Keine Haftung auf vereistem Wanderweg

Wir haben in letzter Zeit immer mal wieder über den Zugang zur freien Landschaft, zum Wald und zu Gewässern gebloggt. Ein wichtiger Grund, weshalb von seiten der Grund­ei­gen­tümer oft Vorbe­halte gegen den öffent­lichen Zugang bestehen, ist die Haftungs­frage. Denn jeden, der in Deutschland „einen Verkehr“ eröffnet, treffen grund­sätzlich entspre­chende Verkehrs­si­che­rungs­pflichten. Das gilt beispiels­weise für Kunden­park­plätze oder öffentlich zugäng­liche Wege: Wer sie der Öffent­lichkeit zur Verfügung stellt, muss sich darum kümmern, dass niemand Gefahren drohen. Muss also auch eine Kommune dafür haften, wenn Wanderer auf einem Waldweg zu Schaden kommen?

Eigentlich scheint die Frage relativ einfach zu sein. Denn nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Bundes­wald­gesetz (BWaldG) ist es erlaubt, den Wald zur Erholung zu betreten und nach Satz 2 auf Straßen und Wegen Rad zu fahren und zu reiten. Dafür erfolgt die Benutzung des Waldes nach Satz 3 desselben Paragrafen auf eigene Gefahr, was nach Satz 4 insbe­sondere für waldty­pische Gefahren gilt. Die Länder haben zwar gewisse Spiel­räume, von diesen Regeln abzuweichen, haben davon aber oft gar keinen Gebrauch gemacht. Jeden­falls was die Haftung angeht, bleibt es in der Regel beim vom Bund vorge­ge­benen Grundsatz, so etwa Bayern in § 13 Abs. 2 des Bayeri­schen Waldge­setzes.

Dennoch gibt es im Schadensfall immer wieder Streit und entspre­chende Unsicher­heiten. So hat eine Frau vor dem Landge­richt (LG) Coburg gegen die Stadt geklagt, die den Touristen einen Wanderweg auf einen nahe gelegenen Berg empfohlen hatte. Da die Wande­rerin mit ihrem Lebens­ge­fährten im Winter unterwegs war, war der Weg strecken­weise vereist. Auf dem Rückweg fiel die Frau hin und verlangte daraufhin Schadens­ersatz. Die Stadt hätte den Weg auf ganzer Länge ordnungs­gemäß räumen und streuen müssen.

Das LG Coburg hat daraufhin entschieden, dass eine Streu­pflicht nicht bestehe. Anders sei es nach § 9 Abs. 3 Satz 2 des Bayeri­schen Straßen- und Wegegesetz nur innerhalb geschlos­sener Ortschaften. Zwar treffe die Kommune eine allge­meine Verkehrs­si­che­rungs­pflicht, doch müsse sie nur Siche­rungs­maß­nahmen ergreifen, die erfor­derlich und zumutbar seien. Es gehe nicht darum jegliche Gefahren auszu­schließen, sondern nur solche, mit denen der durch­schnitt­liche Wanderer norma­ler­weise nicht rechnen müsse. Dass die Wande­rerin erst auf dem Rückweg gestürzt sei, zeige, dass sie schon vorher darauf aufmerksam geworden sein muss, dass der Weg nicht geräumt und gestreut war. Sie sei aber dennoch weiter gelaufen und hätte sich entspre­chend vorsichtig, notfalls „auf dem Hosen­boden“ zurück­gehen müssen.

Die Entscheidung zeigt, dass die Zivil­ge­richte trotz des Haftungs­aus­schlusses in vielen Waldge­setzen von Verkehrs­si­che­rungs­pflichten des Eigen­tümers ausgehen. Dabei geht es jedoch richti­ger­weise nur um die Sicherung vor Gefahren, die für den durch­schnitt­lichen Erholungs­su­chenden nicht vorher­sehbar sind (Olaf Dilling).

2019-12-09T12:06:05+01:009. Dezember 2019|Sport, Umwelt|

Emissi­ons­handel: Wie Doppel­be­las­tungen aus BEHG und TEHG vermieden werden sollen

Es ist ein Dilemma: Weil der nationale Emissi­ons­handel (nEHS) nach dem am 15. November 2019 verab­schie­deten Brennstoff–Emissionshandels Gesetz (BEHG) das In-Verkehr-Bringen von Brenn­stoffen wie Erdgas oder Benzin mit einer Abgabe­pflicht belegt, gibt es Überschnei­dungen mit dem europäi­schen Emissi­ons­handel, der die Abgabe­pflicht an die Emission von Treib­haus­gasen, also an die Verbrennung, knüpft. Um zu verhindern, dass die selben Emissionen, einmal in Form von zur Verbrennung bestimmtem Kohlen­stoff, einmal in bereits oxidierter Gestalt, doppelt erfasst werden, hat der Gesetz­geber in BEHG mehrere Regelungen eingefügt, die dies verhindern sollen.

