Streit über Parklets: „kommu­ni­ka­tiver“ Verkehr als Gemeingebrauch?

Das öffent­liche Straßen- und Verkehrs­recht treibt manchmal kuriose Blüten. Straßen sind dem Verkehr gewidmet. Daher ist jeder Gebrauch zu verkehr­lichen Zwecken im Grundsatz erlaub­nisfrei (sog. Gemein­ge­brauch). Andere Zwecke bedürfen als Sonder­nutzung einer Geneh­migung und es werden Benut­zungs­ge­bühren fällig. Aus der Perspektive eines Jurastu­denten schien diese Unter­scheidung ziemlich einfach: Laufen, Fahren, Parken ist Gemein­ge­brauch; in einem Straßencafé sitzen oder im öffent­lichen Straßenraum eine Werbe­tafel aufstellen ist Sondernutzung.

Aber in der Praxis ist die Unter­scheidung dann doch nicht immer so schlicht. Gerade in Zeiten der Verkehrs­wende kommen neue Nutzungen dazu und geraten alte in den Blick, die nicht so passgenau zuzuordnen sind: Wie ist es mit Ladesta­tionen für E‑Mobilität? Sie dienen zwar ziemlich offen­sichtlich dem Verkehr, aber eben auch gewerb­lichen Zwecken und schließen andere Nutzer von dem Straßenraum aus, den sie beanspruchen. Oder sogenannte „Parklets“, auf dem Parkstreifen aufge­baute Park-Bänke, die mit Fahrrad­ständern kombi­niert, den öffent­lichen Straßenraum zum Teil für Fußgänger und Fahrrad­fahrer zurück­er­obern sollen. Gemein­ge­brauch oder Sonder­nutzung? Und überhaupt: Könnte man nicht auch parkende Autos aus dem Gemein­ge­brauch heraus­nehmen und Sonder­nut­zungs­ge­bühren erheben, denn der „ruhende“ Verkehr dient ja allen­falls indirekt der Fortbe­wegung von A nach B? Genau solche Fragen kamen gestern nach meinem Vortrag bei einem Seminar des „Instituts für Städtebau“ zur Sprache. Knapp 50 Praktiker im Bereich Verkehrs­planung und Stadt­ent­wicklung aus ganz Deutschland waren zusam­men­ge­kommen, um sich über Mobilität zu informieren.

Die Recht­spre­chung zu solchen Fragen ist inzwi­schen ziemlich auszi­se­liert und unein­heitlich. Der Verkehrs­be­griff, der ursprünglich eng an die Ortsver­än­derung angeknüpft hat, ist für die praktische Zwecke der Nutzung des öffent­lichen Raums viel zu eng: So wird die Straße üblicher­weise auch für kommu­ni­kative Zwecke genutzt, Schau­fens­ter­bummel, Begegnung und Unter­haltung zwischen Passanten usw. Klassisch daher die Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richtshofs Mannheim, worin der Begriff des „kommu­ni­ka­tiven Verkehrs“ auftaucht (Urteil v. 31.01.2002 – 5 S 3057/99). Wir atmen auf, der Plausch unter Nachbarn auf dem Gehweg vor unseren Häusern ist also nicht genehmigungsbedürftig!

Was die Parklets angeht, ist die Frage nach Gemein­ge­brauch oder Sonder­nutzung z.B. in der Münchener Kreis­ver­waltung höchst umstritten. Sie erinnern sich: Sitzbank im Straßencafé ist Sonder­nutzung… anderer­seits ist kommu­ni­ka­tiver Verkehr nach der Recht­spre­chung vom Gemein­ge­brauch umfasst. Insofern wäre es ja schon relativ überzeugend zu argumen­tieren, dass auch Fußgänger Anspruch auf „ruhenden Verkehr“ haben dürften, wenn schon die Kfz im Rahmen des Gemein­ge­brauchs grund­sätzlich kostenlos und erlaub­nisfrei parken dürfen. Bei privaten Ladesta­tionen wird teilweise eine Entwidmung bzw. Umwidmung vorge­schlagen. In anderen Fällen bleibt es bei der Sonder­nutzung, die dann jedoch gebüh­ren­pflichtig bleibt und grund­sätzlich kosten­de­ckend abgerechnet werden soll.

In vielen Fällen zeigt ein genauer Blick auf die Entschei­dungs­praxis, dass sie sich faktisch relativ weit von dem ursprüng­lichen Kriterium des verkehr­lichen Zwecks entfernt hat. Statt­dessen wird eher auf Fragen abgestellt, a) ob eine Nutzung mehr oder weniger feste Einrich­tungen mit sich bringt, die andere Nutzungen räumlich ausschließen und b) ob sie gewerblich betrieben wird (Olaf Dilling).

