Das 17. Türchen: Wie biogen ist Klärschlamm?
Man lernt nie aus: Dass eine Bundesbehörde ernsthaft einen Prozess über die Zusammensetzung von Klärschlamm führt, hat uns überrascht. Denn woraus soll kommunaler Klärschlamm denn groß bestehen außer aus …. na, Sie wissen schon? Dass die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) sich trotzdem seit November 2021 mit der Städtischen Werke Energie + Wärme GmbH (EWG) aus Kassel über diese Frage vorm Verwaltungsgericht (VG) Berlin streitet (Az.: VG 10 K 363/21), ist aber leider nicht nur naturwissenschaftlich kurios, sondern zeigt auch, wie schwer Unternehmen der Übergang aus der fossilen Vergangenheit in eine fossilfreie Zukunft administrativ gemacht wird.
Das Heizkraftwerk, um das es geht, versorgt Kassel bereits seit 1987 mit Fernwärme und Strom. Es handelt sich um eine hocheffiziente KWK-Anlage, die ursprünglich vorwiegend Braunkohle eingesetzt hat. Braunkohle ist der emissionsintensivste fossile Brennstoff, es lohnt sich insofern klimaschutzpolitisch bei dieser Art Anlagen besonders, die Brennstoffsituation zu verändern. Die Städtischen Werke wollen bis Mitte des Jahrzehnts ganz aus der fossilen Verbrennung aussteigen.
Der Klärschlamm frisch aus der Kanalisation ist jedoch kein geeigneter Einsatzstoff für ein Kraftwerk. Die EWG hat deswegen rund zehn Millionen Euro in eine Klärschlammbandtrocknung und eine Annahme für extern getrockneten Klärschlamm investiert. Der Wirtschaftlichkeitsberechnung für das Projekt lag dabei stets die Annahme zugrunde, dass ein Teil der Maßnahme sich finanziert, weil für biogenes CO2 – anders als für fossiles – keine Emissionsberechtigungen erworben und an die DEHSt abgeführt werden müssen, denn so steht es in der für die Berichterstattung und Abgabe von Zertifikaten maßgeblichen Monitoring-Verordnung der EU.
Was das rein praktisch bedeutet, ist allerdings nicht so konsensual, wie es die EWG angenommen hatte. Die Behörde will laut Leitfaden nämlich nur 80 Prozent des vom Klärschlamm verursachten Kohlendioxids per se als biogen anerkennen und weicht für die Jahre ab 2022 sogar von dieser Linie negativ ab. Um den gesamten Klärschlamm als biogen veranschlagen zu können, verlangt sie aufwändige Testverfahren, die nicht nur erhebliche Kosten, sondern auch einen hohen organisatorischen Aufwand verursachen würden. Die Behörde verlangt zudem ein besonderes Analyseverfahren, die C‑14-Analyse, die in Deutschland nur ein einziges akkreditiertes Labor durchführt und wissenschaftlich nicht einmal unumstritten ist. Dort müsste der Klärschlamm dann erst einmal hingebracht werden, was schon rein faktisch herausfordernd ist, bedenkt man, dass man Klärschlamm nicht einfach in einem Beutel DHL übergeben darf.
Doch ist die Behörde da überhaupt einer naturwissenschaftlich relevanten Sache auf der Spur? Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Gutachten, die sich mit kommunalem Klärschlamm beschäftigen. Keine Überraschung: Ja, es gibt Spuren von fossilem Kohlenstoff auch in dem, was im Abwasserohr landet. Menschen tragen nämlich Kleidung aus Kunstfasern und waschen sich mit Kosmetik aus Erdölprodukten (v. a. Haarspülung), außerdem gelangen immer wieder kleine Mengen Erdöl in Lebensmitteln („Mikroplastik“). Macht das 20 Prozent aus? Die überwältigende Mehrheit der veröffentlichten Gutachten verneint das. In industriellen Klärschlämmen sieht das, je nachdem, was das Industrieunternehmen macht, durchaus ganz anders aus. Aber bei rein kommunalen Klärschlämmen erhöhen solche bürokratischen Anforderungen lediglich den betrieblichen Aufwand und die Kosten, senken damit die Motivation, schnell zu dekarbonisieren. Sie treiben letztlich „nur“die kommunalen Abwassergebühren in die Höhe. Die EWG hofft, dass diese Argumente auch das VG Berlin überzeugen. Und vielleicht unternimmt ja der Gesetzgeber selbst etwas gegen Mikroplastik in Lebensmitteln und Kosmetik.