In § 7 Abs. 5 BEHG ist bestimmt, dass Doppel­be­las­tungen zu vermeiden sind. Der Gesetz­geber stellt sich hier vor, dass der Betreiber der EU–emissionshandelspflichtigen Anlage seinem Liefe­ranten mithilfe seines Emissi­ons­be­richts nachweist, dass er den Brenn­stoff in einer ETS–Anlage verbrannt hat. Für diese Mengen sollen dann keine Zerti­fikate nach dem natio­nalen Emissi­ons­handel abgegeben werden. Das genaue Procedere soll die Bundes­re­gierung im Laufe des nächsten Jahres mit Hilfe einer Rechts­ver­ordnung regeln. Wie hierüber gegenüber der Behörde zu berichten ist, wird nach § 7 Abs. 4 Nummer 5 BEHG ebenfalls per Verordnung geregelt.

Viele Fälle können so sicherlich befrie­digend gelöst werden. In direkten Liefer­ver­hält­nissen wüsste der Brenn­stoff­lie­ferant, in welchem Verhältnis die von ihm gelie­ferten Mengen eigene Abgabe­pflichten nach dem BEHG auslösen, in welchem Verhältnis aber sein Abnehmer schon zum 30. April Emissi­ons­be­rech­ti­gungen nach dem TEHG abgeführt hat. Je komplexer sich die Liefer­be­zie­hungen darstellen und je mehr Anlagen und Unter­nehmen beteiligt sind, umso eher ergeben sich aber Gemenge­lagen, die insbe­sondere im Hinblick auf die Weitergabe entste­hender Kosten nicht trivial sind. Schließlich soll nur derjenige Kosten weiter­reichen können, dem sie auch entstehen.

Spürbar sind immerhin die Bemühungen der Bundes­re­gierung, Ungerech­tig­keiten im System zu vermeiden. § 11 Abs. 2 BEHG sieht eine Verordnung vor, die eine finan­zielle Kompen­sation für dieje­nigen Anlagen­be­treiber regeln soll, bei denen das erwähnte Procedere eines Abzugs von der Abgabe­pflicht nicht greift. Doch auch wenn die beiden angekün­digten Verord­nungen tatsächlich lückenlos Doppel­be­las­tungen vermeiden: Es bleibt ein erheb­licher Aufwand sowohl im Hinblick auf eine präzise Bericht­erstattung als auch bei den Nachweis­pflichten, die voraus­sichtlich mit einem Antrag auf finan­zielle Kompen­sation verbunden sein werden. Hier ist auf eine pragma­tische Vorge­hens­weise des Verord­nungs­gebers zu hoffen, der im besten Fall auf ohnehin vorlie­gende Daten zurück­greift, und Korrek­tur­mög­lich­keiten einräumen sollte, wenn diese Daten aus irgend­welchen Gründen die Realität nicht zutreffend abbilden (Miriam Vollmer).

2019-12-06T13:27:47+01:006. Dezember 2019|Emissionshandel, Industrie, Strom, Umwelt, Verwaltungsrecht|

Natur­schutz und Eigen­tums­recht: Wisente als herrenlose wilde Tiere

Manchmal bringt der Natur­schutz kuriose Rechts­fälle hervor: Da gibt es im Rahmen eines Auswil­de­rungs­pro­jekts im Rothaar­ge­birge eine Wisent­herde, die einem privaten Waldei­gen­tümer Sorgen bereitet. Warum genau das so ist, warum sich der Bundes­ge­richtshof (BGH) kürzlich damit befasst hat und was daran kurios ist, werden wir sogleich erklären.

Doch zunächst zum Wisent oder auch Europäi­schem Bison (bos bonasus): Dabei handelt es sich um eine bis zum frühen Mittel­alter in Mittel­europa behei­matete Rinderart, die zuletzt nur noch in einem unzugäng­lichen Waldgebiet in Ostpolen und – in Gefan­gen­schaft – in zahlreichen Zoos und Tierparks vorkam. Der Wisent ist das größte Europäische Landsäu­getier und die letzte Wildrin­derart des Konti­nents. Wisente sind nach Anhang IV der Europäi­schen Flora-Fauna-Habitat-Richt­linie (FFH-Richt­linie) besonders geschützt. Mitglied­staaten, in denen sie ausge­storben sind, sollen gemäß Art. 22 Buchstabe a) der FFH-Richt­linie prüfen, ob eine Wieder­an­siedlung dazu beiträgt, die Art zu erhalten und dabei die betrof­fenen Bevöl­ke­rungs­kreise einbeziehen.

