Fahrverbot erst ab 50 Mikrogramm?

Die Bundes­re­gierung will, dass Fahrverbote in der Regel nur in Gebieten in Betracht kommen, in denen die Belastung durch Stick­stoff­dioxid 50 µg/Kubikmeter Luft im Jahres­mittel überschreitet. Soweit, so gut. Das Problem an der Sache: In der Richt­linie 2008/50/EG über Luftqua­lität und saubere Luft für Europa ist nicht von 50 µg, sondern von 40 µg die Rede. Und in Art. 13 Abs. 1 Unter­absatz zwei dieser Richt­linie heißt es, dass die in Anhang XI festge­legten Grenz­werte für Stick­stoff­dioxid und Benzol von dem dort festge­legten Zeitpunkt an nicht mehr überschritten werden dürfen. Der dort festge­legte Zeitpunkt war der 1. Januar 2010.

Die Bundes­re­gierung hält die zusätz­lichen zehn µg trotzdem für zulässig. Sie geht offenbar davon aus, dass ein so einschnei­dender Schritt wie ein Fahrverbot aufgrund seines Charakters als aller­letzte Möglichkeit zur Einhaltung der Grenz­werte nicht schon bei jeder Überschreitung, sondern nur bei schweren Überschrei­tungen in Frage kommt. Dass das Fahrverbot nicht ein belie­biges Mittel, sondern die aller­letzte Waffe zur Durch­setzung der Luftqua­lität ist, hat das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt im Februar klargestellt.

Doch kann eine faktische Anhebung des Grenz­werts richtig sein? Die Frage nach dem richtigen Instrument zur Durch­setzung der Luftqua­lität hat nichts mit dem Ziel an sich zu tun. Mit anderen Worten: Dass nicht gleich alle denkbaren Maßnahmen ergriffen werden dürfen, ändert den Zielwert rein gar nicht. Und die Richt­linie enthält auch keine Regelung, auf die die Bundes­re­publik eine Grenz­wert­ab­wei­chung stützen könnte. Dass Grenz­wert­über­schrei­tungen an sich bereits Verlet­zungen von Art. 13 der Richt­linie darstellen, hat der EuGH im Übrigen bereits Bulgarien ins Stammbuch geschrieben. Wenn dem so ist, dann muss die Bundes­re­publik alles tun, damit die 40 µg gehalten werden, notfalls eben per Fahrverbot.

Es spricht also Einiges dafür, dass das Vorgehen der Bundes­re­gierung vielleicht den Zeitgewinn dient, aber dem scharfen Blick der Gemein­schafts­ge­richte mit einiger Wahrschein­lichkeit nicht gewachsen sein wird.

2018-10-31T00:15:29+01:0031. Oktober 2018|Verkehr|

Waffen­gleichheit im Wettbe­werbs­prozess: Zu den Entschei­dungen des BVerfG vom 30.09.2018

Aber was hat mit mir zu tun, werden Sie sich fragen, wenn Sie die Entschei­dungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG) vom 30.09.2018 (Beschl. v. 30.09.2018, Az. 1 BvR 1783/17; 1 BvR 2421/17) lesen. Sie sind schließlich kein Jurist, und wer wem was im Zivil­prozess vorzu­legen hat, ist ihnen deswegen eigentlich egal. Überhaupt, diese Juristen immer. Mit ihren Säcken Papier. Ob die das eigentlich selber alles lesen?

Diese Entscheidung ist aber auch für Sie nicht egal. Da geht es zwar vorder­gründig um die Presse, und sie haben ja gar keine Zeitung, sondern machen – das nehmen wir jetzt einfach mal so an – etwas mit Energie. Gleichwohl mahnen auch Sie gelegentlich ab. Oder Sie werden abgemahnt. Meistens geht es dabei um wettbe­werbs­recht­liche Fragen. Die Konkurrenz erzählt zB Unwahr­heiten über Sie. In unserer Praxis geht es dabei oft auch um Kontakt­auf­nahmen ohne Einwil­ligung oder unzulässige AGB. Ab und zu schlagen sich die Werke auch um energie­spe­zi­fische Fragen rund ums Unbundling, Wechsel­pro­zesse usw.

Wenn unsere Mandanten sich gegen Wettbe­werber zur Wehr setzen, mahnen wir meistens schon ab, damit Sie nicht auf Kosten sitzen­bleiben, wenn die Gegen­seite sofort die gefor­derte Unter­las­sungs­er­klärung abgibt. Manchmal reichen Abmah­nungen auch schon, damit wieder Ruhe ist. Aber gelegentlich ziehen wir auch vorwar­nungslos vor Gericht oder unserer Mandant­schaft wird aus vorgeblich heiterem Himmel eine einst­weilige Verfügung vom Gericht zugestellt, die ein Konkurrent erwirkt hat. Manchmal hat man auch abgemahnt, dann hat die Gegen­seite sich aber nicht unter­worfen, man beantragt einen möglichst umfas­senden Unter­las­sungs­titel im Eilrechts­schutz, und den bekommt man dann eben auch. Ganz oft ohne dass die Gegen­seite vor Erlass noch einmal Gelegenheit zur Stellung­nahme schriftlich oder in einer mündlichen Verhandlung bekäme.

