Autofahren auf dem Bürgersteig
Begegnungsverkehr auf einspurigen, aber dennoch in beide Richtungen benutzbaren Straßen ist stets eine Charakterprobe. Tief sitzt jedenfalls die Erinnerung an einen eigentlich als bescheiden und höflich bekannten Nachbarn meiner Jugendzeit. Der stand irgendwann mit seinem Kleinwagen auf einem Wenderondell unserer Kleinstadt, ihm frontal gegenüber der weiße Mercedes des Vorsitzenden des lokalen Segelvereins. Keiner von beiden wollte weichen. Unser Nachbar nicht, weil er dort schließlich wohnt und entsprechend besondere Anliegerrechte zu haben wähnte, der Vorsitzende nicht, weil er einfach unentbehrlich war und es außerdem sehr eilig hatte. Nun, er hatte es mindestens eine halbe Stunde lang sehr eilig. Denn so lange haben beide dort verharrt. Da es sich um eine norddeutsche Kleinstadt handelte, wurde dabei kaum ein Wort gesprochen. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, etwas zurückzusetzen und den Weg frei zu geben. Wahrscheinlich wäre es auch möglich gewesen, auf den Bürgersteig auszuweichen. Aber – und nun kommen wir zur heutigen Rechtsfrage – ist das eigentlich erlaubt?
Tatsächlich hat sich das Verwaltungsgericht Neustadt mit dieser rechtlich auf den ersten Blick – jedenfalls im buchstäblichen Sinne – etwas „abwegigen“ Frage beschäftigen müssen. Angesichts immer größerer Kraftfahrzeuge, die sich den knappen städtischen Straßenraum teilen, ist sie immerhin nicht ganz uninteressant. Denn wo das aufgesetzte Parken verboten ist, ist immer öfter das Phänomen zu beobachten, dass Kraftfahrzeuge auf engen Straßen mit den rechten Wagenrädern Seitenstreifen, inklusive Fahrradwege oder Bürgersteige „mitbenutzen“. Für die Kommunen ist das, wie uns ein ehemaliger Umwelt- und Verkehrssenator mal erklärt hat, vor allem deshalb ein Problem, weil Bordsteinkanten und Pflasterung darunter leiden, was zu hohen Instandhaltungskosten führt. Die Gemeinde Bad Dürkheim hatte deshalb Vorsorge getroffen und die Bordsteine gleich in einer durchgehenden Pflasterung verschwinden lassen, so dass die Seitenstreifen mit Fußgängerwegen nur noch durch farbliche Absetzungen erkennbar waren. Zudem war die Fahrbahn trotz der Benutzung im Gegenverkehr an Engstellen, bzw. sogar längeren Passagen, nur 3,20 m breit.
Der Kläger hatte vor allem aus Sorge um die Sicherheit der Fußgänger auf eine Einbahnstraßenregelung und auf Bordsteine gedrängt und weitere Vorschläge zur Verbesserung der Straßenplanung gemacht, beispielsweise zur Entfernung von Parkplätzen an den Engpässen. Die Verwaltung hat in dem Zusammenhang die Auffassung geäußert, dass eine Mitbenutzung des Seitenstreifens im Begegnungsverkehr möglich sei. Daher sei der Gegenverkehr trotz der Engstellen kein Problem.
Das Gericht hat anders entschieden und dem Kläger recht gegeben: „Auch an Engstellen dürfen Gehwege im Begegnungsverkehr nicht befahren werden“. Dies gelte auch für historisch gewachsene enge Straßen. Lediglich in Notlagen zum Beispiel zur Vermeidung von Kollisionen sei ausnahmsweise ein kurzzeitiges Ausweichen auf einen Seitenstreifen zulässig. Dies müsse unter äußerster Sorgfalt und sofortiger Anhaltebereitschaft erfolgen und dürfe außerdem nicht zum Zweck des rascheren Vorankommens im Verkehr dienen. Auch das wäre also keine Lösung für das eingangs beschriebene Problem gewesen.
Eigentlich ist ja in § 2 Abs. 1 StVO alles gesagt: „Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte“ und in Satz 2: „Seitenstreifen sind nicht Bestandteil der Fahrbahn“. Aber im Recht, im Verkehrsrecht zumal, gibt es bekanntlich keine Selbstverständlichkeiten (Olaf Dilling).