Fragen Sie sich auch manchmal, warum das Thema der Luftqualität in Innenstädten die Politik und das Recht solange in Atem gehalten hat? Wieso passiert nicht genausoviel bei anderen dringlichen Umweltproblemen, wie etwa die schleichende Infiltrierung des Trinkwassers mit gesundheitschädlichen Stoffen, etwa Nitrat oder Pestiziden?
Erlauben Sie uns, mit der Antwort etwas weiter auszuholen: Die Durchsetzung des europäischen Umweltrechts beruht im besonderen Maß auf der Initiative von Bürgern und Verbänden. Schließlich hat Brüssel in den Mitgliedstaaten keinen eigenen Verwaltungsunterbau, der sich darum kümmert. Die Möglichkeiten, Rechte vor Gericht geltend zu machen, sind daher häufig ausschlaggebend dafür, ob umweltrechtliche Vorgaben überhaupt ernst genommen werden. Die Klagewelle für effektive Luftreinhaltung in deutschen Innenstädten, die zu dem von uns bereits mehrfach thematisierten Fragen der Diesel-Fahrverbote geführt hat, zeigt dies deutlich: Dass es ein relativ kleiner Verband, die Deutsche Umwelthilfe, geschafft hat, die Politik seit Jahren vor sich herzutreiben, wurde durch eine Erweiterung der Klagemöglichkeiten vorbereitet.
Die entscheidende Wegmarke war die Entscheidung Janecek gegen Freistaat Bayern des EuGH. In dieser Entscheidung hatte der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek geklagt, der zugleich Anwohner des Mittleren Rings ist, einer der Hauptverkehrsadern der Münchener Innenstadt. Der EuGH stellte in der Entscheidung klar: Unmittelbar betroffene Bürger können bei Gefahr der Überschreitung von Grenzwerten der Luftqualitätsrichtlinie (LQRL) die Regierung auf Erstellung eines Aktionsplans verklagen.
Anders als bei der Luftqualität war die individuelle Einklagbarkeit von Nitrat-Grenzwerten im Wasserrecht bislang unklar. Anfang dieses Monats hat der EuGH nun entschieden, dass auch der Grenzwert für Nitrat im Grundwasser, der bei 50 mg/l liegt, individuell eingeklagt werden kann. Diesmal kam die Vorlagefrage von einem österreichischem Verwaltungsgericht. Geklagt hatten ein kommunaler mit der Wasserversorgung beauftragter „Wasserleitungsverband“, eine Gemeinde und ein individueller Brunnenbesitzer aus dem Burgenland. Da das örtliche Trinkwasser schwankende Nitratwert von bis über 70 mg/l aufweist, hatten die Kläger auf Änderung einer Verordnung geklagt, dem sogenannten „Aktionsprogramm Nitrat 2012“, mit dem die Vorgaben der Nitratrichtlinie umgesetzt werden sollten. Der EuGH hat entschieden, dass die zuständigen Behörden unter bestimmten Bedingungen von betroffenen Bürgern oder Verbänden dazu verpflichtet werden können, ein Aktionsplan zu ändern oder weitere Maßnahmen zu erlassen. Ähnlich wie in der Janecek-Entscheidung reicht dafür auch schon eine drohende Überschreitung.
Fazit: Für Wasserversorger, und für Besitzer privater Brunnen könnte sich diese Entscheidung als bedeutsam erweisen. Denn bislang mussten sie bei Grenzwertüberschreitungen immense Kosten für die Aufbereitung zahlen oder ganz auf die Nutzung ihre Brunnen verzichten. Nunmehr stehen rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, den Staat – und damit indirekt die mehrheitlich landwirtschaftlichen Verursacher – zur Einhaltung der Grenzwerte zu bringen.
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