Muster­fest­stel­lungs­klage des vzbv wegen BEV-Boni

Der Bundes­verband der Verbrau­cher­zen­tralen (vzbv) hat eine Muster­fest­stel­lungs­klage angemeldet. Diesmal geht es um Energie:

Anfang des Jahre ist die BEV Bayerische Energie­ver­sor­gungs­ge­sell­schaft mbH (BEV) insolvent geworden. Sie hatte rund 60.000 Kunden durch teilweise hohe Bonus­ver­sprechen geködert. Die BEV bzw. ihr Insol­venz­ver­walter konnten den Geschäfts­be­trieb nicht weiter­führen, nachdem die Bilanz­kreis­ver­träge gekündigt wurden, und eine weitere Belie­ferung so nicht mehr möglich war. Die Kunden wurden durch die Grund­ver­sorger als Ersatz­ver­sorger weiter versorgt.

Zum Zeitpunkt der Einstellung der Versorgung hatten viele Kunden die ihnen zugesagten Boni noch nicht erhalten. Sie waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig, da Fälligkeit erst nach dem ersten Jahr der Vertrags­laufzeit einge­treten wäre, und sie setzten voraus, dass der Vertrag weiter­laufen sollte. Diese unerfüllten, aber eben auch noch nicht fälligen Rückver­gü­tungs­an­sprüche fielen also in die Insolvenzmasse.

Der Insol­venz­ver­walter verschickte Endab­rech­nungen für den Zeitraum bis zur Leistungs­be­ein­digung, verweigert aber nun die (anteilige) Zahlung der Boni bzw. den Abzug der Boni, mit denen die Kunden gerechnet hatten, mit der Begründung, dass die Verträge ja nun gerade nicht weiter­laufen. Dagegen wendet sich die Muster­fest­stel­lungs­klage, die der vzbv betreiben will. Dieser meint, dass die Bedingung des fortlau­fenden Kunden­ver­hält­nisses nicht gelte, wenn – wie hier – der Versorger das Vertrags­ver­hältnis beendet.

Das nun anste­hende Procedere hat der Gesetz­geber in den §§ 606 ZPO ff. geregelt. Danach können (nur) quali­fi­zierte Einrich­tungen nach dem Unter­las­sungs­kla­ge­gesetz (UKlaG) Feststel­lungs­ur­teile über Sach- und Rechts­fragen herbei­führen, also keine vollstre­ckungs­fä­higen Urteile über Handlungs- und Unter­las­sungs­ver­pflich­tungen. Sie müssen eine Klage­schrift einreichen, in der sie sich nicht nur zum strei­tigen Rechts­ver­hältnis erklären, sondern auch die Relevanz für mindestens zehn Personen glaubhaft machen. Wenn die Klage den gesetz­lichen Voraus­set­zungen entspricht, wird sie im Klage­re­gister des Bundesamts für Justiz veröf­fent­licht. Hier können sich Betroffene sodann anmelden. Wer sich angemeldet hat, profi­tiert (bzw. profi­tiert gerade nicht) von der Bindungs­wirkung der in der Muster­fest­stel­lungs­klage gefällten Entscheidung, § 613 Abs. 1 ZPO. Dies gilt mit wenigen Einschrän­kungen sogar für einen abgeschlos­senen Vergleich, § 611 ZPO (wir haben die Muster­fest­stel­lungs­klage an dieser Stelle schon mal erläutert).

Wie geht es in Sachen BEV nun weiter? Angesichts der Kosten­lo­sigkeit der Regis­ter­an­meldung werden sich absehbar viele Betroffene erst einmal anmelden, denn bei Boni von 100 – 200 EUR wird kaum jemand ein eigenes Verfahren führen. Das unter­scheidet dieses zweite Muster­fest­stel­lungs­kla­ge­ver­fahren von dem VW-Verfahren, bei dem es ja regel­mäßig um andere Streit­werte geht. Ob am Ende die Verbraucher wirklich ihre Boni erhalten, steht natur­gemäß in den Sternen, aber die Weiter­ent­wicklung des neuen Instru­ments ist nicht nur wegen des Energie­bezugs inter­essant (Miriam Vollmer).

