Facebook vs. Hasskommentare
Stichwort Drittwirkung: Grundrechte, wie etwa die Meinungsfreiheit, richten sich bekanntlich in erster Linie gegen den Staat. Der Staat muss also auch in den Grenzen von Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Meinungsfreiheit gewähren und darf Leute, die etwa Angela Merkel nicht mögen, nicht einfach den Mund verbieten. Der Wirt des Gasthauses „Zum dicken Hund“ dagegen darf Menschen, deren Meinung ihm missfällt, in Ausübung seines Hausrechts zur Tür geleiten.
Im Internet ist es dagegen deutlich differenzierter. Wenn wir als Betreiber eines kleinen juristischen Blogs einzelne Kommentare nicht freischalten (was wir noch nie getan haben) würde das die Meinungsfreiheit der Betroffenen kaum einschränken. Sie könnten sich woanders ebenso Gehör verschaffen. Anders sieht es aber aus, wenn große soziale Netzwerke, vor allem Facebook, Nutzer aussperren oder Kommentare löschen. Denn faktisch verliert jemand, der Facebook nicht mehr nutzen kann, ganz erheblich an Reichweite. Deswegen greift hier die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die dieses bereits in den fünfziger Jahren in der Entscheidung Lüth entwickelt hat. Nach dieser Theorie der sogenannten „mittelbaren Drittwirkung“ strahlen die Grundrechte, also auch die Meinungsfreiheit, über die Generalklausel des bürgerlichen Rechts auch auf die Auslegung zivilrechtlicher Normen aus, die zwischen Privatpersonen gelten. Über diesen etwas umwegigen Mechanismus muss auch Facebook also die Meinungsfreiheit seiner Nutzer in gewissem Rahmen gewährleisten. Gleichzeitig hat natürlich auch das Unternehmen Facebook Grundrechte, die es geltend machen kann. Die Abwägung ist also kompliziert.
Eine interessante Entscheidung aus diesem Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und dem digitalen Hausrecht sozialer Netzwerke hat das Landgericht (LG) Frankfurt am 10.9.2018, Az.: 2–03 O 310/18, getroffen. Hier hat ein Nutzer von Facebook einen Artikel der Zeitung „Welt“ kommentiert. Er schrieb:
„Wasser marsch, Knüppel frei und dann eine Einheit Militärpolizisten! Dann ist schnell Ruhe! Und jeden ermittelten Gast Merkels ab in die Heimat schicken.“
Nun darf man bei Facebook nicht unbegrenzt anderen Leuten Prügel an den Hals wünschen. Facebook unterhält nämlich Verhaltensregeln für die Nutzer in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). In diesen AGB sind auch solche Hassreden als unzulässig erfasst. Doch aus der schon erwähnten mittelbaren Drittwirkung resultiert eine besondere Bindung. Auf diese berief sich auch der Antragsteller. Seiner Ansicht nach muss Facebook jeder Ansicht dulden, die eine gemessen an Art. 5 Abs. 1 GG noch zulässige Meinungsäußerung darstellt. Er wandte sich deswegen gerichtlich gegen die Sperre.
Die Kammer des LG Frankfurt folgte dem jedoch nicht. Zunächst stimmte sie ihm zwar zu, dass seine Meinung eine Meinungsäußerung darstelle. Es handele sich auch nicht um Schmähkritik. Mithin sei die Äußerung des Antragstellers durchaus von Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz erfasst und damit gegen staatliche Eingriffe in gewissem Maße geschützt. Gleichzeitig unterfällt sie aber auch dem Verbot von Hassreden in den AGB von Facebook.
Im vorliegenden Fall überwogen nach Ansicht der Kammer die Interessen von Facebook an der Löschung und Sperrung. Facebook habe nämlich ein legitimes Interesse am geregelten Betrieb der Plattform und der Ermöglichung von freier Rede für alle Nutzer. Dieses Interesse wird durch Hassreden gestört. Die Kammer argumentiert weiter, dass der Antragsteller sich schließlich an anderer Stelle durchaus noch äußern könne, nur bei Facebook sei das vorübergehend nicht mehr möglich. Der Eingriff in seine Rechte sei deswegen nicht so tief greifend wie bei einer Unterlassungsverfügung oder gar einer Kriminalisierung. Angesichts der Bedeutung von Facebook sei der Eingriff zwar erheblich, aber eben weniger schwerwiegend als die Nachteile, die Facebook drohen, wenn es Hassreden unsanktioniert stehen lassen müsste. Im Ergebnis blieb es deswegen dabei: Die Sperre wurde aufrechterhalten.
Insgesamt erscheint die Entscheidung des LG Frankfurt ausgewogen. Insbesondere der Umstand, dass nicht nur die Belange von Facebook und des gesperrten Hasskommentators in die Abwägung eingestellt werden. Sondern auch die anderen Nutzer, deren Nutzung durch solche Kommentatoren nicht unwesentlich gestört wird, ist überzeugend. Schließlich leben soziale Plattformen von einer breiten Partizipation unterschiedlichster Stimmen, nicht nur der lautesten Schreihälse. Es bleibt gleichwohl abzuwarten, wie sich die Gerichte in den nächsten Monaten und Jahren positionieren. Vorerst ist die Rechtsprechung noch uneinheitlich, es verdichtet sich aber der Eindruck, dass gerade bei marktbeherrschenden sozialen Plattformen ein Maßstab zu gelten hat, der deutlich mehr Duldungspflichten vorsieht, als beim Gastwirt “Zum dicken Hund“, aber doch deutlich weniger, als der Staat an Meinungsäußerungen stehen lassen muss.