Tausend Jahre wie ein Tag

Erinnern Sie sich an Bad Herrenalb und den fast 30 Jahre nach Anschluss ans Abwas­sernetz versandten Beitrags­be­scheid? Da dachten Sie auch noch, sowas käme höchstens mal ganz ausnahms­weise vor, haben wir recht? Ist aber offenbar nicht so. Denn ansonsten hätte das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) nicht mit Beschluss vom 06.09.2018 – 9 C 5.17 – dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob das Kommu­nal­ab­ga­ben­gesetz Rheinland-Pfalz (KAG), das die Erhebung von Erschlie­ßungs­bei­trägen zeitlich unbegrenzt nach der beitrags­pflich­tigen phyischen Erschließung erlaubt, mit dem Rechts­staats­prinzip eigentlich vereinbar ist.

In dem Fall, um den es geht, focht ein Grund­stücks­ei­gen­tümer Erschlie­ßungs­bei­trags­be­scheide aus 2011 an. Die Beiträge bezogen sich auf die Grund­stücks­er­schließung für eine Straße, die 1986 gebaut wurde, also mehr als 25 Jahre vor dem Betragsbescheiderlass.

Eigentlich darf man so lange nach Entstehung einer Vorteilslage keine Beitrags­be­scheide mehr schicken. Aber hier war die Vorteilslage 1986 zwar technisch, aber noch nicht rechtlich entstanden. Denn erst 2007 hatte die Stadt die Straße dem öffent­lichen Verkehr gewidmet. Erst diese Widmung erschloss die Straße in baurecht­licher Hinsicht ganz, so juris­tisch erst 2007 die Voraus­set­zungen für einen Beitrags­be­scheid entstanden waren, der dann – weniger als die entschei­denden vier Jahre später – 2011 folgte.

Der Adressat – wie wir auch – sah das aber anders. Denn was ist schon eine Widmung? Der Anwohner bekommt den Bau einer Straße mit, ob und wann gewidmet wird, entzieht sich ihm regel­mäßig. Für ihn fühlt sich eine um Jahrzehnte verzö­gerte Widmung und anschlie­ßende Beitrags­er­hebung an, als seien Geldfor­de­rungen des Staates nach Jahrzehnten vollends überra­schend und komplett unvor­her­sehbar vom Himmel gefallen. Nach ständiger Recht­spre­chung des BVerfG ist die Belas­tungs­klarheit und –vorher­seh­barkeit aber eine zwingende Voraus­setzung einer wirksamen Beitragserhebung.

Das BVerwG hat die Frage nach der Wirksamkeit der keine entspre­chende Verjährung vorse­henden Regelung des Kommu­nal­ab­ga­ben­ge­setzes des Landes dem BVerfG also in der Erwartung vorgelegt, dass dieses sie für nichtig erklärt und dem Landes­ge­setz­geber aufgibt, hier eine zeitliche Obergrenze zu schaffen. Gemeinden sind aber schon heute aufge­rufen, Grauzonen und Unsicher­heiten im eigenen Interesse zu vermeiden: Wenn sie etwas geleistet haben, wofür sie Beiträge haben wollen, sollten sie schnell die recht­lichen Voraus­set­zungen schaffen und sodann Bescheide versenden. Ansonsten kann es sein, dass der Bürger nicht nur verstimmt ist, sondern erfolg­reich klagt.

2018-09-10T08:37:49+02:009. September 2018|Verwaltungsrecht|

Wir wissen, wo dein Auto steht

Mit einem inter­es­santen und sicherlich kontro­versen Gutachten belebt der Thinktank Agora unter Mitarbeit der früheren Kollegen von Kollegin Vollmer die Debatte um urbane Mobilität. Ausgehend von der Analyse, dass die Städte unter dem ruhenden Autoverkehr leiden, beschäftigt sich das aktuelle Gutachten mit der Frage, was Städte heute schon tun können, um die Lebens­qua­lität dadurch zu steigern, dass der knappe städtische Raum nicht in erster Linie zugeparkt wird. Und mit der Frage, was der Gesetz­geber noch tun muss, um Kommunen mehr Möglich­keiten einzu­räumen, mit dem parkenden Auto als Problem fertig zu werden.

