Bei Durchsicht der Entscheidungen von 2022 zum öffentlichen Verkehrsrecht, ist uns eine besonders skurrile aufgefallen, die wir Ihnen nicht vorenthalten wollen. Die Landeshauptstadt Bayerns hat, inspiriert von Wien, an einigen Lichtzeichenanlagen, vulgo Verkehrsampeln, sogenannte „Streuscheiben“ mit besonderen Motiven angebracht. An sich nichts besonderes in Deutschland, seit dem zu Zeiten der Wiedervereinigung ein Streit darüber entbrannte, ob das alte DDR-Ampelmännchen wirklich mit allem anderen Besonderheiten des real existierenden Sozialismus auf den „Müllhaufen der Geschichte“ wandern sollte. Auch die DDR-Ampelmännchen haben seitdem an einigen Orten, auch im Westen der Republik, politisches Asyl gefunden.
Bei den von Wien nach München importierten Ampelmotiven handelte es sich um keine einzelnen Männchen, sondern durchweg um Pärchen – und zwar sowohl gleichgeschlechtliche als auch gemischtgeschlechtliche. In beiden Fällen mit eindeutigen Zeichen der gegenseitigen Zuneigung, seien es Umarmungen oder Symbole wie Herzen oder „Schmetterlinge im Bauch“. Ein Passant fühlte sich von den Bildern provoziert und erhob Klage vor dem Verwaltungsgericht. Er gab dafür eine Begründung, die wohl mehr über seine Phantasien aussagt als über das, was an den Ampeln dargestellt war. Denn in der Klagebegründung finden sich pädophile Assoziationen, die keine nachvollziehbare Grundlage in den Piktogrammen haben.

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Das hat sowohl das Verwaltungsgericht München, als auch der Bayrische Verwaltungsgerichtshof in der Berufung auch so bewertet, jedenfalls sei aber keine subjektive Betroffenheit des Kläger ersichtlich. Denn er wende sich gar nicht gegen die Anordnung, die mit den Lichtzeichenanlagen getroffen seien, sondern ausschließlich gegen die Art der Darstellung. In dieser würde jedenfalls keine Beschwer liegen.
Eine Verletzung der weltanschaulichen Neutralität des Staates wurde vom Kläger nicht ausdrücklich gerügt. Der Gerichtshof setzt sich jedoch dennoch kurz damit auseinander:
„die Verfassungsordnung ist nicht wertneutral und steht der Förderung von verfassungsrechtlichen Grundwerten, die als solche nicht der parteipolitischen Verfügung unterliegen, nicht entgegen (…) Toleranz als geistige Haltung, die auf Beachtung, Achtung und Duldsamkeit dem anderen gegenüber in seinem Anderssein, nicht aber auf Beliebigkeit oder Meinungslosigkeit gerichtet ist, stellt ein Verfassungsprinzip dar, dessen Gehalt aus verschiedenen Verfassungsbestimmungen, insbesondere den Grundrechten, abgeleitet wird“
Wir haben aus der Entscheidung mitgenommen, dass es a) bei mit ausreichender Begründung gewisse Spielräume für das Erscheinungsbild straßenverkehrsrechtlicher Anordnungen möglich sind, und b) dass auch straßenverkehrsrechtliche Prozesse in ungeahnte Tiefen des Verfassungsrechts vordringen können. (Olaf Dilling)
Das steht im Widerspruch zu diversen anderen Urteilen, z. B. zur Frage, ob alte Geschwindigkeitsbegrenzungen mit einem „km“ im Schild noch Gültigkeit haben. Da gibt es eine – aus meiner Sicht berechtigt – strenge Rechtsprechung. Warum man ausgerechnet LZA nutzen muss, um triviale Vielfaltsbekenntnisse abzugeben, erschließt sich nicht, zumal viele Ampelmännchen der Republik viel schnöder Tourismusmarketing sind.
Die Strenge ist nötig, weil der VT mit flüchtigem Blick erkennen muss, ob es sich um ein amtliches VZ handelt oder nicht und welche Regelung getroffen wird.
Und ganz praktisch: So richtig gut erkennt man die Bildchen in der Praxis eh nicht. Ist nur eine Modewelle, mangels guter Ideen halb gare Ideen anderer abzukupfern.
Ja, in der Regel sind die Zeichen die für Anordnungen konstitutiv sind, streng zu nehmen, aber da ist gerade bei der LZA die detaillierte Gestaltung der Streuscheiben nicht ganz so entscheidend. Wenn zusätzliche Markierungen zur Verdeutlichung angebracht werden, zum Beispiel die durch farbiges Pflaster abgesetzte Fläche eines Sonderwegs (z.B. Fahrradwegs), dann gibt es größere Freiheiten. In dem geschilderten Fall kann ich mir nicht vorstellen, dass es zu Missverständnissen kommt.
Es gibt kein plausiblen Grund, warum man ein Verkehrszeichen (im weiteren Sinne) anders behandeln sollte, als alle anderen. Es gibt ja noch viele andere komische Ideen wie 3D-Zebrastreifen. S. http://www.rsa-online.com/18/3D-Fussgaengerueberweg/3D-Fussgaengerueberweg.htm Wenn man das hier zulässt, dann kommt jemand und führt an, dass man dann doch auch bei „Verkehrsberuhigter Bereich“ ortstypisch anpassen kann, was jemand für eine örtlich sinnvolle Nutzung hält. Vor dem Liegeradladen soll dann VZ 237 ein Liegerad bekommen oder rechtlich sehr folgenreich, dass Sinnbold für Lastenräder.
Bisher sind das meines Wissens nach immer Fußgänger-LZA. Da erschließt sich mir nicht, was Markierungen da helfen sollen.
Gerade in dem Fall oben ist die Gestik nicht mehr eindeutig, erst recht nicht, wenn man nicht so gut sieht. Aber die Bsp. oben sind derart abweichend, dass Sie keine Rechtskraft haben können. Auch Felix Koehl (SVR 12/22) hat Vorbehalte:
Ich kann nur davon abraten, sich von vermeidlich guten Ideen mitreißen zu lassen.