Zu arm für Geschenke

Im Grund­gesetz stehen ja die inter­es­san­testen Sachen. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG etwa bestimmt, dass den Gemeinden das Recht gewähr­leistet sein müsse, alle Angele­gen­heiten der örtlichen Gemein­schaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verant­wortung zu regeln. Die kommunale Selbst­ver­waltung genießt damit Verfas­sungsrang. Dass das – wie schon der Bezug auf den „Rahmen der Gesetze“ verdeut­licht – aber nicht bedeutet, dass Gemeinden machen können, was sie wollen, hat erst gestern das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) noch einmal eindringlich bestätigt.

In der Entscheidung geht es um eine hessische Gemeinde. Die Gemeinde ist arm, die Gemeinde hat ganz objektiv nichts zu verschenken, und Geld für Straßen­bau­maß­nahmen ausge­geben hat sie auch. Sie könnte deswegen eine Straßen­bei­trags­satzung erlassen und Ausbau­bei­träge von den Anwohnern fordern, aber das möchte man vor Ort offen­sichtlich nicht. Da ist man lieber pleite.

Dies aller­dings missfällt der Kommu­nal­auf­sicht. Nach einigem Hin und Her erging deswegen 2011 ein Bescheid auf Grundlage des § 139 HessGO, der die Aufsicht ermächtigt, das Erfor­der­liche anzuweisen, wenn Gemeinden ihren gesetz­lichen Verpflich­tungen nicht nachkommen. Hier verpflichtete die Aufsicht die Gemeinde zum Erlass einer Straßen­bei­trags­satzung. Dem kam die Gemeinde trotz gleich­zei­tiger Anfechtung des Bescheides auch nach. Aber zum einen waren der Kommu­nal­auf­sicht die Beiträge zu niedrig und zum anderen enthielt die Satzung eine Klausel, nach der die Beiträge erst für künftige, nicht aber für schon geplante oder begonnene Maßnahmen erhoben werden würden. Die Kommu­nal­auf­sicht war not amused. Die Situation eskalierte: Die Kommu­nal­auf­sicht änderte die Satzung 2011 im Wege der Ersatz­vor­nahme selbst. Die Gemeinde erhob Wider­spruch gegen diese Maßnahme und 2012 sah man sich vor Gericht.

2013 wies das Verwal­tungs­ge­richt Gießen die Klage ab. 2018 bestä­tigte der Hessische Verwal­tungs­ge­richtshof (HessVGH) die erstin­stanz­liche Entscheidung. Gemeinden hätten zwar an sich nur das Recht, nicht aber die Pflicht, Straßen­bei­trags­sat­zungen zu erlassen. Die Gemeinden müssten aber ihr Vermögen und ihre Einkünfte so verwalten, dass die Gemein­de­fi­nanzen gesund bleiben (§ 10 Satz 1 HessGO).

Daraus leitete nun auch das BVerwG ab: Wer es sich leisten kann, darf sich aussuchen, ob er Straßen­aus­bau­maß­nahmen über Beiträge umlegt. Wer kein Geld hat, hat keine Wahl: Er muss im Interesse der Gemein­de­fi­nanzen Beiträge erheben. Die Kommu­nal­auf­sicht war also im Recht.

2019-05-30T22:30:38+02:0030. Mai 2019|Allgemein, Verwaltungsrecht|

Surprise, surprise: Das GEG in der Verbändeanhörung

Aller guten Dinge sind drei. Aber ob der Entwurf für ein Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) beim nunmehr dritten Versuch wirklich gut wird, steht in den Sternen. Ein erster Entwurf, relativ ambitio­niert, war, wir erinnern uns, im März 2017 gescheitert. Ende 2018 lag ein neuer Entwurf auf dem Tisch, der es jedoch nicht von der Ressort­ab­stimmung in die Verbände Anhörung geschafft hat. Seit heute liegt den Verbänden ein Folge­entwurf vor.

Überra­schung: Das bedeutet nicht (wie sonst), dass die in diesem Fall ausge­sprochen mühsame Ressort­ab­stimmung erfolg­reich abgeschlossen wäre. Zwischen den betei­ligten Häusern, insbe­sondere dem feder­füh­renden Wirtschafts­mi­nis­terium (BMWi) und dem Umwelt­mi­nis­terium (BMU) ist immer noch ein bunter Strauß Themen offen. Aber offenbar wollte das BMWi dem BMU, das mit dem Klima­schutz­gesetz vorge­prescht war, auch einmal zeigen, wie es sich anfühlt, wenn andere sich nicht an unaus­ge­spro­chene Spiel­regeln halten. Das bedeutet: Ob der Entwurf so in Kraft tritt, steht ebenso in den Sternen wie letzte Woche. Denn nach wie vor stört die Umwelt­seite, dass der vom GEG-Entwurf vorge­sehene „Niedrigst­ener­gie­standard“ nicht über das aktuell geltende Niveau der EnEV hinausgeht. Selbst bei öffent­lichen Gebäuden bliebe damit alles beim Alten. 

Auch in sonstiger Hinsicht sind die wenigen Änderungen am Entwurf nichts, was das BMU zum Einlenken bewegen könnte. Der Entwurf steht in vielfacher Hinsicht für ein „Weiter so“, das gerade nach der Europawahl vom letzten Sonntag in den SPD regierten Häusern noch weniger populär sein dürfte als letzte Woche.