Zu Recht weisen die Gutachter auf die schon heute – in Grenzen – bestehende Möglichkeit hin, im Rahmen straßen­recht­licher Widmungen nur bestimmte Verkehrs­arten zuzulassen. Weiter fordern sie, Parkplätze zu reduzieren. Auch das dürfen Gemeinden heute schon. Die Idee dahinter: Wenn es weniger Parkplätze in der Innen­stadt gibt, steigen mehr Verkehrs­teil­nehmer auf andere Verkehrs­mittel wie Fahrräder, den ÖPNV oder die eigenen Füße um.

Weiter weisen die Gutachter darauf hin, dass Parken heute zu billig ist. Parkge­bühren müssten deutlich steigen. Außerdem sollten Carsharing-Angebote attrak­tiver werden, etwa durch mehr exklusive Stell­plätze. Weiter weist das Gutachten darauf hin, dass Carsharing allein die Lebens­qua­lität zwar verbessert, weil mehr Menschen sich weniger Autos teilen, aber noch Potenzial im Hinblick auf die Emissi­ons­si­tuation besteht. Kommunen sollten auf eine Elektri­fi­zierung der Flotten hinwirken.

Gleich­zeitig weisen die Gutachter aber auch darauf hin, dass vieles, was sie für wünschenswert halten, heute noch nicht möglich ist. Hier setzt der Gesetz­geber noch absolute Grenzen. Eine Forderung an die Politik ist deswegen, den Rechts­rahmen sowohl im Bund, als auch in den Ländern dahin­gehend zu ändern, nicht mehr vom privat genutzten PKW als Normalfall auch urbaner Mobilität auszu­gehen. Parken dürfe kein Grund­recht mehr sein. In diesem Punkt ist das Gutachten revolu­tionär: Heute ist Parken erlaubt, es sei denn, es ist verboten. Die Autoren wollen dieses Verhältnis umdrehen: Parken soll nur dort ausnahms­weise gestattet sein, wo es ausdrücklich angeordnet ist. Überdies soll der Gesetz­geber die jährliche Maximal­gebühr fürs Bewoh­ner­parken drastisch anheben. Derzeit sind nur maximal 30,70 EUR erlaubt. Das sei zu wenig.

Im Gegenzug soll das stationäre Carsharing mehr Rechts­si­cherheit erfahren. Der Mecha­nismus ist klar: Die urbanen Bürger sollen mehr für das eigene Auto bezahlen, dafür mehr Komfort für Gemein­schafts­lö­sungen erhalten. Dies gilt sowohl für stationäre, als auch für beweg­liche Lösungen.

Was halten wir davon? Zumindest in den urbanen Ballungs­räumen ist der Ansatz mehr als verständlich. Die zuneh­mende Verdichtung urbaner Räume verlangt nach einer Auflösung des Nutzungs­kon­flikts um den begrenzten Raum. Die Autos von Innen­stadt­be­wohnern, die teilweise nur wenige Stunden in der Woche überhaupt bewegt werden, sind durchaus ersetzbar und sollten auch ersetzt werden, um anderen Nutzungen Platz zu machen.

Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass der städtische Raum nicht nur von den Innen­stadt­be­wohnern genutzt wird. Gerade in Zeiten steigender Mieten und Grund­stücks­preise sind mehr und mehr Bürger darauf angewiesen, teilweise lange Strecken in die Städte zu fahren, um zu arbeiten, Dienst­leis­tungen wie Arztbe­suche oder auch kultu­relle Angebote zu nutzen. Sicherlich ist nicht jeder Pendler zwingend darauf angewiesen, bis zu seinem Arbeits­platz in den Innen­stadt­be­zirken mit dem Auto zu fahren. Park-and-Ride-Lösungen werden weniger genutzt, als dies heute möglich wäre. Aller­dings darf nicht übersehen werden: Alle zusätz­lichen Hürden für den Pendler belasten tenden­ziell eher denje­nigen, der sich das Wohnen in den teuren Innen­städten nicht mehr leisten kann. Auch, wenn er „nur“ Bequem­lichkeit verliert, dürfen neue Mobili­täts­lö­sungen nicht einseitig den wohlha­benden Stadt­bürger und seine Wünsche in den Blick nehmen. Alles andere würde als unsozial empfunden. 