2019-12-13T10:14:47+01:0013. Dezember 2019|Strom, Vertrieb|

Muster­fest­stel­lungs­klage auf dem Prüfstand

Am 30. September diesen Jahres hat vor dem OLG Braun­schweig die mündliche Verhandlung der Muster­fest­stel­lungs­klage gegen VW begonnen. Dies ist eine gute Gelegenheit, zu schauen, wie dieses neue prozes­suale Instrument sich in der Praxis bewährt. Die Erwar­tungen sind hoch: Immerhin haben 400.000 Verbraucher Ansprüche angemeldet und hoffen nun auf Schadens­ersatz. Aller­dings hat ihnen das Gericht bereits am ersten Verhand­lungstag einige Dämpfer verpasst. 

Dies liegt zum Teil an inhalt­lichen Fragen des aktuell verhan­delten Falles. So hat das Gericht die Auffassung geäußert, dass vertrag­liche Ansprüche gegen VW überhaupt nur dieje­nigen Verbraucher geltend machen können, die den Wagen nicht bei Vertrags­händlern oder gar als Gebrauchtwagen gekauft haben. Aller­dings hält das Gericht Ansprüche aus vorsätz­licher sitten­wid­riger Schädigung für möglich. Umstritten ist weiter, worin der Schaden liegt und wie hoch er am Ende ist. Zwar hat der Bundes­ge­richtshof entschieden, dass auch drohende Fahrverbote einen Schaden darstellen können. Solange die Fahrverbote aber nur drohen, wird das Gericht nach einer ersten Auskunft des Vorsit­zenden Richters Michael Neef wohl die fortlau­fende Nutzung des Kfz anrechnen. Das heißt, dass sich der Schaden mit Zeitablauf stetig verringert. 

Je mehr sich das Verfahren in die Länge zieht, desto geringer dürften die Ersatz­an­sprüche daher schließlich ausfallen. Es ist zu vermuten, dass VW auf Zeit spielt und den Fall auch noch in eine weitere Instanz treiben wird. Vergleichs­ver­hand­lungen hat der Konzern jeden­falls abgelehnt. Wenn im Rahmen der Muster­fest­stel­lungs­klage die Schadens­er­satz­pflicht von VW schließlich rechts­kräftig festge­stellt wird, müssen die einzelnen Verbraucher dann ihr Geld ja immer noch selbst einklagen. Ob sich das dann noch lohnt, ist derzeit nicht abzusehen.

Diese Hinweise des Gerichts waren für die Verbraucher auch deshalb besonders wichtig, weil sie bis Endes des ersten Verhand­lungs­tages sich noch abmelden konnten, um ihre Klage indivi­duell durch­zu­fechten. Diese scheinbar fruchtlose Anmeldung und Abmeldung bevor es richtig losgeht, könnte sich nach Auffassung des Richters Benedikt Windau und anderer Prozess­rechts­experten für manche Verbraucher dennoch gelohnt haben. Denn bereits durch die Erhebung der Muster­fest­stel­lungs­klage wird nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB die Verjährung der angemel­deten Ansprüche gehemmt. Dies nach Auffassung von Windau selbst dann, wenn ihr Anspruch vor Anmeldung zwischen­zeitlich verjährt wäre.

Fazit: Die Muster­fest­stel­lungs­klage bietet sicherlich noch einiges an Überra­schungen, die der Gesetz­geber so vermutlich im Einzelnen nicht voraus­ge­sehen hat. Wir halten Sie auf dem Laufenden, denn derartige Klagen sind nicht nur im Bereich Produkt­haftung denkbar, sondern auch für andere Massen­ge­schäfte gedacht, wie namentlich Energie­lie­fer­ver­träge.

