Der zähe Kampf um den öffentlichen Raum
Der größte Teil des öffentlichen Raums in Deutschland ist als Straßen und Plätze dem Verkehr gewidmet. In diesem Rahmen ist die Gestaltung ganz stark auf Verkehrsziele eingeengt. Dies ergibt sich aus dem Straßenverkehrsrecht, das Einschränkungen des fließenden Verkehrs im Grundsatz von der Verfolgung verkehrsinterner Ziele abhängig macht. Insofern wurden die Spielräume der Verwaltung, insbesondere der Kommunen bei der Planung ihrer örtlichen Angelegenheiten stark eingeschränkt. Inbesondere durch die sogenannte Schilderwaldnovelle, die in der Regel eine qualifizierte Gefahrenlage für Anordnungen für den fließenden Verkehr voraussetzt.
An der Orientierung an Verkehrszwecken haben auch die viele Reformen der StVO kaum etwas geändert. Zwar wurde ein inzwischen zunehmend unübersichtlicher Katalog von Ausnahmen eingeführt. Die Begründung vieler dieser Ausnahmen ist jedoch weiterhin auf Gefahren der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränkt. Statt einer qualifizierten Gefahrenlage wird nun lediglich eine einfache Gefahrenlage gefordert.
Für viele Behörden und manche Gerichte wird in der Praxis kaum zwischen der einfachen und qualifizierten Gefahrenlage differenziert. In beiden Fällen werden „objektive“ Daten gefordert, um die Maßnahme zu begründen. Beispiele sind etwa eine Geschwindigkeitbegrenzung auf Tempo 30 vor einer Schule oder ein Verkehrsversuch mit Umwandlung einer Fahrspur des Innenstadtrings in einen beidseitige Radfahrstreifen ist.
Bei der Schule wären wir – unter Verweis auf die Gesetzgebungsmaterialien – der Auffassung, dass bereits der Zugang von der Schule zur Straße eine Gefahr begründet. Eine weitere detaillierte Begründung der Geschwindigkeitsbegrenzung ist aufgrund der Ausnahme nicht nötig. Lediglich ausnahmsweise können örtliche Gegebenheiten wie Linenbusse oder prognostizierte Ausweichverkehre eine andere Entscheidung begründen. Landratsämter in der oberbayerischen Provinz sehen das mitunter anders: Sie wollen „Blut sehen“, gefordert sind also bereits geschehene Unfälle, die sich in der Unfallstatistik als besonderer Gefahrenschwerpunkt niedergeschlagen haben.
Was den Verkehrsversuch angeht, hat das VG Gießen in einem Eilverfahren darauf beharrt, dass die Stadt für die Einrichtung eines neuen Radwegs auf einem bisherigen Kfz-Fahrstreifen eine Gefahr für Ordnung und Sicherheit des Verkehrs begründen muss. Tatsächlich ist das nach aktueller Rechtslage noch der Fall. Allerdings sollten die Anforderungen an die Begründung nicht überspannt werden. Immerhin geht es um einen Versuch, bei dem erst herausgefunden werden soll, ob eine dauerhafte Sperrung sinnvoll und gerechtfertigt wäre. Die Stadt Gießen könnte insofern in ihrer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof weitere straßenverkehrsbezogene Gründe, also Gefahren für die Sicherheit des Verkehrs oder einen hohen Bedarf für den Radweg, nachliefern und hat dann gute Chancen, dass der VGH die Entscheidung revidiert.
Allerdings geht es der Stadt auch um Klimaschutz und um planerische Aspekte. Diese Gründe für die Einrichtung des Fahrradwegs in Gießen sind bisher nicht zulässig. Möglicherweise wird eine lang erwartete Reform der StVO diese Gründe für die Einrichtung von Fahrradinfrastruktur erlauben und Kommunen so mehr Spielräume verschaffen. Allerdings gibt es dafür erst einen ersten Entwurf vom Verkehrsminsterium, der noch im Ressort und mit dem Bundesrat abgestimmt werden muss.
Das Straßenverkehrsrecht würde dann ein Stück weit für weitere Aspekte geöffnet, am grundsätzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen verkehrsbezogenen Gründen und anderen relevanten Belangen des öffentlichen Raums wird auch diese Reform nichts ändern. (Olaf Dilling)