Damit ist weiter offen, wie die Bundes­re­publik die überfällige Umsetzung der Richt­linie 2010/31/EU ausge­stalten will. Problem: Mit dieser Umsetzung ist Deutschland sowieso reichlich spät dran. Und ob das, was das BMWi aktuell plant, sich inhaltlich als ausrei­chende Umsetzung sehen lassen kann, steht ohnehin in den Sternen. 

2019-05-29T15:34:49+02:0029. Mai 2019|Energiepolitik, Wärme|

Unfall an der Schranken-Schranke

Frau Kramp-Karren­bauer hat sich geärgert: Der Aufruf von 70 Youtubern sei Anlass für eine Diskussion, welche offline geltenden Regeln auch online angewandt werden müssen.

Festzu­halten ist dabei zunächst: Aktuell gibt es kein Gesetz, das es verbieten würde, im Wahlkampf seine Meinung zu publi­zieren. Eine (oder 70) Zeitungs­re­dak­tionen wären also frei darin, zum Sturz der Regierung aufzu­rufen. Zeitungen haben sich zwar selbst einen Presse­kodex auferlegt, aber verbindlich ist der nicht und er beinhaltet auch kein Neutra­li­täts­gebot. Für den Rundfunk gilt zwar laut § 7 Abs. 9 Rundfunk­staats­vertrag ein politi­sches Werbe­verbot, aber der RStV verbietet keine Wahl- oder eben nicht Wahlaufrufe, sondern eben nur „Werbung“.

Aber was nicht ist, könnte ja noch werden. Wäre eine Regulierung, wie Frau Kramp-Karren­bauer sie angedeutet hat, also erlaubt? Werfen wir einen Blick ins Grundgesetz:

Generell gilt für alle Meinungs­äu­ße­rungen Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grund­recht ist außer­or­dentlich kompri­miert, denn es enthält gleich fünf verschiedene Rechte: Die Meinungs- Informations‑, Presse‑, Rundfunk- und Filmfreiheit. Für alle gilt: Sie werden nicht schran­kenlos gewährt. Sondern können einge­schränkt werden. Eine Zensur – also eine Kontrolle vor Veröf­fent­li­chung – ist dabei zwar nicht erlaubt (Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG). Aber es gilt Art. 5 Abs. 2 GG, der lautet:

Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allge­meinen Gesetze, den gesetz­lichen Bestim­mungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persön­lichen Ehre.“

Allge­meine Gesetze klingt erst mal gut, wenn man sich von Leuten verfolgt wähnt, deren Meinung gerade darin besteht, man mache seinen Job nicht so, wie es die Grund­rechts­träger wollen. Ein allge­meines Gesetz könnte der Gesetz­geber ja einfach erlassen. Es könnte z. B. lauten: „In den letzten vier Wochen vor Wochen vor bundes­weiten Wahlen dürfen nur ausge­wogene Meinungen publi­ziert werden.“.

Das wäre zwar ein allge­meines Gesetz, das allein nach dem oberfläch­lichen Wortlaut der Norm Art. 5 Abs. 1 GG einschränken könnte. Aber wäre es auch verfas­sungs­konform oder hebt das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt eine solche Regelung stracks wieder auf? Hier kommen wir auf einen Begriff, wie sich ihn nur Juristen ausdenken können: Die Schranken-Schranke. In der Langfassung: Auch die Beschränkung des Grund­rechts selbst muss mit dem Grund­recht vereinbar sein. Das ist insbe­sondere dann der Fall, wenn eine Regelung einer­seits das in Art. 19 Abs. 2 GG hinter­legte Verbot nicht verletzt, Grund­rechte „in ihrem Wesens­gehalt“ anzutasten. Und anderer­seits muss die Schran­ken­be­stimmung verhält­nis­mäßig sein.

Ein Gebot, im Wahlkampf nur ausge­wogene Meinungen zu veröf­fent­lichen, dürften beide angespro­chene Punkte verletzen. Schließlich gehört es zum Kern von Art. 5 Abs. 1 GG, dass man die Regierung ablehnen und zu ihrer Abwahl aufrufen darf. Und ist das wirklich – wie es das Verhält­nis­mä­ßig­keits­gebot fordert – geeignet, erfor­derlich und angemessen, um den demokra­ti­schen Prozess der Willens­bildung nicht zu stören, wie Frau Kramp-Karren­bauer es angedeutet hat? Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Es ist gerade Teil des demokra­ti­schen Willens­bil­dungs­pro­zesses, dass Leute laut und deutlich ihre Meinung über Politiker und Parteien sagen. Wie das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt regel­mäßig unter­streicht: Die Meinungs­freiheit – und das damit verbundene Recht, seine Meinung auf welchem Wege auch immer zu äußern – ist „schlechthin konsti­tu­ierend“ (BVerfGE 20, 56, 97 f.) für eine Demokratie. Die Demokratie und damit auch der demokra­tische Willens­bil­dungs­prozess müssen also nicht vor polari­sie­renden Meinungen geschützt werden. Demokratie setzt vielmehr voraus, dass man laut und deutlich seine Meinung sagen darf.

2019-05-28T08:56:55+02:0028. Mai 2019|Digitales|