Toleranz im Verkehr: Die beklagten Ampelpärchen

Bei Durch­sicht der Entschei­dungen von 2022 zum öffent­lichen Verkehrs­recht, ist uns eine besonders skurrile aufge­fallen, die wir Ihnen nicht vorent­halten wollen. Die Landes­haupt­stadt Bayerns hat, inspi­riert von Wien, an einigen Licht­zei­chen­an­lagen, vulgo Verkehrs­ampeln, sogenannte „Streusch­eiben“ mit beson­deren Motiven angebracht. An sich nichts beson­deres in Deutschland, seit dem zu Zeiten der Wieder­ver­ei­nigung ein Streit darüber entbrannte, ob das alte DDR-Ampel­männchen wirklich mit allem anderen Beson­der­heiten des real existie­renden Sozia­lismus auf den „Müllhaufen der Geschichte“ wandern sollte. Auch die DDR-Ampel­männchen haben seitdem an einigen Orten, auch im Westen der Republik, politi­sches Asyl gefunden.

Bei den von Wien nach München impor­tierten Ampel­mo­tiven handelte es sich um keine einzelnen Männchen, sondern durchweg um Pärchen – und zwar sowohl gleich­ge­schlecht­liche als auch gemischt­ge­schlecht­liche. In beiden Fällen mit eindeu­tigen Zeichen der gegen­sei­tigen Zuneigung, seien es Umarmungen oder Symbole wie Herzen oder „Schmet­ter­linge im Bauch“. Ein Passant fühlte sich von den Bildern provo­ziert und erhob Klage vor dem Verwal­tungs­ge­richt. Er gab dafür eine Begründung, die wohl mehr über seine Phantasien aussagt als über das, was an den Ampeln darge­stellt war. Denn in der Klage­be­gründung finden sich pädophile Assozia­tionen, die keine nachvoll­ziehbare Grundlage in den Pikto­grammen haben.

Gleich- und gemischtgeschlechtiche Ampelpärchen

Von Foto: NordNordWest, Lizenz: Creative Commons by-sa‑3.0 de, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41697890

Das hat sowohl das Verwal­tungs­ge­richt München, als auch der Bayrische Verwal­tungs­ge­richtshof in der Berufung auch so bewertet, jeden­falls sei aber keine subjektive Betrof­fenheit des Kläger ersichtlich. Denn er wende sich gar nicht gegen die Anordnung, die mit den Licht­zei­chen­an­lagen getroffen seien, sondern ausschließlich gegen die Art der Darstellung. In dieser würde jeden­falls keine Beschwer liegen.

Eine Verletzung der weltan­schau­lichen Neutra­lität des Staates wurde vom Kläger nicht ausdrücklich gerügt. Der Gerichtshof setzt sich jedoch dennoch kurz damit auseinander:

die Verfas­sungs­ordnung ist nicht wertneutral und steht der Förderung von verfas­sungs­recht­lichen Grund­werten, die als solche nicht der partei­po­li­ti­schen Verfügung unter­liegen, nicht entgegen (…) Toleranz als geistige Haltung, die auf Beachtung, Achtung und Duldsamkeit dem anderen gegenüber in seinem Anderssein, nicht aber auf Belie­bigkeit oder Meinungs­lo­sigkeit gerichtet ist, stellt ein Verfas­sungs­prinzip dar, dessen Gehalt aus verschie­denen Verfas­sungs­be­stim­mungen, insbe­sondere den Grund­rechten, abgeleitet wird“

Wir haben aus der Entscheidung mitge­nommen, dass es a) bei mit ausrei­chender Begründung gewisse Spiel­räume für das Erschei­nungsbild straßen­ver­kehrs­recht­licher Anord­nungen möglich sind, und b) dass auch straßen­ver­kehrs­recht­liche Prozesse in ungeahnte Tiefen des Verfas­sungs­rechts vordringen können. (Olaf Dilling)

2023-01-30T18:50:18+01:0030. Januar 2023|Allgemein, Rechtsprechung, Verkehr|

Überge­winne beim Biogas: Wie gewonnen, so zerronnen!