2020-01-31T12:28:36+01:0031. Januar 2020|Verkehr, Verwaltungsrecht|

Ausstieg der Kohle: Der Kabinetts­be­schluss vom 29.01.2020

Nach monate­langem Ziehen und Zerren hat das Bundes­ka­binett sich nun mit Beschluss vom 29.01.2020 auf einen Entwurf für das Kohle­aus­stiegs­gesetz verständigt. Damit steht nun fest, wie nach den Vorstel­lungen der Bundes­re­gierung der Pfad für den Ausstieg bis 2038, der Mecha­nismus und die Kompen­sa­tionen für Betreiber und Letztverbraucher aussehen soll. In aller Kürze: 

# Wie schon im ersten Entwurf wird zwischen Stein­kohle- und Braun­koh­le­kraft­werken unter­schieden (hierzu schon hier). Stein­koh­le­kraft­werke können ab 2026 per Bescheid entschä­di­gungslos still­gelegt werden. Braun­koh­le­kraft­werks­be­treiber bekommen durch­gängig Entschä­di­gungen. An sich bedürfen Ungleich­be­hand­lungen wegen Art. 3 Abs. 1 GG eines sachlichen Grundes. Wo der hier liegen soll? Wir haben keine Ahnung und sind sehr gespannt, was die Bundes­re­gierung dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt erzählt, falls jemals jemand klagt. Unser Tipp: Angst vor dem Wahlver­halten der Braun­koh­le­länder dürfte als sachlicher Grund kaum reichen. Dass an den Braun­koh­le­kraft­werken auch noch Tagebauten hängen, stellt zwar einen Unter­schied dar, der den völlig anderen Still­le­gungs­me­cha­nismus aber eher nicht vollständig schlüssig erklärt.

# Für die Stein­kohle soll es ein in Teil 3 des Geset­zes­ent­wurfs geregeltes Ausschrei­bungs­ver­fahren geben. Die Bundes­netz­agentur ermittelt für jeden Gebots­termin das Ausschrei­bungs­vo­lumen, und dann können sich Betreiber für die Still­legung bewerben. Wer am günstigsten stilllegt, bekommt den Zuschlag.

# In § 19 des Entwurfs sind die Höchst­preise für das Ausschrei­bungs­ver­fahren geregelt. Der Höchst­preis startet bei 165.000 EUR pro MW Netto­nenn­leistung in der Ausschreibung 2020 und geht dann steil nach unten. Für das Zieldatum 2026 werden noch maximal 46.000 EUR gezahlt.

# Ab 2027 wird es dann (ganz) ernst: Ab diesem Jahr wird Stein­kohle in einer von der BNetzA ermit­telten Still­le­gungs­rei­hen­folge entschä­di­gungslos abgeschaltet.

# Kleine Stein­koh­le­kraft­werke werden frühestens 2030 stillgelegt.

# Mit den Betreibern von Braun­koh­le­kraft­werken gelten die darge­stellten Verfahren nicht. Mit ihnen sollen Verträge geschlossen werden.

# Für die in Anlage 2 tabel­la­risch aufge­führte Still­le­gungen von Braun­koh­le­kraft­werken bis 2030 sind Entschä­di­gungen von bis zu 2,6 Milli­arden Euro für Braun­koh­le­an­lagen im Rheinland und in Höhe von 1,75 Milli­arden Euro für die Braun­koh­le­an­lagen in der Lausitz vorgesehen. 

# Kleine Braun­koh­le­kraft­werke werden weitgehend wie Stein­koh­le­kraft­werke behandelt.

# Neue Stein- oder Braun­koh­le­kraft­werke dürfen nicht errichtet und in Betrieb genommen werden, außer, sie sind schon genehmigt. Damit darf das geneh­migte und betriebs­be­reite Kraftwerk Datteln IV der Uniper noch an den Markt.

# Es sind Überprü­fungen des Ausstiegs­pfades 2022, 2026, 2029 und 2032 vorge­sehen, so dass die nächsten Bundes­re­gie­rungen neue Mehrheiten für Änderungen nutzen können. Mit dieser Ankün­digung will die Bundes­re­gierung vermutlich verhindern, dass sich bei einem schnel­leren Ausstieg Unter­nehmen auf Vertrau­ens­schutz berufen und Schadens­ersatz verlangen.

# Nicht nur die Betreiber erhalten Geld: Frühver­ren­tungen, Zuschüsse an strom­kos­ten­in­tensive Unter­nehmen, Zuschüsse für die Umrüstung von KWK-Anlagen von Kohle auf Gas sollen Härten und Nachteile vermeiden und Anreize für eine Konversion der Erzeu­gungs­struktur setzen. Überhaupt sind die Änderungen des KWKG mehr als einen Blick wert: Hier wird viel Geld verteilt werden, demnächst an dieser Stelle im Detail.

# Da die Strom­erzeugung aus Kohle in den europäi­schen Emissi­ons­handel einge­bunden ist, ergibt der Ausstieg nur Sinn, wenn Deutschland die auf die Kohle­kraft­werke entfal­lenden Zerti­fikate löscht. Dies soll ein neuge­fasster § 8 TEHG gewährleisten.