2018-09-06T19:29:08+02:006. September 2018|Allgemein, Vertrieb|

Verschleppt, gelöscht: Emissi­ons­be­rech­ti­gungen am Ende der 2. HP

Das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) hat sich Zeit gelassen: Am 26. April 2018 hat das höchste deutsche Verwal­tungs­ge­richt die Revision eines Anlagen­be­treibers zurück­ge­wiesen, der zuvor schon vor Verwal­tungs­ge­richt und Oberver­wal­tungs­ge­richt erfolglos einen Mehrzu­tei­lungs­an­spruch bezogen auf Emissi­ons­be­rech­ti­gungen geltend gemacht hat. Erst jetzt liegen die Gründe vor.

Materiell ging es um eine sicherlich nur für wenige Unter­nehmen relevante Frage der richtigen Bench­mark­be­stimmung. Was den Fall aber inter­essant für viele machte: Während des laufenden Verfahrens endete die 2. Handel­s­pe­riode. Die Zerti­fikate der zweiten Handel­s­pe­riode wurden umgetauscht. Wer gestern noch Berech­ti­gungen der zweiten Handel­s­pe­riode hatte, fand heute also solche der dritten Handel­s­pe­riode vor. Das musste doch auch für unerfüllte Zutei­lungs­an­sprüche gelten. Oder?

Wer den Emissi­ons­handel schon länger verfolgt, erinnert sich. Recht kurzfristig vor dem Ende platzte die Bombe: Die Deutsche Emissi­ons­han­dels­stelle (DEHSt) ging vom Erlöschen der ungeklärten Zutei­lungs­an­sprüche aus, die noch bei Gericht oder gar bei der Behörde lagen. Für viele Betreiber war das ein Schock. Sie hatten – oft gegen die Kürzung der Zuteilung zu Verstei­ge­rungs­zwecken – Wider­spruch eingelegt, der lange bei der DEHSt lag. Sie hatten geklagt, nachdem endlich Wider­spruchs­be­scheide vorlagen. Jahre waren vergangen, während einige Muster­ver­fahren sehr langsam von den Gerichten abgear­beitet wurden. Nicht zuletzt, weil die Behörde sich Zeit gelassen hatte. Und nun sollte der Behörde ihre zöger­liche Abarbeitung den Sieg vor Gericht eintragen?

Doch die Gerichte – auch das BVerwG – bestä­tigten die Ansicht der DEHSt. Dass schon zugeteilte Berech­ti­gungen umgetauscht werden, weist in den Augen der Richter nicht darauf hin, dass das auch für unerfüllte Zutei­lungs­an­sprüche gelten sollte. Es handele sich auch beim Anspruch nicht um ein wesens­gleiches Minus zur Berech­tigung selbst. Auch eine Analogie sah das Gericht nicht, weil es keine Regelungs­lücke erkannte. Das sei auch nicht verfas­sungs­widrig, insbe­sondere sei der Untergang notwendig, weil für die Funkti­ons­fä­higkeit und Wirksamkeit des Emissi­ons­han­dels­systems ein bilan­zi­eller Abschluss nötig sei. Das sei auch nicht proble­ma­tisch, weil es die Klägerin auf den – nur summa­ri­schen, also nicht genauso gründ­lichen – Eilrechts­schutz verwiesen hätte, und auch nicht unionsrechtswidrig.

Für die Anlagen­be­treiber ist dies bedau­erlich. Viele hatten sich mit guten Argumenten auf einen Rechts­streit einge­lassen und erleben es als ausge­sprochen ärgerlich, dass es der Behörde gelungen war, allein durch Zuwarten den Anspruchs­un­tergang auszulösen.

2019-10-25T15:45:43+02:005. September 2018|Allgemein, Emissionshandel|