Nun hat es sich ein Verein zum erklärten Ziel gemacht, die Wisente im Rothaar­ge­birge wieder heimisch zu machen. In einer mehrere Jahre währenden Freiset­zungs­phase sollte die Wieder­an­siedlung zunächst einmal erprobt werden. In enger Koope­ration mit der Natur­schutz­ver­waltung und anderen Partnern vor Ort hat der Verein daher eine Herde von zunächst acht Wisenten in einem rund 4.300 ha großen Projekt­gebiet ausge­setzt. Bis zum Ende der Freiset­zungs­phase soll der Verein nach Absprache mit den Behörden Eigen­tümer der Wisent­herde bleiben. Nun ist die Herde inzwi­schen auf 19 Tiere angewachsen und hat sich in der Nähe des Projekt­ge­bietes einen anderen Wald mit Buchen­be­ständen in Natur­ver­jüngung gesucht, mit dessen Eigen­tümer das so nicht abgesprochen war.

Was wir bei der Beschreibung der Wisente noch nicht berichtet hatten: Wisente haben die für Waldei­gen­tümer unange­nehme Gewohnheit, sich – vor allem gegen Ende des Winters – von Baumrinde zu ernähren, die sie mit ihren Zähnen von den Bäumen abschälen. Woran sich auch der Streit entzündet hat. Der Waldei­gen­tümer stellt sich auf den Stand­punkt, dass er aus seinem Eigen­tums­recht aus § 1004 BGB einen Abwehr­an­spruch gegen die Wisent­herde hat. Der Verein müsse daher dafür sorgen, dass die Tiere sich von seinem Wald fernhalten. Was die Schäden angeht, müsse er für alle – auch zukünftige ‑Schäden aufkommen.

Der Verein hat dagegen argumen­tiert, dass er bereits jetzt das Eigentum über die Tiere faktisch verloren habe, es seien nämlich aufgrund der erfolg­reichen Auswil­derung und der Wanderung der Tiere in das andere Waldgebiet inzwi­schen wieder herrenlose wilde Tiere im Sinne des § 960 Abs. 2 BGB geworden. Eine Abwehr der Schäden sei schon aus recht­lichen Gründen nicht möglich, da die Wisente ja nach der FFH-Richt­linie und demzu­folge auch nach § 44 BNatSchG streng geschützt seien.

Nun zur Entscheidung des BGH: Er hat entschieden, dass während der Erpro­bungs­phase im Rahmen des Wieder­an­sied­lungs­pro­jekts die Haftung des Vereins als Verhaltens- und Zustands­störer weiter besteht. Denn die Tiere seien nicht herrenlos. Dies würde gemäß § 960 Abs. 2 BGB nämlich voraus­setzen, dass die Tiere die Freiheit wieder erlangt hätten. Tatsächlich seien die Tiere aber weiterhin unter Beobachtung und Kontrolle des Vereins, auch wenn sich dessen Zugriffs­mög­lich­keiten „zunehmend gelockert“ hätten. Da der Verein weiter Eigen­tümer der Tiere sei, seien sie auch keine wild lebenden Tiere im Sinne des § 44 BNatSchG. Der Verein könne weiter nach den Vorschriften des Bürger­lichen Rechts auf sie zugreifen. Um zu entscheiden, ob der Verein die Schädigung verhindern muss, müsse nach Auffassung des BGH zunächst aber noch das Berufungs­ge­richt die Frage klären, ob die Schäden durch die Wisente tatsächlich so schwer­wiegend seien, dass die Duldung durch den Waldei­gen­tümer unzumutbar ist. Jeden­falls aber müsse der Verein noch bis zum Ende der Erpro­bungs­phase für die Schäden aufkommen.

Nun sind Wisent­herden in Deutschland (bisher) tatsächlich noch ein eher seltenes Kuriosum. Für Städter klingt die Wiesen­t­herde insofern fast nach einem „Luxus­problem“ des entle­genen Mittel­ge­birges. Aber das Problem ist eigentlich allge­meiner: Je mehr die Umwelt beplant, entwi­ckelt und genutzt wird, desto schwie­riger wird es zu sagen, was eigentlich natürlich ist und was menschen­ge­macht – was zu vollkommen unter­schied­lichen recht­lichen Bewer­tungen führen kann. Sehr viel weniger exotisch als Wisent­herden sind zum Beispiel Frösche im Vorstadt­garten: Auch hier stellt sich oft die Frage: Ist das Natur? Muss das Frosch­konzert geduldet werden? Oder besteht ein Anspruch auf Unter­lassung? Das lässt sich in den seltensten Fällen pauschal beant­worten, sondern hängt nicht nur vom Natur­schutz­recht sondern auch nach den nachbar­recht­lichen Bestim­mungen des Bürger­lichen Rechts von den üblichen Gegeben­heiten vor Ort ab (Olaf Dilling).

2019-12-05T18:14:05+01:005. Dezember 2019|Naturschutz, Umwelt, Verwaltungsrecht|