Nachdem inzwi­schen nähere Details zur Strom­preis­bremse bekannt geworden sind, ist die Biogas­branche in Sorge. Denn aus dem Bundes­wirt­schafts­mi­nis­terium wurde bekannt, dass Überge­winne aus der Solar- und Biogas­branche rückwirkend seit März diesen Jahres zur Finan­zierung der Preis­bremse heran­ge­zogen werden sollen. Nun ist ein wichtiger Vorteil der Verstromung von Biogas die relativ hohe Flexi­bi­lität, mit der auf Schwan­kungen von Bedarf und Angebot auf dem Strom­markt reagiert werden kann. Und gerade jetzt wäre es wichtig, die Kapazi­täten der Biogas­pro­duktion aufzu­stocken, um die Ausfälle beim Erdgas zu kompen­sieren. Entspre­chende Vorschläge gab es bereits; so sollte die jährliche Maximal­pro­duktion bezüglich Biogas­an­lagen ausge­setzt werden. Auch Erleich­te­rungen beim Bau- und Geneh­mi­gungs­recht waren im Gespräch.

Biogasanlagen in agrarischer Landschaft

Aller­dings hat die Flexi­bi­lität der Biogas­ver­stromung ihren Preis: Im Gegensatz zu Wind und Solar reicht nicht die Inves­tition in Anlagen, um dann quasi „umsonst“ frei verfügbare Wind- und Sonnen­en­ergie nutzen zu können. Vielmehr brauchen Biogas­an­lagen Einsatz­stoffe, sprich: z.B. Mais oder Gras, die mit der Inflation und aufgrund der gestie­genen Diesel­preise ebenfalls mehr kosten.

Daher vertritt die Bioen­er­gie­branche die Auffassung, dass die „Überge­winne“ bereits für diese erhöhten Erzeu­gungs­kosten ausge­geben oder reinves­tiert worden seien. Abgesehen davon, dass die Abschöpfung aktuell energie­po­li­tisch kontra­pro­duktiv sei, wird von den Verbänden auch geltend gemacht, dass die rückwir­kende Abschöpfung verfas­sungs­widrig sei.

Das Verbot der Rückwirkung wird aus dem Rechts­staats­prinzip in Art. 20 GG herge­leitet. Verboten ist außerhalb des Straf­rechts aller­dings nur die echte Rückwirkung. Das wäre beispiels­weise eine Steuer­än­derung, die sich für ein bereits abgeschlos­senes Steuerjahr auswirkt. Ob die Erhebung einer Überge­winn­steuer ab März daher bereits eine verbotene Rückwirkung darstellt, ist insofern nicht sicher. Ob die Maßnahme politisch opportun ist, ist eine andere Frage. (Olaf Dilling)

2022-10-28T11:21:46+02:0028. Oktober 2022|Erneuerbare Energien, Gas, Verwaltungsrecht|

Der Kanzler hat das letzte Wort

Seit Wochen schwelt in der Regie­rungs­ko­alition ein Streit zwischen FDP und Grünen, der jetzt durch ein Machtwort des Bundes­kanzlers entschieden wurde. Nun kommt sie wohl also doch, die Verlän­gerung der Laufzeit der letzten Atomkraft­werke, die am Netz verblieben sind. Aller­dings, so der Kompromiss, nur bis Mitte April des kommenden Jahres. Neue Brenn­stäbe und eine mehrjährige Laufzeit­ver­län­gerung, wie von der FDP gefordert, wird es also nicht geben.

Aber wie sieht es verfas­sungs­rechtlich aus? Darf der Kanzler das überhaupt? Oder ist die Richt­linie ein Eingriff in die Zustän­digkeit seiner Minister? Formal begründet hat er seine Entscheidung mit § 1 der Geschäfts­ordnung der Bundes­re­gierung (GO BReg). Demnach bestimmt der Kanzler die Richt­linien der Politik. Sie sind für die Bundes­mi­nister verbindlich und von ihnen in ihrem Geschäfts­be­reich selbständig und unter eigener Verant­wortung zu verwirk­lichen. Das klingt erstmal eindeutig. 

Ein bisschen Grund zum Zweifeln gibt aller­dings die Norm, auf der die Geschäfts­ordnung beruht, nämlich Artikel 65 Grund­gesetz: Hier steht in Satz 3 nämlich, dass über Meinungs­ver­schie­den­heiten zwischen den Bundes­mi­nistern die Bundes­re­gierung entscheidet. Insofern hätte es nahe gelegen, das gesamte Kabinett in die Streit­schlichtung einzu­be­ziehen. Aller­dings ging es bei der Frage der Laufzeit­ver­län­gerung  erkennbar um eine Entscheidung von hohem politi­schen Gewicht, so dass der Kanzler seine Richt­li­ni­en­kom­petenz wohl berech­tig­ter­weise ausgeübt hat (Olaf Dilling).

 

 

2022-10-19T21:03:06+02:0019. Oktober 2022|Allgemein, Energiepolitik|