Wie das Gesetz aussieht, wenn es in Kraft tritt, ist noch weitgehend offen. Richtig zufrieden scheint kaum jemand zu sein. Dazu fehlen die angekün­digten Regelungen, die den Aufbau neuer Kapazi­täten erleichtern sollen, um die Kohle zu ersetzen. Und nicht zuletzt ist noch unbekannt, was die Europäische Kommission als Beihil­fen­auf­sicht zu den Entschä­di­gungs­zah­lungen sagt, denen teilweise nachgesagt wird, den Wert der Kraft­werke deutlich zu übersteigen. Es bleibt also spannend. (Miriam Vollmer)

2020-01-30T13:07:58+01:0030. Januar 2020|Energiepolitik, Strom|

Des Wider­spens­tigen Zähmung? – VG Stuttgart zur Vollstre­ckung wegen Dieselfahrverboten

Wenn wir gegen ein privates Unter­nehmen oder gar eine Privat­person in die Schlacht ziehen und gewinnen, steht uns bewaffnet mit einem vollstre­ckungs­fä­higen Titel das ganze Arsenal der Zwangs­voll­stre­ckung zu Gebote. Wir können z. B. Gehälter pfänden, goldene Uhren versteigern lassen, Zwangshaft beantragen, und irgendwann werden wir schon bekommen, was wir wollen.

Geht es gegen den Staat, sieht die Sache schon anders aus. Denn der Gesetz­geber, die gute Seele, sah es als abgemacht an, dass der Staat sich an Urteile, die gegen ihn ergehen, auch hält. Deswegen enthalten die §§ 167 VwGO ff. nur einen recht kümmer­lichen Minimal­be­stand an Zwangs­maß­nahmen. Geht es um Geld, reicht das sogar. Wird der Staat aber zu Handlungen oder Unter­las­sungen verur­teilt, gegen die er sich mit aller Macht sperrt, dann sieht es in den letzten Jahren zunehmend schwie­riger aus. Parade­bei­spiel dieser Entwicklung: Die Diesel­fahr­verbote. Hier gibt es inzwi­schen eine ganze Reihe von Verur­tei­lungen, unzurei­chende Luftrein­hal­te­pläne unter Einschluss von Fahrver­boten für die besonders schad­stoff­reichen älteren Diesel­kraft­fahr­zeuge nachzu­bessern, aber wenn der Staat – etwa der Freistaat Bayern – sich einfach weigert, waren die Gerichte bisher weitgehend machtlos. Zwangs­gelder üben keine Zwangs­wirkung aus, wenn der Staat sie (wie alle Zwangs­gelder) wieder in die Staats­kasse einzahlt. Und die von der Deutschen Umwelt­hilfe (DUH) beantragte Zwangshaft (zur Proble­matik auch hier) hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 19.12.2019 zwar nicht völlig ausge­schlossen, aber an ausge­sprochen hohe Hürden geknüpft (C‑752/18).

Einen neuen Weg im Umgang mit der wider­spens­tigen Verwaltung geht nun das VG Stuttgart, ebenfalls in einem Klage­ver­fahren der DUH wegen Diesel­fahr­ver­boten (VG 17 K 5255/17). Hier geht es um ein nunmehr drittes Vollstre­ckungs­ver­fahren wegen einer Verur­teilung, die der Stadt Stuttgart und dem beklagten Land Baden-Württemberg nicht passt. Die bisher verhängten Zwangs­gelder richteten nichts aus, denn die zahlte das Land ja an sich, und was sind in Abwägung zu den politi­schen Kosten schon läppische 10.000 EUR? Nun aber zieht das VG Stuttgart mit Beschluss vom 21.01.2020 andere Saiten auf. Ausgehend von der Vergeb­lichkeit der bishe­rigen Zwangs­geld­fest­set­zungen stellt das VG Stuttgart fest, dass Zwangsgeld keineswegs verpflichtend in die Landes­kasse zu zahlen ist, und verhängt unter Rückgriff auf § 167 VwGO ein Zwangsgeld von 25.000 EUR, die an die Deutsche Kinder­krebs­stiftung zu zahlen sind.

Nun glaubt wohl auch das VG Stuttgart nicht daran, dass 25.000 EUR ein Bundesland wirklich in die Knie zwingen können. Um so bemer­kens­werter ist die Passage im Beschluss, in dem das Gericht auf die Möglichkeit der Zwangshaft als ultima ratio anspricht. Man wird sehen, wie die Gerichte reagieren, wenn weiter nichts passiert, um rechts­kräftige Urteile umzusetzen, und wie die erwähnte Entscheidung des EuGH aus dem Dezember hierbei verar­beitet wird (Miriam Vollmer).

2020-01-28T23:08:05+01:0029. Januar 2020|Verkehr, Verwaltungsrecht|