Fernwärme: Zur Entscheidung des LG Hamburg (312 O 577/15)
Kann ein Fernwärmeversorger Preisgleitklauseln per Veröffentlichung ändern? Die Branche war lange davon überzeugt. Dann entschied letztes Jahr das OLG Frankfurt mit Urteilen vom 21.3.2019, Az. 6 U 191/17 und 6 U 190/17 (hierzu hier), dies sei nicht möglich. Der Kunde müsste stets zustimmen. Änderungen des Fernwärmeliefervertrags per Veröffentlichung nach § 4 Abs. 2 AVBFernwärme seien nicht einseitig möglich. Die Branche war geschockt. Derzeit läuft ein Revisionsverfahren vorm BGH.
Eine weitere Entscheidung schlägt nun nicht nur in dieselbe Kerbe, sondern geht in ihren Konsequenzen noch deutlich weiter: Mit Urteil vom 29.11.2019 (312 O 577/15) verurteilte das LG Hamburg die Hansewerk Natur GmbH auf Betreiben der Verbraucherzentrale Hamburg in teilweise vergleichbarer Sache:
Das LG Hamburg schließt sich dabei zunächst der Ansicht des OLG Frankfurt an, dass eine Änderung von Fernwärmelieferverträgen per Veröffentlichung nicht möglich sei. Da die Hansewerk dies aber in einem Anschreiben an ihre Kunden suggeriert habe, ohne deutlich zu machen, dass es sich um eine jedenfalls nicht einhellige Rechtsansicht handelt, bejahte die Kammer eine wettbewerbswidrige Irreführung. Nach Ansicht des LG Hamburg ist die Hansewerk nicht nur verpflichtet, dies für die Zukunft zu unterlassen. Die mit dem bemängelten Schreiben mitgeteilte Änderung der Preisklauseln und Preise sei konsequenterweise unwirksam. Ein späteres, wohl zur Risikominimierung versandtes Schreiben, in dem der Versorger den Kunden mitteilte, es gebe über die Wirksamkeit einseitiger Klauseländerungen unterschiedliche Ansichten und deswegen bitte er vorsichtshalber um die Zustimmung der Kunden, war dem Gericht nicht deutlich genug. Die Kunden wären nicht eindeutig darüber aufgeklärt worden, dass ohne ihr Einverständnis keine Klauseländerung stattfinden würde.
Die Unwirksamkeit der Klauseländerung und der damit verbundenen Preisanpassungen ist für einen Versorger unangenehm genug. Kunden könnten möglicherweise überobligatorisch gezahlte Gelder zurückfordern. Doch im konkreten Fall forderte und erhielt die Klägerseite noch mehr: Um die vom Gericht vermisste Klarheit auf Kundenseite herbeizuführen, wurde der Versorger verurteilt, alle betroffenen Kunden mit einem „Berichtungsschreiben“ anzuschreiben, dessen Wortlaut im Urteilstenor vorgegeben wird. Hier soll es unter anderem heißen:
„Wir stellen richtig:
Zu der von uns beabsichtigten. einseitigen Änderung der Preisgleitklauseln in Ihrem Wärmelieferungsvertrag waren wir nicht berechtigt. Die einseitig abgeänderten Preisgleitklauseln sind daher unwirksam. An ihrer Stelle gelten die Preisgleitklauseln, die zur Zeit unseres oben erwähnten Schreibens Vertragsbestandteil waren, unverändert fort.“
Außerdem sind der Verbraucherzentrale die betroffenen Kunden in einer Tabelle mitzuteilen.
Für den Versorger ist die Entscheidung natürlich ein Desaster ersten Ranges, und auch für die Branche insgesamt nicht beruhigend. Derzeit läuft zwar noch ein Berufungsverfahren beim OLG Hamburg (3 U 192/19). Doch die Versorger müssen sich insgesamt auf verschärfte Rahmenbedingungen im Fernwärmesegment einstellen. Das bedeutet: Verträge müssen regelmäßiger als bisher überprüft und Änderungen mit unmissverständlichen Schreiben an die Kunden begleitet und einvernehmlich vorgenommen werden (Miriam Vollmer).