß, dafür spricht, dass ihr Berech­nungs­fehler unter­laufen sind. Dies sah schlu­ßendlich auch der EuGH so, dessen Urteil (Az. C‑191/14, C‑192/14, C‑295/14, C‑389/14 und C‑391/14 bis C‑393/14) aller­dings nur einen kleinen Teil der bestehenden Kritik­punkte aufge­ar­beitet hat, weil andere, relevante Punkte in den ersten Vorla­ge­ver­fahren gar nicht aufge­worfen wurden. Auf dieser verkürzten Grundlage kam der EuGH zu der überra­schenden Position, der CSCF sei nicht zu hoch – wie die Betrei­ber­seite bis heute meint – sondern zu niedrig berechnet worden. Die Kommission rechnete also neu und kam zu einem erhöhten neuen CSCF (Beschl. 2017/126). Die Erhöhung fiel auch nicht gerade knapp aus: Nun gelten 10,8% bis 22% statt bisher 5,7% bis 17,6%. Immerhin: Auf bestands­kräftige Zutei­lungen sollte er nicht angewendet werden.

In dem nun zumindest erstin­stanzlich entschie­denen Sachverhalt ging es aber nicht um eine zusätz­liche Zuteilung. Im Gegenteil: Gem. § 19 ZuV 2020 lag eine wesent­liche Kapazi­täts­ver­rin­gerung vor, die zu einer Kürzung der Zuteilung führte. Wesent­liche Kapazi­täts­ver­rin­ge­rungen sind § 2 Nr. 25 ZuV 2020 physische Änderungen an Anlagen, die zu mehr als 10% Verän­derung gegenüber der instal­lierten Anfangs­ka­pa­zität einer Anlage führen, wobei diese im aktuellen Emissi­ons­han­dels­recht auslas­tungs- und nicht kapazi­täts­be­zogen zu verstehen ist. Um so mehr stellte sich deswegen die Frage, ob und wie der neue hohe CSCF nun anzuwenden ist. Die DEHSt griff zur denkbar weitesten Auslegung: Sie wandte den neuen CSCF auf die gesamte Zuteilung, nicht einmal begrenzt auf das jeweils betroffene Zutei­lungs­element an.

Diese Vorge­hens­weise hat das VG Berlin nun im Eilver­fahren – bekanntlich neigt sich die Handel­s­pe­riode ihrem Ende zu – bestätigt.  Art. 21 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 9 des Benchmark-Beschlusses 2011/278/EU würden ausdrücklich vorsehen, dass die endgültige Jahres­ge­samt­menge neu berechnet wird. Der Vertrau­ens­schutz, den der EuGH in seiner Entscheidung zum CSCF noch so hochge­halten hatte, würde in dieser Situation deswegen nicht greifen.

Im Ergebnis überzeugt die Entscheidung nicht nur deswegen nicht. Sie lässt auch außer acht, dass der Dreh- und Angel­punkt der Zuteilung nicht die Anlage insgesamt ist, sondern das jeweilige Zutei­lungs­element. Schließlich wird auch die Kapazi­täts­ver­rin­gerung selbst am Zutei­lungs­element festge­macht, nicht an der Anlage und ihrer Zuteilung insgesamt. Insofern bleibt durchaus kritisch abzuwarten, ob die Praxis der Behörde sich letztlich durch­setzt (Miriam Vollmer).

 

 

 

2020-08-11T18:23:33+02:0011. August 2020|Emissionshandel, Umwelt, Verwaltungsrecht|