 

 

2019-10-11T13:22:07+02:0010. Oktober 2019|Allgemein, Vertrieb|

Erste Muster­fest­stel­lungs­klage im Mietrecht: Inter­essant auch für Energieverbraucher

Die Republik disku­tiert über hohe Mieten. Dass tatsächlich in Berlin enteignet wird, dürfte zwar als relativ unwahr­scheinlich gelten, da schon die zu zahlende Entschä­digung die Stadt überfordern dürfte. Doch die wachsende Sensi­bi­lität für steigende Wohnkosten lässt nicht nur in Tübingen die Kreati­vität wachsen. Auch aus dem teuren München gibt es etwas zu berichten. Hier hat der Münchner Mieter­verein beim Oberlan­des­ge­richt (OLG) München eine Muster­fest­stel­lungs­klage gegen eine Vermie­tungs­ge­sell­schaft gegen die Ankün­digung einer Mieterhöhung eingelegt.

Die Muster­fest­stel­lungs­klage ist neu in der ZPO. Sie wurde Ende letzten Jahres als §§ 606ff. in die Zivil­pro­zess­ordnung eingefügt. Sie erlaubt es bestimmten, gesetzlich näher quali­fi­zierten Verbrau­cher­schutz­ver­bänden auch ohne persön­liche Betrof­fenheit vor Gericht zu ziehen. Dabei geht es nicht um Zahlungen oder Unter­las­sungen, sondern (wie der Name schon sagt) um Feststel­lungen. Im konkreten Fall soll festge­stellt werden, dass die Mieterhö­hungen rechts­widrig sind.

Die Betrof­fenen – hier also die Mieter – müssen damit nicht selbst vor Gericht. Der klagende Verband muss aber schon zehn indivi­duelle Verbraucher hinter sich haben, nach Ablauf von zwei Monaten nach der öffent­lichen Bekannt­ma­chung der Muster­fest­stel­lungs­klage müssen weitere 50 Verbraucher ihre Rechte wirksam angemeldet haben. Diese Anmeldung als Betroffene im Klage­re­gister ist mit keinerlei Kosten­ri­siken verbunden, und in aller Regel dürften Verbraucher sich darauf verlassen dürfen, dass das beklagte Unter­nehmen nach einer Niederlage vor Gericht mindestens sehr vergleichs­bereit werden wird, außer, es gibt im indivi­du­ellen Fall Beson­der­heiten. Dies aller­dings ist nicht zu unter­schätzen. Wir können aus unserer eigenen Praxis bestä­tigen, dass die Frage, ob ein Fall wirklich 1:1 vergleichbar mit einem anderen ist, vom Laien oft kaum zutreffend beurteilt werden kann.

Auf insgesamt 60 Betroffene kommt man im Massen­ver­fahren schnell. Damit ist die Muster­fest­stel­lungs­klage keineswegs Fällen wie den Ansprüchen wegen Unregel­mä­ßig­keiten bei der Abgas­rei­nigung gegen die Volks­wagen AG vorbe­halten. Sondern kommt auch in mietrecht­lichen Fragen wie im erwähnten Fall in Betracht, wenn die betroffene Wohnanlage nicht nur klein ist. Und auch Energie­ver­sorger müssen früher oder später damit rechnen, dass die Verbrau­cher­schutz­ver­bände nicht nur wie bisher ihr Mandat nach dem Unter­las­sungs­kla­ge­gesetz nutzen, um Energie­lie­fer­ver­träge überprüfen zu lassen. Sondern dass auch die Muster­fest­stel­lungs­klage mit ihrer für den Verbraucher attrak­tiven verjäh­rungs­hem­menden Wirkung und der damit verbun­denen Öffent­lichkeit genutzt wird. Energie­ver­sorger sollten deswegen dem Vertrags­ma­nagement noch mehr Aufmerk­samkeit schenken als bisher.

2019-04-11T09:44:19+02:0011. April 2019|Gas, Strom, Vertrieb, Wärme|