Manchmal bringt der Naturschutz kuriose Rechtsfälle hervor: Da gibt es im Rahmen eines Auswilderungsprojekts im Rothaargebirge eine Wisentherde, die einem privaten Waldeigentümer Sorgen bereitet. Warum genau das so ist, warum sich der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich damit befasst hat und was daran kurios ist, werden wir sogleich erklären.
Doch zunächst zum Wisent oder auch Europäischem Bison (bos bonasus): Dabei handelt es sich um eine bis zum frühen Mittelalter in Mitteleuropa beheimatete Rinderart, die zuletzt nur noch in einem unzugänglichen Waldgebiet in Ostpolen und – in Gefangenschaft – in zahlreichen Zoos und Tierparks vorkam. Der Wisent ist das größte Europäische Landsäugetier und die letzte Wildrinderart des Kontinents. Wisente sind nach Anhang IV der Europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) besonders geschützt. Mitgliedstaaten, in denen sie ausgestorben sind, sollen gemäß Art. 22 Buchstabe a) der FFH-Richtlinie prüfen, ob eine Wiederansiedlung dazu beiträgt, die Art zu erhalten und dabei die betroffenen Bevölkerungskreise einbeziehen.
Nun hat es sich ein Verein zum erklärten Ziel gemacht, die Wisente im Rothaargebirge wieder heimisch zu machen. In einer mehrere Jahre währenden Freisetzungsphase sollte die Wiederansiedlung zunächst einmal erprobt werden. In enger Kooperation mit der Naturschutzverwaltung und anderen Partnern vor Ort hat der Verein daher eine Herde von zunächst acht Wisenten in einem rund 4.300 ha großen Projektgebiet ausgesetzt. Bis zum Ende der Freisetzungsphase soll der Verein nach Absprache mit den Behörden Eigentümer der Wisentherde bleiben. Nun ist die Herde inzwischen auf 19 Tiere angewachsen und hat sich in der Nähe des Projektgebietes einen anderen Wald mit Buchenbeständen in Naturverjüngung gesucht, mit dessen Eigentümer das so nicht abgesprochen war.
Was wir bei der Beschreibung der Wisente noch nicht berichtet hatten: Wisente haben die für Waldeigentümer unangenehme Gewohnheit, sich – vor allem gegen Ende des Winters – von Baumrinde zu ernähren, die sie mit ihren Zähnen von den Bäumen abschälen. Woran sich auch der Streit entzündet hat. Der Waldeigentümer stellt sich auf den Standpunkt, dass er aus seinem Eigentumsrecht aus § 1004 BGB einen Abwehranspruch gegen die Wisentherde hat. Der Verein müsse daher dafür sorgen, dass die Tiere sich von seinem Wald fernhalten. Was die Schäden angeht, müsse er für alle – auch zukünftige ‑Schäden aufkommen.
Der Verein hat dagegen argumentiert, dass er bereits jetzt das Eigentum über die Tiere faktisch verloren habe, es seien nämlich aufgrund der erfolgreichen Auswilderung und der Wanderung der Tiere in das andere Waldgebiet inzwischen wieder herrenlose wilde Tiere im Sinne des § 960 Abs. 2 BGB geworden. Eine Abwehr der Schäden sei schon aus rechtlichen Gründen nicht möglich, da die Wisente ja nach der FFH-Richtlinie und demzufolge auch nach § 44 BNatSchG streng geschützt seien.
Nun zur Entscheidung des BGH: Er hat entschieden, dass während der Erprobungsphase im Rahmen des Wiederansiedlungsprojekts die Haftung des Vereins als Verhaltens- und Zustandsstörer weiter besteht. Denn die Tiere seien nicht herrenlos. Dies würde gemäß § 960 Abs. 2 BGB nämlich voraussetzen, dass die Tiere die Freiheit wieder erlangt hätten. Tatsächlich seien die Tiere aber weiterhin unter Beobachtung und Kontrolle des Vereins, auch wenn sich dessen Zugriffsmöglichkeiten „zunehmend gelockert“ hätten. Da der Verein weiter Eigentümer der Tiere sei, seien sie auch keine wild lebenden Tiere im Sinne des § 44 BNatSchG. Der Verein könne weiter nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts auf sie zugreifen. Um zu entscheiden, ob der Verein die Schädigung verhindern muss, müsse nach Auffassung des BGH zunächst aber noch das Berufungsgericht die Frage klären, ob die Schäden durch die Wisente tatsächlich so schwerwiegend seien, dass die Duldung durch den Waldeigentümer unzumutbar ist. Jedenfalls aber müsse der Verein noch bis zum Ende der Erprobungsphase für die Schäden aufkommen.
Nun sind Wisentherden in Deutschland (bisher) tatsächlich noch ein eher seltenes Kuriosum. Für Städter klingt die Wiesentherde insofern fast nach einem „Luxusproblem“ des entlegenen Mittelgebirges. Aber das Problem ist eigentlich allgemeiner: Je mehr die Umwelt beplant, entwickelt und genutzt wird, desto schwieriger wird es zu sagen, was eigentlich natürlich ist und was menschengemacht – was zu vollkommen unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen führen kann. Sehr viel weniger exotisch als Wisentherden sind zum Beispiel Frösche im Vorstadtgarten: Auch hier stellt sich oft die Frage: Ist das Natur? Muss das Froschkonzert geduldet werden? Oder besteht ein Anspruch auf Unterlassung? Das lässt sich in den seltensten Fällen pauschal beantworten, sondern hängt nicht nur vom Naturschutzrecht sondern auch nach den nachbarrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts von den üblichen Gegebenheiten vor Ort ab (Olaf Dilling).
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