Dieser verbrei­teten Praxis hat das BVerfG nun zumindest teilweise ein Ende gesetzt. Gestützt auf die prozes­suale Waffen­gleichheit und das Recht auf recht­liches Gehör aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG fordert der 1. Senat, dass der Gegner sich im Verfahren erklären kann, entweder in einer mündlichen Verhandlung oder schriftlich, wenn das wegen begrün­deter Eile nicht möglich ist. Wenn abgemahnt wurde und schnell geklagt wurde, reichen die Reakti­ons­mög­lich­keiten – also vor allem die Möglichkeit, eine Schutz­schrift einzu­reichen – nur aus, wenn der Eilantrag inhaltlich nicht über die Abmahnung hinaus geht und die Reaktion des Abgemahnten dem Gericht auch vorgelegt wird. Mit anderen Worten: Die Gegen­seite muss wissen, dass da etwas unterwegs ist, und sie muss sich dazu äußern können, und wenn sie das tut, muss das Gericht dies wissen und berück­sich­tigen, bevor es einen Beschluss erlässt. Auch nicht uninter­essant: Wenn das Gericht einen Hinweis erlässt, hat der beiden Seiten zuzugehen, nicht nur – wie bisher verbreitete Praxis – dem Antragsteller.

Aber was hat das nun mit Ihnen zu tun? Ihnen vermitteln die neuen Entschei­dungen ein Stück mehr Sicherheit, dass Sie nicht aus heiterem Himmel Unter­las­sungs­titel erhalten, die sie dann erst wieder aus der Welt schaffen müssen. Wir begrüßen die Beschlüsse deswegen, auch wenn wir mögli­cher­weise als Angreifer in Zukunft unsere Beschlüsse nicht so schnell bekommen werden wie bisher.

2018-10-30T09:06:06+01:0030. Oktober 2018|Wettbewerbsrecht|

Im vorläu­figen Rechts­schutz: Kammer­ge­richt stoppt Vergabe für Stromnetz Berlin nicht

Erinnert sich noch jemand daran, dass der Betrieb des Strom­netzes Berlin neu vergeben werden sollte? Im Jahre 2011 hatte das Land das Verga­be­ver­fahren für sein Stromnetz initiiert, da die Konzes­sionen für Strom und Gas im Dezember 2014 auslaufen sollten. Seitdem ist viel Wasser die Spree herun­ter­ge­flossen. Heute immerhin hat das Kammer­ge­richt Berlin in zweiter Instanz schon einmal – im sog. „Eilver­fahren“ – beschlossen, dass das Konzes­sio­nie­rungs­ver­fahren nicht gestoppt wird. Hinter­grund ist ein Antrag auf Unter­bre­chung des Verfahrens gem. § 47 V EnWG im einst­wei­ligen Rechts­schutz, mit dem Vattenfall gegen das Land Berlin bereits letztes Jahr vor dem Landge­richt unter­legen war.

Vattenfall hatte seinen Antrag mit Rügen gegen die Auswahl­kri­terien begründet. Diese seien diskri­mi­nierend und intrans­parent. Das Verfahren solle bis zur Erstellung neuer, recht­mä­ßiger Kriterien ausge­setzt werden. Demge­genüber hat das Gericht nun entschieden, dass nicht festzu­stellen sei, dass die von dem Land Berlin formu­lierten Anfor­de­rungen an die Eignung der Bieter in dem gegen­wär­tigen Verfah­rens­stadium gegen das Diskri­mi­nie­rungs­verbot oder das Trans­pa­renz­gebot verstießen. Die in den Verfah­rens­briefen angege­benen Kriterien und Vorgaben für die Auswahl des künftigen Konzes­sionärs seien weder intrans­parent noch diskriminierend.

Durch die Novelle des Energie­wirt­schafts­ge­setzes von 2017 sollen sich Beschwerden bezüglich der Konzes­si­ons­vergabe stärker auf das Verfahren und nicht nur auf das Auswahl­er­gebnis beziehen. Dadurch sollte verhindert werden, dass der unter­legene Bieter in der gericht­lichen Anfechtung der endgül­tigen Auswahl­ent­scheidung eine umfas­sende Überprüfung verlangen kann. Den verschie­denen Stufen des Verga­be­ver­fahrens entsprechen nach der neuen Rechtslage Rügeo­b­lie­gen­heiten, die, wenn sie ungenutzt verstreichen, zum Ausschluss der Rügemög­lichkeit führen (Präklusion). Wegen dieser Präklu­si­ons­wirkung hat das Kammer­ge­richt, anders als das erstin­stanzlich mit dem Antrag befasste Landge­richt, das Verfahren auf die gerügten Verstöße nicht nur überschlägig, sondern umfassend und detail­liert geprüft. Zugleich wurden Rügen, die den späteren Verfah­rens­schritt der Auswahl des Betreibers betrafen, wie z.B. das Vorbringen, die Verga­be­stelle sei nicht neutral, der landes­eigene Betrieb werde bevorzugt und das Land Berlin missbrauche seine Markt­macht, (noch) nicht zum Gegen­stand der Prüfung durch das Kammer­ge­richt gemacht.

Am wenigsten dürfte die fortdau­ernde Verzö­gerung Vattenfall stören. Denn der Energie­konzern hält aktuell die Konzession und fährt satte Gewinne ein, solange das Stromnetz Berlin noch nicht ander­weitig vergeben worden ist. Nun sollte der Auswahl des künftigen Netzbe­treibers im Prinzip nichts mehr entge­gen­stehen, oder etwa nicht? Nun, mit Vattenfall konkur­riert Energie Berlin, ein landes­ei­gener Betrieb. Das Ergebnis der Vergabe wird insofern mit Spannung erwartet – oder genauer gesagt… der Ausgang des nun wohl noch zu erwar­tenden Eilver­fahrens hinsichtlich der Auswahl­ent­scheidung. Der Terminus vorläu­figer Rechts­schutz dürfte durch die Novelle des Energie­wirt­schafts­ge­setzes eine ganz neue Bedeutung bekommen.

2018-10-25T18:18:59+02:0025. Oktober 2018|Industrie, Strom|